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Forschung - 10.10.2023 - 09:00 

Miriam Meckel über den Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Wissenschaft

Künstliche Intelligenz birgt das Potenzial, auch die wissenschaftliche Arbeit umzukrempeln. Prof. Dr. Miriam Meckel vom Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der HSG erläutert im Interview, wie KI ihren Forschungsalltag verändert hat und welche Chancen sie im KI-Einsatz für das Wissenschaftssystem als Ganzes sieht.
Miriam Meckel über KI in der Wissenschaft
Künstliche Intelligenz birgt das Potenzial, auch die wissenschaftliche Arbeit umzukrempeln. Prof. Dr. Miriam Meckel vom Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der HSG erläutert im Interview, wie KI ihren Forschungsalltag verändert hat und welche Chancen sie im KI-Einsatz für das Wissenschaftssystem als Ganzes sieht.
Miriam Meckel über KI in der Wissenschaft
Miriam Meckel ist Ordentliche Professorin für Corporate Communication am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St.Gallen.

Frau Meckel, wie nutzen Sie persönlich KI in Ihrer Forschungstätigkeit?

In meiner wissenschaftlichen Arbeit ist KI wirklich ein Game Changer. Werkzeuge wie Elicit.org erleichtern zum Beispiel den Zugang zu relevanten wissenschaftlichen Arbeiten enorm. Man stelle sich vor, ein Tool kann alle möglichen Studien für mich durchforsten und findet genau das, was ich wirklich brauche - das spart eine Menge Zeit.

Wie hat KI die Datenerfassung und -interpretation in der Forschung verändert?

Man kann sich KI wie einen hyper-effizienten Assistenten vorstellen. Früher haben wir uns wochenlang durch Daten gewühlt und sie analysiert, während KI, beispielsweise der Code Interpreter von GPT-4, das im Handumdrehen macht. KI hilft, Muster in den Daten zu sehen, die wir vielleicht übersehen hätten, setzt Daten mal schnell in eine Visualisierung um und erleichtert uns den Forschungsalltag dadurch ungemein. Allerdings: Datenanalysekompetenz ist deshalb nicht weniger wichtig. Man muss weiterhin lernen, Daten zu interpretieren, auch um die KI-Tools effektiv einsetzen zu können.

Gibt es Beispiele für unerwartete oder bahnbrechende Entdeckungen, die durch den Einsatz von KI in der Forschung ermöglicht wurden?

Das Projekt «AlphaFold» von DeepMind ist so ein echter Durchbruch. Es geht um die Vorhersage, wie sich Proteine falten. Das ist ein wirklich komplexer, zeitaufwändiger Prozess. Für Materialwissenschaften und die Pharmaforschung ist das ein riesiger Gewinn, weil es viel Zeit und Ressourcen spart. Experten schätzen, dass der Beitrag dieses einen Projekts ungefähr 200 Millionen einzelnen Dissertationen gleichkommt. Das ist fast nicht zu begreifen.

Welche Auswirkungen hat KI auf die Beschaffenheit der Erkenntnisse in der Forschung. Verlieren etwa Modelle an Bedeutung, welche kausale Zusammenhänge erklären wollen, und gibt es nun einfach mehr Korrelationsanalysen?

Die Sache ist die: KI ist extrem gut im Erkennen von Mustern und Korrelationen in Daten. Aber wir Menschen müssen dann reinschauen und nachprüfen: «Macht das Sinn?», «Gibt es da einen kausalen Zusammenhang?». Denn die KI sieht die Daten, aber den Kontext, den Zusammenhang, den können wir Menschen liefern. Übrigens haben auch Menschen sehr oft Probleme damit Korrelation von Kausalität zu unterscheiden, und das war auch schon vor dem breiten Marktzugang der generativen KI so.

In welchen Bereichen der Wissenschaft sehen Sie das größte Potenzial für den Einsatz von KI in der Zukunft?

Ich sehe hier riesiges Potenzial. KI kann den ganzen Forschungsprozess so viel schneller und effizienter machen. Sie könnte uns bei der Datenauswertung helfen, aber auch bei der Durchführung von Experimenten in autonomen Laboren, wo KI und Roboterarme Hand in Hand arbeiten und Forschung quasi auf Autopiloten machen. Das klingt für Wissenschaftler:innen, die anders sozialisiert worden sind, vielleicht schrecklich. Aber ich glaube, es geht darum, unsere menschliche Forschungs- und Erkenntnisfähigkeit durch KI anzureichern und zu erweitern.

Welche Herausforderungen und ethischen Bedenken sind mit dem Einsatz von KI in der Forschung verbunden, und wie gehen Sie persönlich damit um?

Hier wird’s kompliziert. Denn wo KI ist, da sind auch Daten, und da sind auch ethische Fragen nicht weit. Wie gehen wir sicher mit Daten um? Wie sorgen wir dafür, dass KI ethisch korrekt eingesetzt wird und ihre Ergebnisse nachvollziehbar und transparent sind? Woher wissen wir, dass wir in unserer KI-basierten Forschung nicht den Bias in den Trainingsdaten replizieren oder sogar verstärken? Das sind Herausforderungen, die wir wirklich ernst nehmen müssen.

Wie sehen Sie die Rolle von menschlicher Expertise im Kontext von KI in der Forschung? Gibt es Bereiche, in denen menschliche Forscher unersetzlich bleiben?

Egal wie fortschrittlich KI auch ist, sie ersetzt nicht den Menschen mit seinen intuitiven und kreativen Denkansätzen. Wir formulieren die Forschungsfragen, wir stellen Theorien auf, und wir sind es auch, die am Ende sicherstellen müssen, dass die Forschung ethischen Grundsätzen folgt. Aber warum sollten wir uns nicht auch in der Theoriebildung durch KI herausfordern lassen? Ich sehe manche Teile des Wissenschaftssystems sehr kritisch, in dem es darum geht, möglichst in bekannten Bahnen an immer kleinteiligeren Auswertungen derselben Datensätze Publikationen zu erhöhen. Und dabei immer schön diejenigen zitieren, die vermutlich begutachten werden, sonst wird man sowieso abgelehnt. Das alles kann mal eine gewisse Disruption vertragen.

Welche Ratschläge würden Sie jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geben, die daran interessiert sind, KI in ihre Forschung zu integrieren?

Wer mit KI in der Forschung arbeiten will, muss sich damit furchtlos vertraut machen, lernen, was funktioniert und was nicht. Aber vergiss dabei nie deine Basis, deine fachliche Grundlage. Kombiniere beides: Sei stark in deinem Fach und nutze KI als Werkzeug dazu, um noch besser, noch effizienter zu werden. Und vor allem: Bleib neugierig und offen für Neues. Auch im Umgang mit KI sind die mutigen Fragen oft viel wichtiger als die selbstbewussten Antworten.

Bild: photocase / aoo3771

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