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Forschung - 03.11.2023 - 10:00 

HSG-Arbeitsforscher Hans Rusinek verbindet Nachhaltigkeit und New Work

Der HSG-Philosoph Hans Rusinek sagt, die heutige Art, zu arbeiten, gefährde unser Überleben. Rusinek verbindet den aktuellen Umbruch der Arbeitswelt darum eng mit Nachhaltigkeit: Arbeit müsse «enkeltauglich» werden.
designer hand working laptop with green plant foreground on wooden desk in office

Das Interview führt der Arbeitsforscher Hans Rusinek am Telefon, während er durch seine Heimatstadt Hamburg spaziert. «Ich versuche, einen meiner Ansätze zur Verbesserung der Arbeitswelt selbst zu leben: Wissensarbeit muss körperlicher werden und vermehrt in die Umwelt eingebettet sein», sagt der 34-Jährige. Denn wer seine Umgebung sinnlich erfahre, werde sich seiner Verantwortung dafür bewusster, so Rusinek, der derzeit an der HSG doktoriert. Dabei untersucht er, welchen Einfluss die Sinnfrage sowie Ziele von Organisationen auf Arbeit haben.

Weil die Arbeitswelt im Umbruch ist – Fachkräftemangel, Digitalisierung und Flexibilisierung sind nur drei Stichworte dazu – ist Rusineks Expertise gefragt: Er berät Konzerne und KMUs bei ihrer Suche nach dem «Purpose». Für seine HSG-Dissertation hat er während der vergangenen drei Jahre einen deutschen Automobilkonzern untersucht. «Dieser muss sich im Zuge des Mobilitätswandels neue Ziele setzen. Gleichzeitig sollen diese Ziele von den Mitarbeitenden mitgetragen werden», so Rusinek. Vor einer solchen Neuausrichtung stünden heute viele Organisationen, denn: «Arbeit – und in erster Linie die Wissensarbeit - steckt in einer Sinnkrise», sagt Rusinek.

Covid ging, die Sinnfrage blieb, die Klimakrise sowieso

Diese Sinnkrise werde durch verschiedene Faktoren verursacht. Zunächst sei das Vertrauen ins System mit der Finanzkrise 2008 nachhaltig erschüttert worden. Dann habe die Coronapandemie als «kollektive Nahtoderfahrung» das Nachdenken über den Sinn von Arbeit verstärkt.

«Arbeitnehmende erkannten, dass sich ihre digitalen Tätigkeiten am Bildschirm kaum noch voneinander unter-scheiden und Vieles davon letztlich abstrakt bleibt – und ganz und gar nicht systemrelevant», so Rusinek.  «Manche erwarteten, dass durch die Pandemie Fragen nach inviduellem Sinn und unternehmerischen Purpose als ‘Luxusprobleme’ in den Hintergrund rücken werden – das Gegenteil war der Fall: Gerade in Krisen stellt sich die Warum-Frage noch stärker.» 

Zusätzlich werfe heute auch der Klimawandel drängende Fragen nach der individuellen Verantwortung auf, die man mit seiner eigenen Arbeit für diese ökologische Krise habe. Denn es ist die Arbeitswelt, die unseren nicht nachhaltigen Umgang mit Ressourcen umsetzt – die aber auch Ausgangspunkt für ein Umlernen sein kann. «Natürlich hat moderne Arbeit seit der industriellen Revolution sehr viel Wohlstand geschaffen. Heute muss man aber auch feststellen: Wir haben den Planeten abgearbeitet und damit steht unsere Zukunft auf dem Spiel, auch die Zukunft unserer Arbeit», sagt Rusinek, der Mitglied im Think Tank 30 Deutschland des wachstumskritischen Club of Rome ist. 

Arbeitsroutinen machen uns zu Zombies

Rusinek hat soeben im traditionsreichen Herder-Verlag ein Buch mit dem Titel «Work-Survive-Balance: Warum die Zukunft der Arbeit die Zukunft unserer Erde ist» veröffentlicht. «Bei meiner Arbeit mit Unternehmen fiel mir auf, dass in Diskussionen um ‘new work’ oft auf rein technische Innovation als einziges Mittel gesetzt wird, um Umweltprobleme zu lösen – weniger oft geht es um Exnovation, also dem Beenden schädlicher Praktiken.» Statt allein auf neue Technologien zu setzen brauche es aber einen grundlegenden Haltungswandel zu einer «enkeltauglichen» Arbeitswelt.

Im Buch wirft Rusinek zuerst einen Blick auf umweltschädliche Praktiken der Arbeitswelt - er wolle Handlungsformen und nicht einzelne Gruppierungen kritisieren, schreibt er dazu. Praktiken bauten auf erlernten Fähigkeiten, Infrastrukturen wie Gesetze oder Räume sowie sozialen Einstellungen, wie Glaubenssätze oder Wünsche auf. «Einmal erlernte Praktiken lassen uns wie auf Autopilot durch unsere (Arbeits-)Welt wandeln. Praktisch, weil wir schnell ins Arbeiten kommen (…). Verdammt unpraktisch, wenn diese Programme uns zombiehaft in den Abgrund ziehen», schreibt er. Im Gespräch sagt Rusinek dazu, dass unser Umgang mit Zeit, unsere grundlegende und ohne Gründe auskommende Gehetztheit, eine problematische Praktik sei, die die Arbeitswelt präge: «Wir finden im Alltag kaum Zeit für einen tiefergehenden Gedanken. Wer so arbeitet, hinterfragt sein Handeln nicht. Diese Kultur der ‘Busyness’ verdrängt so die wahren Probleme.»

Der Arbeitsplatz als Zukunftslabor

In einer Art Ausblick formuliert Rusinek neun Veränderungsdimensionen, von denen die eingangs erwähnte Betonung der Körperlichkeit eine und der Umgang mit Zeit eine andere ist. Andere betreffen etwa unseren Umgang mit Intelligenz, sei es menschliche, ökologische oder künstliche oder eine respektvolle Haltung für jede Art von Arbeit, nicht nur die Wissensarbeit.

Damit will er die Vorraussetzungen definieren, die eine Arbeitswelt braucht um im Angesicht der Klimakrise umzulernen. «Mein Buch kann keine fertigen Lösungen liefern, die Unternehmen einfach übernehmen können für ihre Veränderung – Lösungen müssen alle Organisationen für sich selbst finden.» Dazu zähle auch, die Mitarbeitenden in die Lösungsfindung, in die Suche nach einem neuen Sinn in der Arbeit einzubinden. «Sinn lässt sich nicht managen oder verordnen. Man muss Gefässe schaffen, in denen er gemeinsam ermöglicht werden kann», sagt Rusinek. 

Er betont zudem, er sei nicht gegen Arbeit. «Wir müssen nicht in erster Linie weniger, sondern produktiver arbeiten, statt uns hinter der busyness zu verstecken.» Die Arbeitswelt sei zudem ein wichtiger Ort zur Entwicklung neuer sozialer Praktiken und Normen. «Sie ist der Ort, an wir uns nicht-traumatisierend und gemeinschaftlich an ein Umlernen im Zuge der Klimakrise machen können. Sonst bliebe uns nur der Zwang. Wir sollten die Arbeitswelt also als Reallabor für eine enkeltaugliche Zukunft betrachten», schreibt Rusinek dazu. 
 

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