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Hintergrund - 19.09.2023 - 14:30 

TEDxHSG: Ideen für die Zukunft des Lernens erforschen

Wie wird ein Klassenzimmer in zehn Jahren aussehen? Bei TEDxHSG 2023 haben vierzehn engagierte Studierende inspirierende Gäste aus verschiedenen Disziplinen wie Entrepreneurship, Forschung, Personalwesen, Bildung und sogar Kampfsport zusammengebracht, um inspirierende Diskussionen anzuregen, Ideen zu verbreiten und Neugier zu wecken. In neun Vorträgen zum Thema «Mindscapes» wurden die Teilnehmenden auf eine Reise in die Zukunft des Lernens mitgenommen. Von Studentenreporterin Victoria Lorenzen.

Die Hochschulbildung ist einer der derzeit am wenigsten digitalisierten Wirtschaftssektoren, der im Vergleich zu anderen Branchen in der Vergangenheit nur wenige disruptive Veränderungen durchlaufen hat. Unser Bildungssystem erwartet jedoch nicht nur technologische Veränderungen, sondern auch einen Mentalitätswandel.

Misserfolge als Lernmethode

Wenn das Lernen aus Fehlern intuitiv wirksam ist, können wir dann diesen Effekt bewusst für das Lernen nutzen? Die Lernerfahrung von Studierenden durch produktives Scheitern zu vertiefen, ist das Spezialgebiet von Manu Kapur. Der Professor für Lernwissenschaften und Hochschulbildung an der ETH Zürich lässt Studierende komplexe und neuartige Probleme lösen, mit denen sie bisher noch nicht konfrontiert waren. Die Studierenden generieren dann jedoch mehrere Lösungen und erforschen diese im weiteren Unterricht. Diese Lehrmethode ist von realen Beispielen für produktives Scheitern inspiriert, z. B. von Impfstoffen, die das Immunsystem darauf vorbereiten, in einer sicheren Umgebung effektiv auf reale Bedrohungen zu reagieren, und von Muskelfasern, die nach einem Krafttraining zusammenbrechen und sich erholen, um stärker zu werden. Ausserdem ermutigt er die Studierenden, keine Angst vor Fehlern zu haben, denn «man scheitert nicht um des Scheiterns willen, sondern weil man am Rande der Entdeckung steht» erklärt Kapur.

Prof. Dr. Manu Kapur

Die Lust am Lernen wiederentdecken

«Wann haben Sie das letzte Mal etwas zum ersten Mal gelernt? » fragte Sophie Bonnaire Lafont das Publikum zu Beginn ihres Vortrags. Das nachdenkliche Schweigen der Zuhörenden liess darauf schliessen, dass es schon eine Weile her sein musste. Laut dem Harvard-Kinderpsychologen Paul Harris stellen Kinder im Alter von zwei bis fünf Jahren etwa 40.000 Fragen, das sind durchschnittlich etwa 100 Fragen pro Tag. Mit zunehmendem Alter nimmt die Zahl der gestellten Fragen deutlich ab. Kinder sind von Natur aus neugierig, aber was stoppt ihre Neugier? In den Schulen gibt es oft wenig Raum für Fragen. Manchmal entmutigen auch die Eltern die Neugier der Kinder, vielleicht weil sie genervt von den Fragen ihrer Kinder sind, vielleicht weil sie nicht zugeben wollen, dass sie keine Antwort haben. Bonnaire Lafont, die bei Nestlé als Global Head of Learning and Development tätig ist, stellte klar, dass das Stellen von Fragen in der Regel als positiv empfunden wird. Wenn man beispielsweise am Ende eines Vorstellungsgesprächs Fragen stellt, zeigt dies echtes Interesse am Unternehmen und die Bereitschaft zu lernen, während das Nichtstellen von Fragen als Desinteresse und mangelnde Neugierde empfunden werden kann. Bonnaire Lafont, welche die «try fast, fail fast, learn fast»-Kultur des Silicon Valley schätzt, ermutigt dazu, sich an seinen unbegrenzten Lernhunger als Kind zu erinnern und mehr Fragen zu stellen. Was die Zukunft der Bildung betrifft, so müssen Problemlösungskompetenzen noch stärker mit Fähigkeiten wie Neugier, Lernen und Experimentieren in Einklang gebracht werden.

Sophie Bonnaire Lafont
Jacqueline Gasser-Beck

«The college essay is dead - niemand ist darauf vorbereitet, wie KI die akademische Welt verändern wird»

«The college essay is dead - niemand ist darauf vorbereitet, wie KI die akademische Welt verändern wird»

Mit dieser Zeitungsüberschrift eröffnete Jacqueline Gasser-Beck, Leiterin des Teaching Innovation Lab an der HSG, ihren Vortrag über das Zurechtfinden im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz. Seit November 2022 sorgt ChatGPT für Aufsehen unter Lehrenden und Eltern. Doch was hat es mit der Aufregung auf sich? Egal, ob man eine Präsentation skizzieren, eine Mindmap erstellen oder einen Aufsatz schreiben soll, es gibt ein KI-Tool, das dies schnell erledigen kann. Gasser-Beck warnte jedoch auch vor der inhärenten Voreingenommenheit von Large Language Models, die sich aus den für das Training verwendeten Daten ergibt. So fanden Forscher der University of East Anglia heraus, dass ChatGPT eine liberale politische Tendenz aufweist. Es ist von entscheidender Bedeutung, Voreingenommenheit von Algorithmen zu erkennen, und die Förderung des kritischen Denkens und der Fähigkeit zur Selbstreflexion ist für die Lernenden von morgen, die in einer Zeit aufwachsen, in der Informationen und Wissen immer mehr zur Ware werden, unerlässlich. Darüber hinaus ist ein tiefgreifendes Verständnis der Technologien und der Mensch-Maschine-Interaktion für die erfolgreiche Integration von KI in die Lernerfahrung unerlässlich.

Darüber hinaus verlagert sich der Schwerpunkt für die Führungskräfte der nächsten Generationen wahrscheinlich von technischen Fähigkeiten auf Soft Skills, menschliches Einfühlungsvermögen, Neugier und emotionale Intelligenz, da «Maschinen die Tiefe menschlicher Interaktionen und Emotionen nicht ersetzen können», so Gasser-Beck. Was die schriftlichen Arbeiten an Universitäten betrifft, so ist es noch zu früh, um deren zukünftige Bedeutung für Studierende zu beurteilen. Gasser-Beck argumentiert, dass sich zumindest die Aufgaben, die Studierenden in der Zukunft gestellt werden, sich ändern werden. Anstatt von Struktur, Grammatik und Formatierung werden vermehrt einzigartige Ideen, Kreativität und kritische Reflexion bewertet. Gasser-Beck appellierte an das Publikum, sich nicht nur auf die Zukunft einzustellen, sondern sie aktiv zu gestalten, und das gelte auch für die Universitäten der Zukunft.

Die Macht der Perspektive

Da Wissen durch das Internet immer breiter verfügbar und leichter zugänglich wird, werden Regionen, in denen Bildung nicht so leicht zugänglich ist, bei der Umgestaltung übersehen. Cynthia Hansen konzentriert ihre Arbeit bei der Innovation Foundation auf die Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit und des Zugangs zu den Arbeitsmärkten für unterversorgte Bevölkerungsgruppen. Sie erzählte die Geschichte von Anna, einer 24-jährigen Frau, die mit ihren drei kleinen Kindern in den Aussenbezirken von Mexiko-Stadt lebt. Sie wünscht sich eine bessere Zukunft für sich und ihre Kinder. Sie ist ehrgeizig, hat aber weder Geld noch Zeit für eine Ausbildung. Sie hat Fähigkeiten, die sich aber nicht in einem Lebenslauf niederschlagen. Sie hat Informationen über den Arbeitsmarkt, aber die Informationen sind nicht auf ihre Situation zugeschnitten.

Um Anna zu helfen, entwickelte Hansen verschiedene Lösungen und probierte sie mit Anna aus. Zum Beispiel funktioniert digitales Coaching für Anna aufgrund ihres begrenzten Internetzugangs nicht. Eine Kampagne, in der eine Frau wie Anna ihr den Arbeitsmarkt erklärt, und eine Textsoftware, die Beschreibungen ihrer täglichen Aufgaben in einen Text darüber umwandelt, wie diese Fähigkeiten auf einen Job angewendet werden können, schienen jedoch vielversprechend und wurden skaliert.

Online-Kurse sind ein wachsender Teil des Bildungssektors, aber das Beispiel von Anna erinnert daran, dass Bildung weiter demokratisiert werden muss. Es zeigt auch die Bedeutung des lebenslangen Lernens, das im Vergleich zur traditionellen, auf Abschlüsse ausgerichteten Bildung wahrscheinlich an Bedeutung gewinnen wird.

Cynthia Hansen
Lou Cadorin

Unterricht im Glücklichsein

Unterricht im Glücklichsein

Die Bachelorstudentin Lou Cadorin hielt einen persönlichen und emotionalen Vortrag. Nachdem bei ihr an ihrem 13. Geburtstag eine Krankheit diagnostiziert worden war, fühlte sie sich in ihren frühen Teenagerjahren hoffnungslos und hilflos. Cadorin betonte die zentrale Rolle der Schulen für die psychische Gesundheit von Jugendlichen. Für die Zukunft des Lernens stellt sie sich vor, das Lernen ausserhalb des Klassenzimmers zu fördern und die Bildung zu diversifizieren. Aus ihrer eigenen Erfahrung heraus befürwortet sie einen Lehrplan, der auch Wohlbefinden und Glücklichsein lehrt. Ihr Lösungsvorschlag ist «positive education». Das ist ein Lehransatz, der über den akademischen Bereich hinausgeht, da traditionelle Bildungsprinzipien mit der Lehre von Glück und Wohlbefinden verbunden werden. Durch aktive Massnahmen wie Kurse zum Thema Wohlbefinden und passive Massnahmen wie die Förderung eines sicheren und integrativen Schulumfelds können Lernende nicht nur zu akademischem Erfolg geführt werden, sondern auch dazu, wichtige Lebenskompetenzen zu kultivieren, Resilienz aufzubauen und Charakterstärke zu entwickeln. Die Zukunft der Bildung muss Beratung, Mentoring und Peer-to-Peer-Lernen einschliessen und sicherstellen, dass die Lernenden neben technischen Fähigkeiten auch Anpassungsfähigkeit, emotionale Intelligenz und eine wachstumsorientierte Denkweise entwickeln.

Victoria Lorenzen studiert im ersten Semester des Masterstudiengangs Banking and Finance an der Universität St.Gallen.

Bilder: Universität St.Gallen / Tomek Gola

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