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Hintergrund - 27.10.2023 - 14:00 

Personality in Residence Thomas Zurbuchen: «Das Universum ist voller Überraschungen»

Thomas Zurbuchen, Direktor des ETH Zürich Space Center und ehemaliger Forschungsdirektor der amerikanischen Weltraumbehörde NASA, war am 24. und 25. Oktober 2023 «Personality in Residence» im SQUARE der HSG. Zwei Tage lang begeisterte er das Publikum. Drei Schwerpunkte dabei: Sein Umgang mit grossen Herausforderungen, das Problem des Weltraummülls und die menschliche Faszination für das Weltall.
Der Direktor des ETH Zürich Space Center und ehemaliger Forschungsdirektor der amerikanischen Weltraumbehörde NASA war am 24. und 25. Oktober 2023 im SQUARE der HSG.

Schon als Kind in Heiligenschwendi hat Thomas Zurbuchen zu den Sternen hochgeschaut. Rätselhaft und schön sei der Blick in den nächtlichen Himmel gewesen. Damals war nicht daran zu denken, dass er einmal eine prägende Persönlichkeit der amerikanischen Weltraumforschung sein würde. Ein Mann der Neugier und Verantwortung, in dessen Büro später das berühmte Zitat des deutschen Aufklärungsphilosophen Immanuel Kant hing: «Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.»   

Nach dem Studium der Physik und Mathematik an der Universität Bern wurde Thomas Zurbuchen Professor für Weltraumwissenschaft und Raumfahrttechnik an der University of Michigan, wo er das «Center for Entrepreneurship» gründete. Von 2016 bis 2022 leitete er das Forschungsprogramm der amerikanischen Weltraumbehörde NASA. Im SQUARE und in der Lokremise in St.Gallen stellte er sich den Fragen von Studierenden und Öffentlichkeit. Dabei war der international renommierte Wissenschaftsstar für alle nur «der Thomas». Seine Auftritte: nahbar, fesselnd und inspirierend.    

Die wahre Geschichte des Erfolges 

Thomas Zurbuchen sagt, es gäbe «lake persons» und «river persons». Er selbst sei eine «river person». Stets «im flow» zu sein spiele in seinem Leben eine wichtige Rolle. Einen Job mache er nie zweimal. Neue Herausforderungen dienten ihm sinnbildlich als Treibstoff. Dabei betonte er: «Ich war nie allein erfolgreich.» Er schöpfe grosses Potenzial aus bunt zusammengestellten Teams, lege Wert darauf, die beste Idee im Raum zur Geltung zu bringen, unabhängig davon, von wem sie komme.  

Was hat Zurbuchen zurück in die Schweiz gebracht? An der ETH «eine kleine Version der NASA» zu schaffen, sei für ihn kein Ziel. Vielmehr wolle er jungen Menschen, die sich für Engineering, Technik, Mechanik oder Business interessieren, zu mehr Karrieremöglichkeiten in der Raumfahrtindustrie verhelfen und die Schweiz als Wachstumsmarkt für Startups in dieser Industrie etablieren. Wie damals in den USA fühle er sich nun in der Schweiz wieder als «Immigrant». 

Den Studierenden im Publikum riet er, die eigene Herkunft immer als Chance zu sehen, um neue Perspektiven einzubringen. Ein Austauschjahr, sei es in einem anderen Land oder in einem kulturell fremden Umfeld, sei zwar anfangs unangenehm, lohne sich aber immer, wenn man Neues lernen wolle. Ähnliches gelte für die Berufswahl: «Entscheide dich für den Job, der dir die meisten Türen für deine weitere Karriere öffnet», betonte Zurbuchen.  

«Work-Life-Balance ist wie ein Mosaik», sagte Zurbuchen. Der Job gehöre genauso dazu wie Familie, Gesundheit, Rituale.

Cosmic Cliffs in the Carina Nebula. Elements of this image furnished by NASA.

«Carinanebel» durch das James-Webb-Teleskop gesehen.

Thomas Zurbuchen und Barbara Bleisch im Gespräch darüber, warum wir nach den Sternen greifen.

Die Weiten des Weltalls 

In anderen Diskussionen wurde es technischer. Etwa als es um sogenannten Weltraumschrott ging. Spontan griff Thomas Zurbuchen zu einem Stift, zeichnete die Erdkugel auf ein Flipchart und erklärte: «Die meisten Satelliten befinden sich in der erdnahen Umlaufbahn bis 500 km. Dazu gehören Wetter-, Kommunikations- und Militärsatelliten oder beispielsweise die kommerziellen Starlight-Satelliten von SpaceX. Wenn man von einer Verstopfung des Orbits spreche, sei diese niedrige Umlaufbahn gemeint, aber auch das geostationäre Orbit etwa 36'000 km über der Erde.» Ausgediente Satelliten könnten entweder in der Erdatmosphäre verglühen oder entfernter in den sogenannten «Friedhofsorbit» rund 300 km über dem geostationären Orbit geschickt werden. Gefährlich werde es aber, wenn Teile des Weltraummülls mit relativ hoher Geschwindigkeit aufeinanderprallen. So geschehen, als China 2007 eine Antisatellitenrakete testete. Dies verursachte rund 3500 Bruchstücke, was damals 30% des gesamten Weltraummülls ausmachte. Heute bestünde das Risiko, dass solche Kollisionen Kettenreaktionen auslösen und dadurch wichtige Satelliten- oder Raketenstarts verhindert werden. 

Für den Umgang mit Weltraumschrott gebe es derzeit keine Regelungen, sondern nur «standards of behavior», erklärte Thomas Zurbuchen. Die NASA sei keine Regulierungsagentur. Anders als etwa bei der Vergiftung internationaler Gewässer könnten die Akteure nicht vor dem Internationalen Gerichtshof zur Verantwortung gezogen werden. Zudem fehle es an Gesprächen, vor allem zwischen West und Ost. Während Daten von Wettersatelliten zwischen Ländern geteilt würden, spreche die internationale Gemeinschaft nicht gemeinsam über die Beseitigung von Weltraummüll. Das beunruhige ihn am meisten. Denn das Problem sei technisch grundsätzlich lösbar, ist der Astrophysiker überzeugt. 

Warum wir nach den Sternen greifen

Im Gespräch mit Barbara Bleisch, SRF-Moderatorin der Sendung «Sternstunde Philosophie», schlug Thomas Zurbuchen schliesslich in der Lokremise den Bogen zur grundsätzlichen Frage: Wieso faszinieren uns die Weiten des Alls?

Um sich die Dimensionen des Universums vor Augen zu führen, denkt Zurbuchen in zeitlichen Begriffen: «Das Licht der Sonne braucht etwa 8.5 Minuten bis zur Erde, das Licht des Jupiters 1 Stunde, das Licht der nächsten Sterne 4 Jahre.» Der Durchmesser unserer Galaxie, der Milchstrasse, entspreche etwa 100'0000 Lichtjahren. Das Licht der ältesten Galaxie brauche über 13 Milliarden Jahre bis zur Erde, bis wir es sehen. Unser Blick zu den Sternen ist also immer auch ein Blick in die Vergangenheit.  

Veränderungen seien die Regel im Universum, erklärte Thomas Zurbuchen. Für ihn habe Weltraumforschung daher viel mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu tun. «Wir finden Lösungen, die wir morgen brauchen, um Probleme zu lösen, die wir heute noch gar nicht kennen». Das käme auch den Herausforderungen auf der Erde zugute, etwa technischen Lösungen zur Verbesserung des Klimas. Den Mars allerdings sieht Zurbuchen, mit freundlichen Grüssen an Elon Musk, nicht als «neue Erde», auf die die Menschheit notfalls auswandern könnte. Der Mars ist für ihn ein Ort für Forschungszwecke. 

Aber auch über Gefühle sprach Thomas Zurbuchen, der Rationalist und Wissensmanager. Er habe Tränen in den Augen gehabt, als ihm die Kollegen der NASA die ersten Bilder zeigten, die das James-Webb-Teleskop zur Erde geschickt habe. Sie zeigten den Carinanebel. Dieser habe ausgesehen wie «ein Ozean mit gelb und braun und Sternen oben.» Es sei eine der schönsten Regionen im Weltall gewesen, die er je gesehen habe. Als er sich damals wieder gesammelt hatte und zu den Kollegen schaute, hatten auch diese Tränen in den Augen. Die Faszination bleibt für ihn ungebrochen. Denn anders als das Universum selbst, scheint sie unendlich zu sein.

Bilder: Elia Heinzer / Adobe Stock (gizemg) / Cornel Dora 

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