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Forschung - 07.07.2023 - 10:30 

15 Jahre Diversity & Inclusion-Forschung an der HSG

Wir alle haben Behinderungen – manche sind sichtbar, manche nicht. Darum sollten wir erforschen, wie wir unser Dasein in einer Gesellschaft mit Schwächen und Stärken gemeinsam besser gestalten können. So lautete das Plädoyer des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton anlässlich der Einweihung des Center for Disability and Integration (CDI-HSG) im Jahr 2009 in St.Gallen. Zum Ende der Förderperiode durch die Stiftung «MyHandicap» blickt die HSG auf Erfolge der vergangenen Jahre und den neuen Weg des Centers.

Als Ehrenschirmherr plädierte Bill Clinton bei der Eröffnung des Centers für eine humane Wirtschaft. Gemeinsam mit dem Gründer der Stiftung «MyHandicap», Joachim Schoss, setzt er sich für die Erforschung von Wegen ein, wie Staat und Unternehmen Menschen mit Behinderungen besser in die Arbeitswelt und den Alltag einbinden können. HSG-Rektor Bernhard Ehrenzeller hält in seiner Ansprache anlässlich der 15-jährigen Arbeit des CDI-HSG fest: «Beatrix Eugster, Stephan Böhm und Nils Jent: Eine Volkswirtin, ein Betriebswirt und ein anwendungsorientierter Forscher zu Diversity Management – die Kombination dreier Fachorientierungen hat zu einer Vielzahl herausragender, mehrfach preisgekrönter Insights geführt».

Diversity & Inclusion in Lehre und Forschung

Das Interesse am Thema Diversity & Inclusion bei Universitätsangehörigen sowie die Nachfrage nach Unterstützungs- und Beratungsangeboten wächst. So leisten an der HSG zahlreiche engagierte Einzelpersonen einen Beitrag zu einer vielfältigen und inklusiven Universität. Auch fokussieren verschiedene Institutionen auf Diversity & Inclusion in Lehre und Forschung. Das Portfolio an Angeboten und Aktivitäten ist sehr weit gefächert: Fragestellungen der Vereinbarkeit von Familie mit Studium, Arbeit oder akademischer Laufbahn, Care-Vereinbarkeit, die Unterstützung von Studierenden mit einer Behinderung oder chronischen Erkrankung für ein chancengleiches Studium oder Massnahmen zur Barrierefreiheit gehören ebenso dazu wie die Einführung eines Maturandinnentages, um mehr junge Frauen für ein Studium zu begeistern.

Weltweite Signalwirkung 

Das Center for Disability and Integration (CDI-HSG) etabliert die berufliche Inklusion von Menschen mit Behinderung als Forschungsfokus an der HSG. Es ist ein interdisziplinäres Forschungscenter mit den drei Fachbereichen BWL, VWL und Angewandte Disability. Seit der Gründung des CDI-HSG sind fast 15 Jahre vergangenen. An der Jubiläumsfeier des CDI-HSG am 5. Juli 2023 blickten die Direktoren des Centers gemeinsam mit Gästen, Förderern, Kooperationspartnern und Mitarbeitenden auf die vergangene Förderperiode sowie die zukünftige Ausrichtung des CDI-HSG.

«Als wir 2009 mit der Forschung zur beruflichen Inklusion von Menschen mit Behinderung begonnen haben, war das Thema noch exotisch und es gab nicht wenig Widerstände. Inzwischen darf Behinderung in keiner Diversity-Strategie mehr fehlen.»
Prof. Stephan Böhm, Direktor des CDI-HSG

Das CDI-HSG wurde nach den Gründungsarbeiten offiziell am 5. November 2009 am Weiterbildungszentrum Holzweid (WBZ-HSG) eingeweiht. Die Eröffnungsrede hielt der ehemalige US-Präsident Bill Clinton – als Ehrenschirmherr der Stiftung «MyHandicap», die mit einer grosszügigen privaten Zuwendung die Gründung des Centers ermöglichte. Angestossen wurde die Idee des Forschungscenters durch MyHandicap-Gründer und Unternehmer Joachim Schoss, der seit einem schweren Unfall selbst mit einer Behinderung lebt. Er verfolgte die Vision, Wissenschaft und Praxis am Center der HSG zusammenzubringen und dadurch die Inklusion von Menschen mit Behinderungen nachhaltig zu fördern. Es sei dem Pioniergeist von Herrn Schoss und seinem Vertrauen in die Forschung und die HSG zu verdanken, dass das Center seine Wirkung entfalten konnte, sagte Bernhard Ehrenzeller anlässlich des Jubiläums. Nach 15 Jahren und zahlreichen Projekten endet nun die Förderperiode durch MyHandicap. 

«We have a lot to learn from brave people with disabilities. It's a form of unconscionable arrogance to consign people, whose disabilities are more physically obvious than others, to be anything less than they can be. The centre is designed to change that.»
Bill Clinton, ehemaliger US-Präsident, anlässlich der Einweihungsfeier des CDI-HSG am 5. November 2009

Zusammenarbeit mit namhaften Kooperationspartnern

Das CDI-HSG entwickelte sich über die Jahre zu einer der weltweit führenden Forschungsinstitutionen im Bereich der beruflichen Inklusion von Menschen mit Behinderungen. Getragen von einem diversen Team der Bereiche Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft, Psychologie und Politikwissenschaft zeichnet sich das CDI-HSG nicht nur durch exzellente Forschung, sondern auch durch einen starken Praxisbezug und langjährige Unternehmenskooperationen aus. So arbeitete das CDI-HSG u.a. zusammen mit der deutschen Bundesagentur für Arbeit, der AUDI AG, dem deutschen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), der BARMER Krankenkasse, der SVA Zürich, dem Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (EBGB), ABB Schweiz, Hitachi Energy Switzerland, mit Novartis sowie mit der Schweizerischen Post.

«Unsere empirische Forschung hat deutlich gezeigt, dass Institutionen eine entscheidende Rolle spielen. Inklusion gelingt nicht, nur weil man darüber spricht. Sie kann aber gelingen, wenn alle mit ins Boot geholt werden: Menschen mit und ohne Behinderung.»
Prof. Beatrix Eugster, Arbeitsmarktökonomin und ehemalige Direktorin des CDI-HSG

Praktische Erkenntnisse aus der Forschungsarbeit

Im Rahmen der Projektarbeiten wurden nach wissenschaftlichen Standards evidenzbasierte und praxiserprobte Massnahmen zur besseren Inklusion von Menschen mit Behinderungen entwickelt. Erforscht wurde am CDI-HSG darüber hinaus auch, wie gesunde Führung, Digitalisierung und Flexibilisierung von Arbeit oder der Umgang mit psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz gelingt. Die Forschenden am CDI-HSG und ihre Praxispartner kamen in den vergangenen Jahren unter anderen zu folgenden Kernerkenntnissen für die betriebliche Praxis: 

  • Inklusion in der Schule kann erfolgreich sein, wenn sie richtig gemanagt wird (Balestra, Eugster, & Liebert, 2022).
  • Behinderungsdiverse Teams sind innovativer als homogene Teams, insbesondere wenn in den Teams ein inklusives Klima herrscht (Dwertmann, Boehm, McAlpine, & Kulkarni, 2022).
  • Inklusion, gemessen durch die Dimensionen Authentizität und Zugehörigkeit, macht Mitarbeitende gesünder. Dies gilt für Majoritäten (z.B. «weisse Männer») genauso wie für Minoritäten (Böhm et al., 2023).
  • Inklusion stärkt nicht nur die Bindung zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften, sondern erhöht auch die Performanz von Mitarbeitenden – mit und ohne Behinderung (Dwertmann & Böhm, 2016).
  • Gut gemeinte Inklusionsbestrebungen (wie der deutsche «Schwerbehindertenausweis») können mitunter eine gegenteilige Wirkung entfalten und die soziale Teilhabe reduzieren, wenn sie Stigma verstärkend wirken (Brzykcy & Böhm, 2022).
  • Gesunde Führungsverhaltensweisen können den Krankenstand der Belegschaft um den Faktor Acht senken, insbesondere wenn bei Mitarbeitenden Vorerkrankungen vorliegen (Böhm & Baumgärtner, 2016).
  • Gesunde Führung kann trainiert und erlernt werden. Gerade für Mitarbeitende mit psychischen Erkrankungen ist es zentral, dass ihre Führungskräfte diesen Führungsstil beherrschen, da die Wahrscheinlichkeit eines Arbeitsplatzerhalts dadurch verdoppelt wird (Böhm & Kreissner, 2017).
  • Durch flexibles Arbeiten (Homeoffice) gehen die Inklusion und das Zusammengehörigkeitsgefühl im Team zurück. Umso wichtiger sind aktive Massnahmen in Bereichen wie virtueller Führung oder Teambildung, um das Inklusionsgefühl zu erhalten (Schertler, Glumann & Böhm, 2023).
  • Durch flexibles Arbeiten (Homeoffice) steigt die emotionale Erschöpfung (Burnout) von Beschäftigten. Hierfür verantwortlich sind zunehmende Grenzüberschreitungen zwischen Arbeits- und Privatleben sowie ständige Erreichbarkeit. Beides sollte daher begrenzt werden, um auch im Homeoffice gesund arbeiten zu können (Carls & Böhm, 2023).
«Das Aggregieren an Erfahrung und Wissen der Vielfalt von Menschen für einen nachhaltigen Nutzen bedingt den Werthaltungswandel zur Gleichwertigkeit. An der HSG lehren und leben wir Inklusion deshalb als die gegenseitige Teilhabe auf gleicher Augenhöhe.»
Prof. Nils Jent, Direktor des CDI-HSG

Die Arbeit des Pionier-Centers geht weiter und wird ausgebaut 

Die Forschung am CDI-HSG hat eindrücklich gezeigt, dass inklusive Unternehmen gesündere, leistungsfähigere und zufriedenere Mitarbeitende haben. Diese Erkenntnis ist gerade in Zeiten des 'War for Talents’ von grosser Bedeutung. Wie aber geht es nun mit dem CDI-HSG weiter? 

Auch nach Ende der Förderperiode wird am CDI-HSG die erfolgreiche berufliche Eingliederung von Menschen mit Behinderung ein zentraler Forschungsschwerpunkt bleiben. Hierzu werden bestehende Forschungserkenntnisse und Werkzeuge wie beispielsweise der «St.Gallen Inclusion Index» genutzt und weiterentwickelt. Der Index ermöglicht, Inklusion in Teams und Organisationen zu messen und darauf basierende zielgerichtete Interventionen für ein verbessertes Arbeitsklima abzuleiten. Auch aktuelle Themen wie der Einfluss von Digitalisierung und Flexibilisierung auf Gesundheit und Inklusion werden eine bedeutende Rolle in der Forschung spielen.

Das Center finanziert sich künftig zum einen aus dem Zentralhaushalt der Universität, zum anderen aus Zweit- und Drittmitteln; die Forschungsförderungen und Praxiskooperationen sollen weiter ausgebaut werden. Die nachhaltige Verankerung des Centers an der Universität unterstreicht die hohe Bedeutung der Themen Diversity & Inclusion für die Forschungs-, Lehr- und Praxisaktivitäten der Universität St.Gallen. Ein Fokus, der auch in den strategischen Leitsätzen und Zielen der HSG bis 2025 angestrebt wird. 

Bild (v.l.n.r.): Joachim Schoss, Gründer der Stiftung MyHandicap, und Prof. Stephan Böhm, Direktor des CDI-HSG

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