Hintergrund - 30.10.2023 - 09:45
Gastgeber Dr. Tobias Wolf, Gründer von Online Doctor und wissenschaftliche Mitarbeiter am KMU-Institut der HSG, begrüsste die rund 1200 Anwesenden mit einem Rückblick auf die Geschichte des KMU-Tags. Anhand von Beispielen wie Elektroscooter oder QR-Codes zeigte er die Bedeutung des richtigen Momentums für den Erfolg von Produkten oder Technologien auf. HSG-Rektor, Prof. Bernhard Ehrenzeller, gratulierte zum Jubiläum und bezeichnete das Motto «Momentum» aufgrund seiner Vieldeutigkeit als «inspirierend.» 99 Prozent der Schweizer Unternehmen seien KMU. «Sie sind es also, die das wirtschaftliche Momentum unseres Landes prägen.»
SRF-Anchor Arthur Honegger führte durch die Tagung und stellte HSG-Alumna und «Tech Optimistin» Nicole Büttner, CEO von Merantix Momentum, als erste Referentin vor. Sie sei immer wieder überrascht, wie viele KMU in Nischen Weltmarktführer seien. In Zeiten von Künstlicher Intelligenz (KI) pralle diese Spezialisierung aber auf eine «neue Weltordnung» der Generalisierung. «Die Komplexität der Themen ist heute so hoch, dass man sie allein nicht mehr bewältigen kann.» Generative KI bezeichnete sie als «Game Changer»: «Funktionen wie HR, Vertrieb, Marketing oder Finanzen erhalten dadurch einen grossen Boost. Das ist ein Momentum.» Zudem: Die Tools seien einfach nutzbar, weshalb sie ans Publikum appellierte, auszuprobieren und Erfahrungen zu sammeln. Damit der Einsatz gelinge, müsse man die Mitarbeitenden mitnehmen und transparent kommunizieren. Weiter sollten sich Unternehmer fragen, wie sie ihre Daten monetarisieren können, um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Da scheint es Nachholbedarf zu geben: Die Frage, wer bereits eine Datenstrategie habe, bejahte kaum jemand im Publikum.
Dr. Bernhard Heusler, ehemaliger Präsident des FC Basel, sprach über Leadership. «Die Aufgabe der Führung ist es, für die Menschen da zu sein, die ihr anvertraut sind.» Dabei müsse man bedenken, dass Teams anders aussehen als vor zehn oder 20 Jahren, nämlich heterogener, multi-kultureller, mehrsprachiger und individueller – nicht nur im Fussball. Bei der Zusammensetzung sei die Einstellung wichtiger als die Fähigkeiten: «Attitude over Skills», wie Bernhard Heusler sagte. Je erfolgreiche der FC Basel war, desto mehr Fehler habe man diesbezüglich gemacht. Doch eine falsche Rekrutierung könne das Team ruinieren. Überhaupt sei Erfolg ein zweischneidiges Schwert, denn Erfolgsdruck könne Selbstmotivation ersticken. Als Führungsperson solle man darum keinen Druck aufbauen, sondern Vertrauen schenken. «Denn aus Vertrauen wird Selbstvertrauen.» Negatives Momentum bezeichnete er als Chance, Dinge zu verändern. «Wir haben 2006 durch die 'Schande von Basel' sehr viel gelernt. Ohne das wären die darauffolgenden acht Meistertitel nicht möglich gewesen.»
Bei der traditionellen «Inspiration Session» pitchten drei Start-ups um die Gunst des Publikums: Den Auftakt machte Philomena Schwab, die mit ihren Stray Fawn Studios schon einige erfolgreiche Videospiele entwickelt hat. Als Indie-Game-Studio mache man von A bis Z alles selbst und beziehe die Gamer früh mit ein. Da die Entwicklung eines Spiels rund zwei bis vier Jahre dauert, könne man sich keine Flops erlauben. Die Spiele von Stray Fawn haben auch einen edukativen Charakter und können von Schulen kostenlos genutzt werden. HSG-Alumnus Pascal Bieri präsentierte die Geschichte von Planted. Das Scale-up wurde 2019 gegründet, um den Fleischkonsum zu revolutionieren. Inzwischen habe man über 200 Mitarbeitenden und die Produkte seien in ganz Europa erhältlich. Die hohen Emissionen, die Fleischkonsum verursache, seien die tägliche Motivation. Angesichts der weltweit steigenden Konsums wolle man Alternativen anbieten, welche die positiven Eigenschaften von Fleisch imitieren. «Essen ist sehr kulturell. Deshalb müssen wir Produkte machen, mit denen man bekannte Gerichte 1:1 ersetzen kann.»
Melusine Bliesener und Katharina Lehmkuhl von HSG-Spin-off Papydo machten den Abschluss. Sie leisten mit Verpackungspapier aus Grass einen Beitrag zur Nachhaltigkeit. Die Herstellung von Papier ist ressourcenintensiv und Geschenkpapier, das häufig mit Folie und Glitzer überzogen ist, lässt sich kaum rezyklieren. «Unsere Vision ist es, dass bei Geschenkverpackungen kein Abfall mehr entsteht.» Ende 2022 erhielten sie bei «Die Höhle der Löwen» eine erste Fremdfinanzierung und viel Aufmerksamkeit. Das Publikum votierte aber für Planted als vielversprechendstes Start-up. Als Preis erhielt Pascal Bieri eine kostenlose Teilnahme beim Führungsseminar des KMU-HSG.
Beim «KMU-Talk» fühlte Arthur Honegger einer Unternehmerin und zwei Unternehmern auf den Zahn: Im Zentrum stand der Umgang mit Veränderung. Interessanterweise hatte die Pandemie positive Auswirkungen für alle drei: So verzeichnete Zollinger Bio, das Saatgut-Unternehmen, das HSG-Alumnus Til Zollinger mit seinen drei Brüdern führt, eine vorübergehende Verdoppelung der Nachfrage. «Die Leute waren zu Hause und brauchten ein Hobby.» Man musste aber grosse Anstrengungen unternehmen, um die Nachfrage zu bewältigen. Dasselbe gilt auch für Tanja Zimmermann-Burgerstein («Burgerstein Vitamine») und ihr Team. Denn im Zuge der Pandemie sei das Bewusstsein für die persönliche Gesundheit stark gestiegen. «Wir hatten ein paar strategisch richtige Entscheidungen im Vorfeld getroffen und sind wahnsinnig gewachsen.» Auch für Claudio Minder, Co-CEO von Kybun Joya Swiss, hatte die Pandemie letztlich positive Folgen: Da der Absatz um rund 25 Prozent eingebrochen sei, habe man sich Gedanken über den Vertrieb gemacht. Ein wichtiger Kunde, der Schuhfachhandel, sterbe langsam aus. Deshalb habe man die Online-Präsenz verstärkt und ein Franchise-Modell entwickelt, was sich heute auszahle.
Letztes Highlight war die Keynote von Thomas Zurbuchen, ehemaliger Wissenschaftsdirektor der NASA. «Ich fühle mich sehr wohl bei KMUs», offenbarte er und zog Parallelen zur NASA: Ein schwieriges Umfeld und Unsicherheiten, die grosse Bedeutung von Führung und Team, das gelte hier wie dort. Um erfolgreich zu sein, müsse man im Team die beste Idee finden. «Nicht meine beste Idee. Das eigene Ego darf dem Erfolg nicht im Weg stehen.» So bezeichnete er Fragen und Feedback als «Geschenke», die Führungspersonen besser machen. Anhand persönlicher Beispiele illustrierte er, wie ihn Einwände von Team-Mitglieder abgehalten hätten, Fehler zu begehen. Weiter plädierte er dafür, zu experimentieren und Dinge auszuprobieren. «Das Gesetz der Natur ist Veränderung.» Deshalb dürfe man die Leute nicht davor schützen. Um zu lernen, sei es wichtig, über Fehler so aktiv zu kommunizieren wie über Erfolge. «Wenn sich etwas schnell verändert: Tun sie was. Zu hoffen, dass es einfach vorbei geht, funktioniert nicht.» Dass man dabei mit Unsicherheiten umgehen müsse, sei klar. Denn Entscheidungen seien nie zu 100 Prozent richtig.