Forschung - 17.08.2023 - 09:00
In den vergangenen Jahren war nachhaltiges Investieren in aller Munde. Manche sind allerdings der Meinung, dass die Bemühungen, Investitionen als nachhaltig zu kennzeichnen, sogar kontraproduktiv sein könnten. Dieser Ansicht zufolge ist nachhaltiges Investieren nicht nur wirkungslos bei der Lösung grosser Probleme wie dem Klimawandel, sondern sogar schädlich, da es uns davon abhält, Massnahmen zu ergreifen, welche die Herausforderungen durch den Klimawandel wirklich angehen, wie etwa staatliche Regulierungen. Forschende der Universität St.Gallen, der Universität Zürich und der MIT Sloan School of Management wollten dies erforschen.
Wir haben uns mit zwei Mitgliedern des Forschungsteams, HSG-Assistenzprofessor Julian Kölbel vom Center for Financial Services Innovation (FSI-HSG) und Assistenzprofessor Stefano Ramelli vom Swiss Institute of Banking and Finance (s/bf-HSG) getroffen, um ihre Studie samt ihrer Bedeutung für die Branche zu verstehen.
Professor Kölbel und Professor Ramelli, was hat Sie zu dieser Forschung inspiriert?
Ramelli: In der Schweiz gab es am 18. Juni eine Abstimmung über das Klima- und Innovationsgesetz, welches das Land verpflichtet, bis 2050 das Netto-Null-Ziel zu erreichen. Mit 59 Prozent hat die Mehrheit für das Gesetz gestimmt. Wir haben im Vorfeld der Abstimmung die Möglichkeit gesehen, eine Studie durchzuführen, die sich auf die Interaktion zwischen nachhaltigem Investieren und Regulierung konzentriert.
Kölbel: Das war wirklich eine einmalige Gelegenheit. Vor der Abstimmung haben wir eine repräsentative Stichprobe von rund 2000 Schweizer Einwohnerinnen und Einwohnern genommen und diese zufällig in zwei Gruppen aufgeteilt. Die eine Gruppe hatte die Möglichkeit, in einen «Klimafonds» zu investieren, die andere nicht. Dann haben wir uns die Ergebnisse angeschaut, um zu sehen, ob die Gelegenheit, nachhaltig zu investieren, das politische Engagement beeinflusst hat. Wir haben nicht nur angesehen, wie die Leute abstimmen wollen, sondern auch ob sie bereit sind den Wahlkampf ihres bevorzugten Lagers finanziell zu unterstützen.
Was haben Sie herausgefunden?
Kölbel: Kurz gesagt, es stimmt nicht, dass nachhaltiges Investieren die Unterstützung der Leute für das Klimagesetz untergraben hat. Es gibt sogar gewisse Anzeichen für das Gegenteil. Diejenigen, welche die Möglichkeit hatten, in den Klimafonds zu investieren, haben das Klimagesetz etwas mehr unterstützt. Unsere wichtigste Erkenntnis war, dass nachhaltiges Investieren die Bemühungen, nachhaltigkeitsbasierte Regulierung voranzubringen, nicht gefährdet.
Ramelli: Wir denken, dieses Ergebnis zeigt auch, dass es keine Hinweise dafür gibt, dass nachhaltiges Investieren kontraproduktiv ist. Das ist wichtig. Dennoch sind wir weiterhin der Meinung, dass die Menschen die positiven Effekte nachhaltiger Investmentfonds überschätzen. Daher bleibt die Steigerung der tatsächlichen Auswirkungen dieser Produkte für uns ein wichtiger Bereich, auf den man sich konzentrieren muss.
Werfen Ihre Erkenntnisse Licht auf ein grösseres Problem?
Kölbel: Ja. Ein grosses Problem besteht darin, dass wir weltweit jedes Jahr neue Temperaturrekorde aufstellen; obwohl die Wissenschaft weiss, wie es weitergehen wird, ist der Weg nicht klar.
Ramelli: Wir wissen, dass es viele Instrumente gibt, um etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen. In der EU und in der Schweiz gibt es zwar eine CO2-Steuer, aber eine globale CO2-Steuer wäre ideal. Aber dafür benötigt man politische Mehrheiten und internationale Kooperation, was sehr schwierig zu erreichen ist.
Kölbel: Was kann man also auf individueller Ebene tun? Weniger zu fliegen und unser Konsumverhalten anzupassen, sowie Protestieren und sich möglicherweise sogar auf der Strasse festzukleben, sind verschiedene Optionen, um Bewusstsein für Wandel zu schaffen. Nachhaltiges Investieren ist eine weitere Option, die dazu beitragen kann, Lösungen zu fördern, indem Unternehmen ermutigt werden, auf hilfreiche Art zu investieren und Neuerungen einzuführen.
Ramelli: Es ist keine leichte Frage, welche Option man wählen soll. Wenn wir glauben, dass Bemühungen für eine Option die Bemühungen für andere Optionen reduzieren, müssen wir sorgfältig abwägen, welche Option für das vorliegende Problem am besten ist. Aber wenn es umgekehrt ist, nämlich so dass Menschen durch Engagement beim Investieren auch an anderer Stelle motiviert sind zu handeln, ist die Abwägung weniger kritisch. Die Botschaft ist dann, nicht zu viel Zeit mit dem Abwägen der Optionen zu verbringen. Etwas zu tun, überhaupt etwas zu tun, kann wichtiger sein, als Optionen zu vergleichen.
Kölbel: Genau. Es gibt keine Wunderwaffe, um die Herausforderungen der Nachhaltigkeit zu lösen. Nachhaltiges Investieren ist eine der vielen verfügbaren Optionen. Diese Option allein ist sicherlich ungenügend, aber ein wichtiger Teil der Lösung.
Wie können wir nachhaltige Investmentfonds besser kennzeichnen? Welche Änderungen würden Sie gerne sehen?
Ramelli: Labels sind bei nachhaltigen Geldanlagen sehr wichtig, denn sie geben Verbraucherinnen und Verbrauchern ein klares Signal bezüglich der Produktqualität, die ansonsten schwer zu ermitteln ist. Das gilt vor allem für das Ausmass der Wirkung: Ermöglicht dieses Produkt, dass ich zu einer besseren Welt beitrage?
Kölbel: Meiner Meinung nach ist eine wichtige Frage, wann ein Produkt gut genug ist, um ein Label zu erhalten. Sollten Labels sehr streng sein, sodass nur die besten Fonds ein Label bekommen? Oder sollten Labels so angelegt werden, dass sie die schlimmsten Arten von Greenwashing verhindern und eine grosse Akzeptanz sicherstellen? Die Antwort ist nicht klar. Eine Überlegung bei diesem Entscheid ist ein Kompromiss zwischen Hauptwirkung und Nebenwirkung, ähnlich wie beim Zulassungsverfahren für Medikamente. Wenn ein Medikament starke Nebenwirkungen hat, sollte es nur genehmigt werden, wenn es sehr wirksam ist. Wenn die Nebenwirkungen harmlos sind, kann die Grenze für die Wirksamkeit herabgesetzt werden.
Ramelli: Gemäss unseren Ergebnissen gibt es auf der Verhaltensebene keine Nebenwirkungen von nachhaltigen Anlageentscheiden auf das politische Engagement. Natürlich kann es andere Nebenwirkungen geben, zum Beispiel, wenn nachhaltiges Investieren dazu führt, dass Menschen sich ein zweites Auto kaufen oder mehr fliegen usw. Aber das Ergebnis unserer Studie stützt die These, dass auch kleine oder ungewisse Wirkungen bei der Kennzeichnung von nachhaltigen Anlageprodukten berücksichtigt werden sollten. Es bleibt sehr wichtig, die Wirksamkeit von nachhaltigen Anlageprodukten zu steigern.
Was möchten Sie noch erforschen? Wie kann nachhaltiges Investieren besser werden?
Kölbel: Mich interessiert die Umsetzung von persönlichen Präferenzen in Finanzprodukte, die reale Auswirkungen haben. Dies beinhaltet viele Aspekte – von der Kundenwahrnehmung solcher Produkte über Bewertungssysteme für Unternehmen bis hin zu tatsächlichen Investitionen in die Infrastruktur. Ich möchte sicherstellen, dass nachhaltiges Investieren als Ganzes einen maximal positiven Effekt hat.
Ramelli: Ich stimme Julian zu. Wir müssen das Beste aus der Bereitschaft der Menschen machen, nachhaltige Themen anzugehen. Für die Forschung im Finanzbereich wird es eine wichtige Herausforderung sein, sich das menschliche Verhalten in seiner facettenreichen Komplexität über das hinaus anzuschauen, was üblicherweise in der Finanzliteratur getan wurde. Nachhaltige Anlegerinnen und Anleger haben nicht nur «prosoziale Präferenzen», sondern sie wollen durch ihre Investitionsentscheide, aber auch durch ihre individuellen, politischen und Konsumentscheide tatsächlich Teil des Wandels sein. Ich hoffe, dass unsere Studie einen Beitrag in diese Richtung leisten wird.
Lesen Sie das Original-Forschungspapier «Is sustainable investing a dangerous placebo?»
Julian Kölbel ist Assistenzprofessor am Center for Financial Services Innovation (FSI-HSG) und Stefano Ramelli ist Assistenzprofessor am Swiss Institute of Banking and Finance (s/bf-HSG).
Bild: Adobe Stock / stokkete
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