Hintergrund - 19.09.2023 - 08:00
Schriftsteller Lukas Bärfuss eröffnete das Symposium im voll besetzen Audimax der Universität St.Gallen (HSG) mit einer künstlerischen Intervention. Seine Zeit als «Artist in Residence» am SQUARE hatte ihm eine schmerzliche Lektion erteilt: Er habe den Eindruck gewonnen, dass an der Universität gelernt und gelehrt werde, wie man Dinge richtig macht. Wer das Privileg einer Hochschulbildung geniesst, sollte sich aber viel häufiger fragen, ob man auch die richtigen Dinge tue. Zum Beispiel, ob der Wohlstand der Gesellschaft nicht an anderen Kennzahlen gemessen werden sollte als am Wirtschaftswachstum. «Wir brauchen Wachstum, aber es bringt uns um, indem es unsere Lebensgrundlage zerstört: Diese Erkenntnis tut weh», sagte Bärfuss und fuhr fort: «Wir können nicht unauflösbare Widersprüche wie diesen produzieren und sie dann nicht begleiten. Sollte es nicht Common Sense sein, dass wir mit Blick auf Artensterben und Klimawandel hier und jetzt alles neu denken und ändern müssen?» Er schloss mit dem Plädoyer, die Literatur als Quelle der Imagination zu nutzen: «Denn wir brauchen ein klares Bild davon, wie wir die Zukunft gestalten wollen.»
In seiner Begrüssung blickte HSG-Rektor Prof. Dr. Bernhard Ehrenzeller auf die 125-jährige Geschichte der HSG zurück und plädierte für mehr Austausch auf Augenhöhe: «Wir alle sollten Lehrende und Lernende sein.» Die Zeit der Universitäten als Monopolisten des Wissens und der höheren Bildung sei vorbei. «Das ist eine gesunde Entwicklung, denn Monopole sind weder nützlich noch nachhaltig.» Gegenseitiges Lernen sei auch über Disziplinen hinweg nötig, weshalb die HSG ab 2025 ein Kollegium plant: «Mit dem St.Galler Collegium brechen wir die disziplinären Silos auf und schaffen Raum für interdisziplinäre Fellows, die sich mit den drängendsten Fragen unserer Zeit auseinandersetzen.»
In seinem Referat betonte Prof. Dr. Oliver Gassmann den grossen Einfluss der Technologie, insbesondere auf die Art, wie wir künftig lehren und lernen werden. Gleichzeitig warnte er vor überzogenen Erwartungen. So seien beispielswiese die Massive Online Open Courses, kurz MOOCs, nicht jene disruptive Kraft, wie viele geglaubt hätten. Eine «Demokratisierung der Bildung» hätten sie nicht bewirkt, da die Mehrheit der Personen, die MOOCs belegen, über einen Hochschulabschluss verfügen. «Technologie wird niemals gute Lehrer ersetzen, aber in deren Hand kann sie eine enorme Veränderung bewirken», so Gassmann.
Mit der Frage, wie sich Wissensinstitutionen entwickeln müssen, um die nächste Generation bestmöglich auf die Zukunft vorzubereiten, setzten sich ein hochkarätiges Podium auseinander: «Menschen an Universitäten haben die Möglichkeit und die Verantwortung, zu reflektieren, zu verändern und zu handeln», sagte Prof. Dr. Daniel Traça von der Nova School of Business and Economics in Lissabon. Er betonte ans Publikum gerichtet: «Als Universitätsgraduierte haben Sie das Wissen, um wichtige Probleme in Wirtschaft und Gesellschaft zu lösen. Verändern Sie die Welt zum Guten!» Prof. Dr. Michael O. Hengartner, Präsident des ETH-Rats, machte sich für herausragende Lehrfähigkeiten stark: «Gutes Teaching ist das Herzstück jeder Universität.» Ergänzend dazu riet Prof. Dr. Nikolaj Malchow-Møller, Präsident der Copenhagen Business School, mehr externe Fachleute an Hochschulen einzuladen und Angebote des lebenslangen Lernens für die Faculty zu schaffen. WU Wien-Rektorin Prof. Dr. Edeltraud Hanappi-Egger gab schliesslich zu bedenken, dass neben der Forschung die Lehre mittels Anreizen stärker gefördert werden müsse. Nicht überraschend wurden Rankings kontrovers diskutiert: Oliver Gassmann riet, nicht nur der Ranking-Matrix zu folgen und darüber den Sinn der Wissensorganisation zu vergessen. Michael O. Hengartner ärgerte sich über die eindimensionale Art von Rankings, den Wert von Universitäten zu messen. Am Ende gelte es ja, die beste Universität gemessen an der eigenen «raison d`etre» zu sein. Auch Edeltraud Hanappi-Egger äusserte sich kritisch: «Ich würde nie im Leben Rankings als Lenkungsinstrument für interne Entscheidungen wählen.»
Gäste und Referent:innen vertieften am Nachmittag in elf Workshops verschiedene Aspekte der Entwicklung der Hochschulbildung. Diskutiert wurde über Nachhaltigkeit, KI in der Lehre, die Frage, welche Art von Wirtschaftsverständnis gelehrt werden sollte, Weiterbildung im digitalen Zeitalter, Hochschulbildung in Asien und Afrika sowie über die Frage, was im Zentrum der universitären Ausbildung stehen sollte: Nur Wissen und Persönlichkeitsbildung oder zugleich auch die Kunst, ein gedeihliches Leben zu führen?
Das letzte Panel unter der Leitung von Prof. Dr. Jamie Gloor widmete sich der Nachhaltigkeit. Die Panelisten, Prof. Judith Walls, Claire Shine und Prof. Dr. Sascha Spoun waren sich einig, dass Klimawandel, Artensterbens sowie ein Mangel an Verantwortungsbewusstsein die grössten Probleme sind. Claire Shine, ehemalige Leiterin des Cambridge Institute for Sustainability Leadership, forderte, dass Universitäten ihre Rolle als «Changemaker» annehmen müssten. Studierende darauf vorzubereiten, die grossen Herausforderungen zu bewältigen, ist gemäss Judith Walls die Daseinsberechtigung von Hochschulen. «Warum sonst sind wir hier?» Sasha Spoun betonte die Wichtigkeit der Unabhängigkeit der Forschung und Lehre. Auch wenn man sich auf dem Podium einig war, dass gerade Business Schools in den letzten Jahren in Puncto Nachhaltigkeit viel getan haben, warnte Claire Shine, dass es noch schneller gehen müsse. «Können wir agiler und partizipativer werden, um denjenigen zu helfen, die an vorderster Front stehen?» Dies sei ein spannender Ansatz, um über die Hebelwirkung von Universitäten nachzudenken. Dass die Komplexität der Institutionen sowie langwierige Prozesse und Verfahren hinderlich seien, darüber herrschte Einigkeit. Trotzdem gab man sich zum Abschluss hoffnungsvoll. Nicht zuletzt dank der neuen Generation von Studierenden, die sich der grossen Probleme sehr bewusst sei.
Bilder: Universität St.Gallen / Tomek Gola
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