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Campus - 25.03.2024 - 10:15 

Ist die Ruhe vor dem Sturm vorbei?

Am diesjährigen START Summit durften natürlich auch zahlreiche Startups aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) nicht fehlen. Möglichkeiten, um hier zu innovieren und auch grosse Player herauszufordern, gibt es zuhauf, auch für Schweizer Jungunternehmer:innen.
Am diesjährigen START Summit mahnte Matt Clifford, dass wir in den letzten Monaten lediglich die Ruhe vor dem Sturm erlebten.

Die meisten Studierenden kennen es: Man hat viel Lernstoff auswendig zu lernen und möchte dafür Lernkarten erstellen. Doch deren Anfertigung frisst bereits einen Grossteil der Lernzeit, ohne dass der Stoff bereits im Gedächtnis verankert wäre. Gut gibt’s mittlerweile Künstliche Intelligenz in Form von Large Language Models (LLM), haben sich da HSG-Absolvent Dominik Gebhard, HSG-Master-Student Nikola Bulatovic und Florin Barbisch gedacht. Die drei haben erst vergangenen Oktober das Startup Studyflash gegründet, welches eine KI-Anwendung anbietet, die automatisiert digitale Lernkarten zu einem spezifischen Lernstoff erstellt, den man der KI zuvor in Form von Skripts, Slides oder anderen Quellen eingeben kann. Seit der Gründung konnten sie bereits 25'000 Nutzende gewinnen.

Erst die Oberfläche angekratzt

Bulatovic und Gebhard präsentierten ihre Geschäftsidee an einem Messestand am diesjährigen START Summit, einer der grössten von Studierenden organisierten Startup- und Techkonferenzen Europas. Mit dem Schlagwort «Artificial Intelligence» oder «AI» wurde man als Besucher:in an der diesjährigen Ausgabe in den Olma Hallen in St.Gallen auch sonst überall bombardiert, sei es bei weiteren Messeständen von sich anpreisenden Jungunternehmen oder während den Speakersessions auf den fünf Bühnen, wo Nacheiferer von grossen Tech-Visionären wie Elon Musk oder Steve Jobs teilweise stilecht in Rollkragenpullis die kommende KI-Revolution verkündeten. Wer nach dem Abklingen der medialen Wellen rund um ChatGPT bereits das Ende einer weiteren Techblase vermutete, wird hier eines Besseren belehrt. «2023 erlebten wir erst die Ruhe vor dem Sturm», mahnte etwa Speaker Matt Clifford, britischer Unternehmer und Wegbereiter des letztjährigen «AI Safety Summit», einer internationalen politischen Zusammenkunft, an welcher Sicherheitsthemen rund um KI beraten wurden. Und auch sonst vermögen an diesem ersten strahlend-sonnigen und warmen Frühlingstag die zahlreichen Speaker mit ihrer KI-Euphorie den Aufbruch, der im Freien zu spüren ist, in die dunklen Olma-Hallen hineinzutragen: Da ist von hundertfachem Wachstum im Bereich der Robotik in den nächsten Jahren zu hören, oder dass erst ein Prozent der Unternehmen das wirkliche Potential von KI nutze und wir mit den derzeit verfügbaren KI-Tools erst an der Oberfläche kratzen würden.

Schweizer Startups sind auch im KI-Bereich wettbewerbsfähig

Dass diese Euphorie berechtigt ist, bestätigt Prof. Dr. Dietmar Grichnik, Experte für Entrepreneurship an der Universität St.Gallen (HSG): «Bei der Generativen KI [wie etwa ChatGPT für Sprache eine ist, Anm. d. Red.], stehen wir am Anfang des nächsten iPhone-Moments.» Wie die App-Entwickler während der Verbreitung der Smartphones diese als Plattform für ihre Geschäftsidee nutzten, stützen sich auch viele der derzeitigen Startups im KI-Bereich auf generative Modelle von grossen Techkonzernen. Auch das Startup Studyflash hat ihre Lernkarten-KI auf dem LLM von OpenAI aufgebaut und weiterentwickelt. Und wer das Netz nach der Domain «.ai» durchforstet stösst auf zahlreiche neue Anwendungen: Da gibt es nützliche Tools wie jenes vom Schweizer Startup Optiverse, das einem lange Videos in Kurze zu verwandeln vermag, oder das Berner Jungunternehmen retinai, das mittels KI und Netzhautscans in der Früherkennung von Krankheiten mithilft – den Möglichkeiten scheinen derzeit kaum Grenzen gesetzt. Doch wie nachhaltig sind diese Chancen gerade für Schweizer Startups, die derzeit wie Pilze aus dem Boden schiessen wirklich? Werden sie langfristig gegen die grosse Tech-Supermacht aus Übersee Bestand haben können? Dazu Prof. Dr. Grichnik: «Wir sehen Schweizer Softwareunternehmen im Bereich der KI wie LatticeFlow, welche durch ihre Nähe zur Forschung und hiesigen Hochschulen durchaus wettbewerbsfähig sind.»

Fehlende Regulierung: Vor- und Nachteil zugleich

Eine wichtige Rolle beim Gründen spielt auch im KI-Bereich der regulatorische Rahmen. Während in der EU die entsprechende Gesetzgebung bereits fortgeschritten ist, ist die Schweiz bislang noch zurückhaltender. Dies könne für Schweizer Startups sowohl Vor- als auch Nachteile haben, betont Prof. Dr. Thomas Burri, HSG-Experte für Technologierecht. Auf der einen Seite könne man mit der EU-Regulierung schon erahnen, was auch in der Schweiz gelten wird, ohne sich bereits jetzt bis ins kleinste Detail an ein Gesetz halten zu müssen. So könne man noch etwas mehr Freiraum geniessen. Die Gefahr bestehe jedoch, dass man so die Verpflichtungen möglicherweise unterschätzt und die Compliance auf die lange Bank schiebt: «Später wird es dann umständlicher Compliance zu erstellen, wenn das eigen Produkt bereits fortgeschritten ist.»

Investmentkriterien: Agilität sowie Domänen- und Technologiewissen

Der KI-Boom ist natürlich auch ein lockendes Geschäft für Investor:innen. Adrian Locher, HSG-Absolvent und Co-Founder der KI-Investment-Plattform Merantix betonte während einer Podiumsdiskussion jedoch, dass es derzeit eine Herausforderung sei, bei den zahlreichen Neugründungen die zukünftigen Gewinner auszumachen. Der Markt sei so dynamisch und schnell, dass ein Produkt heute noch vielversprechend erscheint und morgen schon veraltet oder von grossen Playern selbst eingeführt wurde, sagt Andre Retterath von Earlybird Venture Capital. Der ebenfalls am Podium teilnehmende Andreas Goeldi von b2venture schaue daher bei Gründer:innen immer darauf, ob die Teams agil und iterativ aufgestellt sind, um auf die dynamischen Entwicklungen am Markt auch schnell reagieren zu können: «Oftmals gelingt dies kleinen Teams besser.» Alle drei Business Angels sind sich darüber einig, dass sie darauf achten, dass das Gründungsteam neben Fachwissen im Anwendungsbereich der KI-Lösung auch mindestens über eine Person mit einem technischen Background verfügt. Diese goldene Regel bestätigt auch Prof. Dr. Oliver Gassmann, Experte für Innovationsmanagement an der HSG: «Erst die Kombination von Technologie- und marktrelevantem Industriewissen generiert den Erfolg.» Und wie bei allen Startups gelte auch im KI-Bereich die Devise: «Think big, start small, fail cheap and move fast.»

Die beiden Jungunternehmer Bulatovic und Gebhard scheinen mit ihrer Lernkarten-KI viele dieser goldenen Startup-Regeln zu befolgen. Mit Mitgründer und Data-Science-Student Florin Barbisch haben sie jedenfalls technologische Expertise im Team und auch das vertiefte Domänenwissen dürfte den studentischen Gründern niemand abstreiten. Und so bleibt für die drei Jungunternehmer zu hoffen, dass sie nicht vom Sturm hinweggefegt werden, dessen Winden sie gerade helfen zu säen.

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