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Forschung - 05.04.2024 - 10:00 

Verzerrungen in der Menschenrechtsberichterstattung

Die UNO hat ein Verfahren eingerichtet, das es jedem Menschen ermöglichen soll, Menschenrechtsverletzungen an die Öffentlichkeit zu bringen. Eine neue Studie der HSG zeigt jedoch, dass dieses Prozedere sehr einseitig in Anspruch genommen wird.

Wie viele andere Bereiche des Völkerrechts basiert auch die globale Durchsetzung von Menschenrechten stark auf dem Prinzip der gegenseitigen Kontrolle und des öffentlichen und diplomatischen Druckes. Die gegenseitigen Beschuldigungen unter Staaten sind jedoch oft geopolitisch motiviert und daher ein schlechter Gradmesser für die tatsächliche Menschenrechtslage in den einzelnen Ländern. Daneben haben sich auch Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty international oder Human Rights Watch der öffentlichen Dokumentierung von Menschenrechtsverletzungen verschrieben. Doch auch diese geben die Menschenrechtslage nicht exakt wieder, sagt Dr. Christoph Steinert vom Institut für Politikwissenschaft an der Universität St.Gallen. «Studien zeigen, dass NGOs ihre Berichte teilweise nach der Interessenlage ihrer Spender:innen ausgestalten». Zudem kämen sie oft schlecht an Informationen aus Ländern, in welchen zivile Organisationen stark unterdrückt werden. 

Öffentlicher Druck ist wirksam

Um solche Mängel in der Menschenrechtsberichterstattung zu beheben, hat das Uno Hochkommissariat für Menschenrechte selber ein Klageverfahren für Individuen und zivilrechtliche Akteure eingerichtet, die sich dort an unabhängige Expert:innen wenden können. Diese prüfen und veröffentlichen die beanstandeten Menschenrechtsverletzungen, um Druck auf die betroffenen Staaten aufzubauen. Derartige internationale Mechanismen können tatsächlich zur Stärkung der Menschenrechte beitragen, sagt Christoph Steinert: «Es gibt wissenschaftliche Evidenz, dass dieses Naming und Shaming wirklich einen Unterschied macht.»

Die USA ganz vorne mit am Pranger

Voraussetzung für die Effektivität dieses Verfahrens ist natürlich, dass es allen Menschen bekannt ist, allen gleichermassen zur Verfügung steht sowie einfach und sicher durchzuführen ist. Und genau hier hakt es nun aber auch beim UNO-Mechanismus, wie eine neue Studie von Christoph Steinert nahelegt. Darin konnte er zeigen, dass über das UNO-Prozedere mehr Menschenrechtsverletzungen aus reicheren Ländern gemeldet werden als aus weniger entwickelten Staaten. «Die USA sind etwa ganz vorne auf der Liste der veröffentlichten Klagen mit dabei, obwohl die Menschenrechtslage hier relativ gut ist, z.B. im Hinblick auf Freiheitsrechte und die Rechte, nicht willkürlich inhaftiert oder gefoltert zu werden», sagt Christoph Steinert. Ärmere Länder, von welchen massive Verstösse bekannt sind, wie beispielsweise Somalia, die Demokratische Republik Kongo oder andere Staaten der Subsahara seien beim UNO-Verfahren jedoch kaum vertreten. Und auch innerhalb eines Landes gäbe es starke Tendenzen, von welchen Personen solche Klagen eingereicht werden. Auch hier spielt der sozioökonomische Status eine wichtige Rolle: «Bei politischen Gefangenen in China sehen wir etwa, dass es vor allem Professor:innen und Jurist:innen sind, welche an die UNO gelangen, und nur wenige Arbeiter:innen oder Bäuer:innen.» 

Verfahren muss zugänglicher gemacht werden

Christoph Steinert sieht daher die UNO in der Pflicht, die allgemeine Zugänglichkeit zum Verfahren zu vereinfachen und das Bewusstsein für dessen Existenz in ärmeren Ländern und Gesellschaftsschichten zu fördern. Zwar kann aktuell ein Antrag relativ einfach online ausgefüllt werden. Dieser muss jedoch entweder in Englisch, Französisch oder Spanisch verfasst sein. Ausserdem müsse offensiver kommuniziert werden, dass die Hinweise auch anonym abgegeben werden können. Denn viele Opfer von Menschenrechtsverletzungen fürchteten sich vor Vergeltungsmassnahmen und schweigen deshalb lieber.

Bild: Unsplash / ddp

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