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Meinungen - 25.07.2024 - 08:30 

Für zwei Handvoll Elektoren: Im Swing State Wisconsin

In den «Swing States» spielt sich der eigentliche Wahlkampf für die Präsidentschaftswahlen im November ab und selbst kleinen Staaten kommt eine Schlüsselrolle zu. HSG-Amerikanistin Prof. Claudia Franziska Brühwiler über den Swing State Wisconsin.
Für zwei Handvoll Elektoren: Im Swing State Wisconsin
Capitol Building und Park in Madison Wisconsin

«Green Bay wird dieses Jahr ein gutes Team haben!» verkündete Donald J. Trump anlässlich seiner Rede am Parteikonvent der Republikaner in Milwaukee. Eigentlich zieht Trump die Welt des Wrestlings und der Mixed Martial Arts jener des American Footballs vor. Das ist spätestens seit 2017 bekannt, als er zum Boykott der National Football League (NFL) aufgerufen hatte, weil einzelne Spieler aus Protest gegen Polizeigewalt und systemischen Rassismus während der Nationalhymne knieten. Trumps optimistische Saisonprognose für die «Green Bay Packers» war denn auch nicht als späte Liebeserklärung an Amerikas Nationalsport Nr. 1 zu verstehen, sondern an die Wählerinnen und Wähler von Wisconsin: «The Pack» ist die NFL-Mannschaft des Staats im Mittleren Westen und verbindet dessen 5.8 Millionen Einwohner:innen mindestens so stark wie die Liebe zu Käse und Bier, für die das «Dairyland» dank deutschen Einwanderern bekannt ist. Nur gerade zehn der gesamthaft 538 Elektorenstimmen, um die sich bei den Präsidentschaftswahlen vom 5. November alles drehen wird, entfallen auf Wisconsin. Diese zehn Stimmen können aber in einem knappen Rennen den entscheidenden Unterschied machen, zählt Wisconsin doch zu den sogenannten «Swing States».

Claudia Franziska Brühwiler
Claudia Franziska Brühwiler, Professorin für Political Theory & American Studies

Swing States – die eigentlichen Schlachtfelder im Wahlkampf

Swing States – die eigentlichen Schlachtfelder im Wahlkampf

In den USA werden Swing States auch gerne als «battleground states» bezeichnet, in denen sich die eigentliche Wahlkampfschlacht abspielt. Statt bewaffnete Truppen werden diese Staaten von Wahlkampfhelfer:innen und Parteibüros besetzt, die der Bevölkerung ständig die Temperatur nehmen – jede prozentuale Verschiebung in der Wählergunst wird registriert, gefeiert oder dramatisiert. Gleichzeitig entfällt nicht nur ein höherer Mittelaufwand auf die «Swing States», auch die Kandidat:innen bereisen diese auffällig oft und sind bemüht, deren Anliegen aufzunehmen. Als am republikanischen Parteikonvent die Delegierten aus Ohio aus Begeisterung für «ihren» Vizepräsidentschaftskandidaten J.D. Vance minutenlang den eigenen Staat bejubelten, meinte ihr junger Senator nur halb-ironisch, es gelte auch Michigan zu gewinnen. Und dazu, möchte man anfügen, die weiteren «battlegrounds» Arizona, Georgia, Nevada, North Carolina und Pennsylvania. Derweil stehen auf der Favoritenliste für Kamala Harris’ Vizekandidaten nicht zufällig die demokratischen Gouverneure aus North Carolina, Pennsylvania und Michigan plus ein Senator aus Arizona.

Dass vergleichsweise kleine Staaten wie Wisconsin und Arizona überproportional viel Aufmerksamkeit erhalten und gegenüber grösseren, aber für die Parteien vorhersehbare Staaten wie dem zuverlässig demokratischen Kalifornien und dem republikanischen Texas mehr Gewicht erlangen, sorgt für Kritik am Wahlsystem und dem «Electoral College». Ähnlich dem Ständemehr in der Schweiz führt dieses aber auch zu einem Ausgleich zwischen bevölkerungsstarken und -armen, ebenso wie zwischen urban und ländlich geprägten Regionen. Der Blick auf die «Swing States» ermöglicht mitunter auch ein besseres Verständnis für Entwicklungen, die andernorts zwar auch vorhanden, aufgrund der Grössenverhältnisse weniger spür- und sichtbar sind.

Swing States
Swing States / Electoral College

Wisconsins Wandel vom blauen zum violetten Staat

Wisconsin ist beispielhaft dafür, da es sich vom einstigen demokratischen Staat des «Rust Belt» zu einem violetten Staat gewandelt hat: Zum ersten Mal seit 1984, als Ronald Reagan ohnehin fast im ganzen Land gewann, wählten Wisconsins Bürger:innen 2016 wieder einen Republikaner zum Präsidenten. Schon sechs Jahre zuvor schlug der Republikaner Scott Walker im Rennen um den Gouverneurssitz den damaligen Bürgermeister Milwaukees, Tom Barrett. Im Gegensatz zu seinem demokratischen Kontrahenten hatte Walker begriffen, wie stark sich der Staat gewandelt hatte: Mit dem Verlust von Arbeitsplätzen in Fertigungsindustrien und dem Wandel der Agrarwirtschaft verloren die Demokraten ihre wichtigsten Wählergruppen. Gerade im ländlichen Wisconsin schwand im Zuge der Finanzkrise von 2008 das Verständnis vieler Wählerinnen und Wähler für die Vorzüge, die in ihren Augen Staatsangestellte genossen. Während letztere 2011 in der Hauptstadt Madison das Kapitol besetzten und dagegen zu protestieren, dass Gouverneur Walker ihre Löhne und ihre Tarifverhandlungsrechte beschnitt, stützte ihn die übrige Bevölkerung, sowohl als er zur Abwahl stand als auch bei seiner Wiederwahl 2014.

Walker erkannte die Entfremdung der «working class» und der ländlichen Bevölkerung von der Demokratischen Partei. Hillary Clinton dagegen sah nicht genauer hin, stützte sich auf positive Umfragewerte und versäumte es, als offizielle Präsidentschaftskandidatin den Staat auch nur ein einziges Mal zu besuchen. Das Pendel schwingt indessen manchmal wieder zurück: 2020 errang Joe Biden einen denkbar knappen Sieg in Wisconsin, mit weniger als einem Prozent Vorsprung gegenüber Donald Trump. Im Zwischenwahljahr 2018 erlitt dann auch Scott Walker eine Niederlage gegen den ehemaligen Lehrer Tony Evers. Damit hat sich der Staat jedoch längst nicht wieder demokratisch blau gefärbt, wie allein der Streit um eine Fahne zeigt, die Evers alljährlich im Juni hissen lässt: Während über dem Kapitol in Madison die «Progress Pride»-Fahne flattert, nutzte der demokratische Gouverneur schon mehr als ein Dutzend Mal sein Vetorecht, um Pläne der konservativen Gesetzgeber zu verhindern, die sich gegen LGBTQ-Anliegen richteten.

Wisconsin wird auch im November ein Schlüsselrolle spielen, wie beide Seiten erkannt haben. Trumps Stimme haben die Green Bay Packers schon – ob die «Cheeseheads» ihm den Gefallen erwidern, zeigt sich erst am 5. November. Kamala Harris wird wohl weniger auf Football setzen, doch auch sie wird die Fehler anderer Demokraten zu vermeiden wissen. Ihr erster Stopp noch vor ihrer Wahl zur offiziellen Präsidentschaftskandidatin ist daher – natürlich! – Wisconsin.

 

Claudia Franziska Brühwiler verbrachte einen einmonatigen Forschungsaufenthalt am Center for the Study of Liberal Democracy an der University of Wisconsin-Madison (UW-Madison). Ermöglicht wurde der Aufenthalt durch ihren Gewinn des Forschungspreises Walter Enggist 2023.

Bild: Adobe Stock / marchello74

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