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Forschung - 20.03.2024 - 16:00 

«Die Mafia ist der Staat der Schattenwirtschaft»

Die Marktwirtschaft gibt es nicht nur in ihrer anerkannten Version. Märkte treten auch im Austausch von illegalen Waren wie im Drogen- oder Menschenhandel auf. Dr. Matias Dewey von Institut für Soziologie an der HSG befasst sich intensiv mit den Marktmechanismen in der Schattenwirtschaft. Im Gespräch erläutert er unter anderem, wie sich illegale Märkte regulieren und welche Rolle der Gewalt dabei zukommt.

Herr Dewey, welche Bedingungen befördern das Entstehen von illegalen Märkten?

Es gibt da natürlich verschiedene Bedingungen. Eine davon sind gesellschaftliche Krisen wie etwa Kriege. Es gibt verschiedene Studien, welche das Anwachsen von illegalen Märkten während des zweiten Weltkrieges dokumentierten. Und nun auch in der Ukraine sind durch den Krieg viele illegale Märkte wie etwa der Drogenhandel aufgeblüht. Daneben sind auch in wirtschaftlichen Krisen mehr Menschen dazu geneigt, Geld mit illegalen Waren verdienen zu wollen. Und wenn wir uns Lateinamerika und den ganzen Drogenmarkt anschauen, sehen wir auch, dass Probleme bei der staatlichen Durchsetzung des Gesetzes und die gesellschaftliche Marginalisierung von grossen Teilen der Bevölkerung zur Entstehung von illegalen Märkten beitragen können.

Sie haben sich in Ihrer Forschung intensiv mit der Funktions- und Organisationsweise von illegalen Märkten auseinandergesetzt. Worin unterscheiden sich diese hauptsächlich von legalen Märkten?

Ich würde sagen es sind drei Hauptunterschiede: Zum einen haben Konsument:innen in illegalen Märkten weniger Einblick in die Qualität eines Produktes. Beim Drogenkauf beispielsweise gibt es keine Angaben über Inhaltstoffe oder Reinheit, wie das auf legalen Märkten häufig Pflicht für Anbieter ist.
Der zweite Unterschied ist die Art des Wettbewerbs. In legalen Märkten gibt es offizielle Spielregeln, an welche sich die konkurrierenden Anbieter halten müssen. In illegalen Märkten gibt es da keine Beschränkungen. Das ist dann auch der Grund, warum es hier häufig zu Gewaltausbrüchen kommt.
Der dritte Unterschied besteht darin, dass in illegalen Märkten weniger Kooperation und Vertrauen herrscht. Denn hier kann man nicht einfach auf einen Rechtsstaat setzen, wenn man in einem Geschäft übers Ohr gehauen wurde.

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Trotz diesen Schwächen von illegalen Märkten scheinen auch dort abgesehen von sporadischen Gewaltausbrüchen viele Transaktionen für die Handelnden «reibungslos» zu funktionieren. Welche Mechanismen spielen hier, um die genannten Schwächen abzufedern?

Gerade wenn es um die Probleme des ungeregelten Wettbewerbs und der Rechtsunsicherheit bei Transaktionen geht, sehen wir, dass Organisationen im Stil der Mafia die Rolle des Staates übernehmen. Wenn ich also betrogen werde, kann ich eine solche Organisation gegen eine Gebühr beauftragen, die dann durch Einschüchterung und Gewalt dafür sorgt, dass meine Anliegen Gehör finden. Wichtig ist, dass die Mafia-Organisationen das gesellschaftliche Misstrauen ausnutzen, um als Schiedsrichter in Streitfällen aufzutreten, sie streben eine staatsähnliche Stellung in der Gesellschaft an. Das Problem der Unsicherheit über die Qualität der Produkte auf illegalen Märkten lässt sich kaum lösen. Das Qualitätsproblem kann nur durch Vertrauensbeziehungen, wie sie beispielsweise zwischen Drogenkäufer:innen und -händler:innen bestehen, entschärft werden.

Wie sind solche typischen Organisationen, welche auf illegalen Märkten agieren, organisiert?

Entgegen der weit verbreiteten Vorstellung sind viele der heutigen kriminellen Gruppen eher lose und netzwerkartig organisiert. Die Leute kennen sich häufig nicht gut und es herrscht oftmals Chaos und Ineffizienz. Klar gibt es einzelne grosse hierarchische Organisationen etwa auf dem Drogenmarkt. Diese sind aber in der Lieferkette eher in der Drogenproduktion angesiedelt als beim Verkauf. Und sie haben selten lange überdauernde alles dominierende Gruppen auf wie etwa einige Drogenkartelle in Südamerika. Es gibt auch hier viel eher mehrere hierarchische Gruppen, die sich um die Vorherrschaft bekriegen und häufig auch nicht lange Bestand haben. Aber eben in vielen illegalen Märkten wie etwa dem Fälschungsmarkt oder dem Markt für gestohlene Waren dominieren losere Netzwerke.

Was entscheidet denn, auf welche Weise sich die Menschen auf illegalen Märkten organisieren?

Ich würde sagen, ein wichtiger Faktor ist, wie stark der Bereich der Strafverfolgung durch die Strafverfolgungsbehörden ausgesetzt ist, was entscheidend dafür ist, wie groß der Druck ist, die Organisation zu straffen und zu hierarchisieren. Wenn das Risiko der Strafverfolgung hoch ist, dann muss man vorsichtiger sein, mit wem man sich zusammentut. Auf illegalen Märkten, die von der Gesellschaft weitgehend toleriert werden, wie z. B. dem Handel mit gefälschten Waren, ist es einfacher zu operieren. Daher können dort lose, ineffiziente Netzwerke besser Erfolg haben. Untersuchungen zeigen, dass illegale Märkte, insbesondere die für Drogen, von dem geprägt sind, was Peter Reuter als "desorganisierte Kriminalität" bezeichnet. Das bedeutet, dass es sich um eher kleine Gruppen handelt, die unregelmäßig handeln, interne Koordinationsprobleme haben und denen es an Erfahrung mangelt. Das bedeutet auch, dass Gewalt nicht das Ergebnis eines bestimmten Elements wie etwa der Organisationsform auf illegalen Märkten ist, sondern von verschiedenen Faktoren abhängt.

Worauf basiert Macht innerhalb der hierarchischen Organisationen. Was entscheidet, wer zur Anführer:in wird?

Das kommt auf die Organisation an. In manchen Gruppen steigt man auf, wenn man über starke Netzwerke verfügt etwa auch zu Kontakten innerhalb der Polizei und des Staates. In anderen wird man respektiert, wenn man viele Menschen getötet hat. Generell spielt die Befähigung zur Ausübung von Gewalt eine starke Rolle bei der Konstituierung von Macht in solchen Organisationen.

Das erinnert an Maos Zitat, dass die politische Macht letztlich «aus den Gewehrläufen» kommt. Doch was befähigt die Chefs solcher Organisation, eine grosse Anzahl an bewaffneten Männern zu befehligen, ohne dass diese ihre Waffen gegen die Chefs selbst richten, um deren Reichtum an sich zu reissen?

Das geschieht durchaus auch manchmal und ist für viele der Gangchefs auch ein Problem, das dazu führt, dass sie häufig aus Verstecken heraus agieren. In manchen Gruppen gibt es aber auch mehrere Chefs. Sollten sich abtrünnige Gangmitglieder gegen einen Chef verschwören und ihn umbringen, müssen sie sich dann immer noch auf Vergeltung von anderen Chefs gefasst machen.

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