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Meinungen - 03.12.2024 - 08:30 

Wie sich Unternehmen und Wirtschaft für die Demokratie einsetzen können

Was ist zu tun, um rechtsextremen Tendenzen in Deutschland und anderen europäischen Ländern entgegenzuwirken? Diese Fragen betreffen auch die Wirtschaft: Wie stehen Unternehmen und Wirtschaftsverbände zum Thema Rechtsextremismus? Wie können sie sich für eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft starkmachen? Thomas Beschorner und Antoinette Weibel von der Universität St.Gallen ordnen ein.

Blicken wir nach Deutschland, beziehen dort allmählich immer mehr Unternehmen und Wirtschaftsverbände durch Kampagnen und Initiativen Stellung für eine demokratische Gesellschaft. Mitunter sind klare politische Positionierungen für Freiheit und Demokratie zu beobachten – und gegen Rechtsextremismus. Initiativen wurden gestartet, Hashtag-Kampagnen schossen aus dem Boden. «A lot of talk».

Prof. Dr. Antoinette Weibel

Die Wirtschaft und die AfD: «talk and walk»

Das war wichtig, aber was folgt daraus in einem nächsten Schritt? Inwieweit handeln Unternehmen, jenseits von öffentlichen Positionierungen? Genauer: Was passiert in Unternehmen, um Massnahmen gegen rechtsextreme Tendenzen zu ergreifen? Denn einem «talk» sollte ja immer auch ein «walk» folgen.

Empirisch wurden diese Fragen bislang nicht untersucht. Unser Eindruck bei der Beobachtung der Diskussion ist jedoch, dass es eine grössere Kluft zwischen öffentlichen Verlautbarungen und weitergehenden praktischen Massnahmen in Unternehmen gibt. Die sich vordergründig aufdrängenden Fragen sind: Wollen Unternehmen sich nicht mehr für eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft engagieren? Oder können sie es nicht, weil ihnen ein Handlungsrepertoire fehlt, entsprechende Massnahmen zu ergreifen? Weitergedacht: Wie können wir Arbeit unter den Bedingungen einer zivilisierten Marktwirtschaft organisieren, die zugleich ökonomisch tragfähig als auch demokratisch anerkennend ist?

«Wollen Unternehmen sich nicht mehr für eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft engagieren? Oder können sie es nicht, weil ihnen ein Handlungsrepertoire fehlt, entsprechende Massnahmen zu ergreifen?»
Prof. Dr. Antoinette Weibel und Prof. Dr. Thomas Beschorner
Prof. Dr. Thomas Beschorner

Die Begeisterung für die Arbeit ist im Sinkflug

Wir verbringen einen Grossteil unserer wachen Zeit im erwerbsfähigen Alter mit bezahlter Arbeit. Schätzungsweise 85'000 Stunden im Laufe eines Lebens. Unser Arbeitsleben prägt also auch Verhalten, Einstellung und Persönlichkeit. Es ist wahrlich keine neue Erkenntnis aus den Arbeitswissenschaften und der Organisationsforschung, dass aktuelle Formen der Organisation von Arbeit zu zunehmenden Belastungen am Arbeitsplatz geführt haben, die ihrerseits massive negativen Konsequenzen haben: Mitarbeitende verfügen immer weniger über die positiven Ressourcen, die sie widerstandsfähig, offen und kreativ halten. 

In der Folge passiert, was zwangsläufig passieren muss: Die Begeisterung für die Arbeit befindet sich im Sinkflug. Das zeigt unter anderem die jährlich durchgeführte Gallup-Befragung, laut der 67% der Beschäftigten in Deutschland nur noch Dienst nach Vorschrift leisten und 19% sogar aktiv unengagiert sind (kleine Sabotageakte in der Organisation inklusiv). Die genannte Studie zeigt zudem deutlich eine zunehmende Wechselbereitschaft, die modisch als «conscious quitting» bezeichnet wird – also die bewusste Suche nach «guter» Arbeit. 

Das alles kostet Unternehmen Geld, sogar richtig viel Geld. Es ist deshalb mit Blick auf nüchterne Fakten nicht einsichtig, weshalb schon allein aus einem Eigeninteresse von Unternehmen heraus, das Thema Arbeit derart stiefmütterlich behandelt wird und Unternehmen ihrer wichtigsten «Ressource» – nämlich ihren Mitarbeitenden – eine im Durchschnitt eher geringe Wertschätzung entgegenbringen. 

Arbeit und Demokratie

Über ein neues Arbeitsverständnis und die Reorganisation von Arbeit in Unternehmen nachzudenken, drängt sich nicht nur aus einer einzelwirtschaftlichen Logik heraus auf. Es bietet auch Chancen für demokratische Entwicklungsprozesse in der Gesellschaft insgesamt. 

Das Verhältnis von Arbeit und Demokratie dreht sich grundlegend um existenzsichernde Entlohnung: Nur wer ausreichend bezahlt wird, hat Zeit und Kapazität, politisch mitzudenken. Zudem rückt die vergessene, aber relevante Idee in den Fokus, dass in einem stärkeren Masse demokratisch und partizipativ angelegten Organisationen, Sinnstiftungen und demokratische Kompetenzen von Beschäftigten entwickelt werden können, die einer Demokratie zuträglich sind. Karl Schreiber, in den 1960er Jahren Personalleiter bei Bosch, brachte diese Überlegung in einem Grundsatzreferat schon vor über 50 Jahren prägnant zum Ausdruck: 

«Der Betrieb ist das zentrale Gemeinschaftserlebnis des arbeitenden Menschen, und das Bild, das er sich dort macht, besitzt Modellcharakter für seine Einstellung zu Wirtschaft und Staat. Dieses Bild beeinflusst damit nicht nur den Geschäftserfolg, sondern auch den Bestand der freiheitlichen Staats- und Gesellschaftsordnung. So gesehen ist die betriebliche Personalpolitik stets ein Teil der Gesellschaftspolitik.»

Angesprochen sind damit grundsätzliche Überlegungen einer Verbindung zwischen Arbeit und Demokratie, die zwar seit den 60er Jahren diskutiert werden und leider aus der Mode gekommen sind, die aber gerade angesichts der antidemokratischen Tendenzen in der Gesellschaft für weitergehende Diskussionen lohnenswert erscheinen. Denn ob als Beschäftigter oder als Bürgerin, es geht hier wie da um eine wirkliche Teilhabe und Teilnahme am und im sozialen Miteinander, um ein Denken, Mitwirken, Mitstreiten, um ein fruchtbares «Einander-Ausgesetztsein». Und es geht in Organisationen wie in der Gesellschaft um ein Geben und Nehmen von vernünftigen Argumenten und guten Gründen. Wir sind stets aufgefordert, Konflikte friedlich und zielführend auszutragen und nach gemeinsamen Lösungen zu suchen. Aus all diesen Gründen sollten wir deshalb dringend ran an die Arbeit. Und uns auch verstärkt in der Wirtschaft für eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft engagieren.


Prof. Dr. Antoinette Weibel ist Ordinaria für Personalmanagement und Direktorin am Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeitswelten (FAA-HSG).

Prof. Dr. Thomas Beschorner ist Ordinarius für Wirtschaftsethik und Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik (IWE-HSG). 


Hauptbild: Adobe Stock / annaspoka

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