close

Leute - 23.10.2024 - 09:00 

Geleibt, gelebt, genossen: Die Modesoziologin Monika Kritzmöller

Sie ist Wissenschaftlerin, Künstlerin und Dozentin an der HSG. Monika Kritzmöller lebt für die Mode. Jedes Outfit der Modesoziologin erzählt eine Geschichte. In unserer Portraitreihe werfen wir das Licht auf interessante Menschen an der HSG.

Würde man eine Modesoziologin auf der Strasse erkennen? So wie eine Polizistin, Fahrradkurierin oder Busfahrerin? Im Fall von Monika Kritzmöller lautet die Antwort: mit Sicherheit. Denn sie fällt auf. Beim Treffen für das Interview trägt sie Riemchensandalen mit Absatz, die so perfekt sitzen, dass sie nicht nur elegant, sondern auch noch bequem aussehen. Gekauft hat sie diese vor vielen Jahren bei einem Pariser Luxuslabel, erzählt sie. Ihre Nägel sind tintenblau lackiert, passend zu ihrem hellen Hautton. Der Pullover selbst gestrickt. Der Rock aus edler St.Galler Stickerei, der Hut aus Stroh. Die Uhr hat Monika Kritzmöller von ihrem Grossvater geerbt. Das linke Handgelenk ziert ein Armband aus Bernsteinperlen. Selbst entworfen. Auch um den Hals trägt sie eine Bernstein-Kette. Natürlich selbst geknüpft. Der Verschluss: ein Skarabäus aus Labradorit, ein Glückskäfer – das ägyptische Symbol für ewiges Leben, erklärt sie. Jedes Detail erzählt eine Geschichte. Und jede dieser Geschichten erzählt immer auch von Monika Kritzmöller.

Vom Wirtschaftsstudium zum Modedesign 

Monika Kritzmöller begeisterte sich schon mit 13 Jahren für das Stricken von Kleidern. Später auch für die Schmuckherstellung, ausserdem für Kunst, insbesondere Radierungen. Weil sie es nicht wagte, Modedesign zu studieren, hatte sie sich für ein Wirtschaftsstudium entschieden – mit einer starken sozialwissenschaftlichen Ausrichtung. Interessant fand Monika Kritzmöller schon damals, dass Konsumentscheidungen in der Mode immer auch Identitätsfragen berühren. Sie spiegeln Träume wider, Sehnsüchte und Zugehörigkeit.

«Mode ist immer Reformation. Änderungen in der Mode markieren soziale Umbruchsituationen.»
Monika Kritzmöller

Nach der Promotion gründete Monika Kritzmöller ihr eigenes Forschungs- und Beratungsinstitut «Trends & Positionen», wo sie aus sozialwissenschaftlichem Blickwinkel Phänomene von Alltagskultur, Lebensstil und Trends untersucht. Zu den Schwerpunkten Textil, Design und Architektur lehrt sie an der Universität St.Gallen. Die Mischung zwischen Forschungs- und Lehrtätigkeit erfüllt Kritzmöller. Sie habe schon immer gerne ihren persönlichen, eigenen Weg verfolgt, sagt sie.

Die Art und Weise, wie sie sich Dingen zuwendet, über sie nachdenkt und ihnen nachspürt, ist faszinierend. Für Monika Kritzmöller, aufgewachsen im Allgäu, ist seit klein auf klar: «Auch Kreativität ist Hinwendung.» Die Hinwendung zu Natur und Handwerk verdankt sie ihrem Vater. Von ihrer Mutter übernahm sie den Sinn für Eleganz, Weiblichkeit und Qualitätsbewusstsein, ganz nach dem Motto: «Nie langweilig, immer hochwertig.» Wie sich selbst beherrscht Monika Kritzmöller auch die Kunst, andere Menschen durch Mode zu lesen, ohne sie darauf zu reduzieren. Ihr Blick ist dabei historisch und soziologisch geschult.

Monika Kritzmöller in ihrem Atelier – mit einer 100 Jahre alten Druckpresse

Eine Künstlerin durch und durch; mit Körper, Seele, Geist in ihre Arbeit versunken

St.Galler Stickerei als Motivbestandteil ihrer in Kupfer geätzten Radierungen

Handwerkskunst: die gedruckte Radierung

Mode als Formensprache 

In ihrer Lehrveranstaltung «Dress-Codes des Erfolgs» empfiehlt Monika Kritzmöller den HSG-Studierenden, Mode als eine Form der Sprache, als «Formensprache» zu verstehen: «Wer bin ich, womit identifiziere ich mich, was für einen Körper habe ich, was trage ich gerne, wie fühlt sich das an?» Der Dresscode des Erfolgs erschöpft sich eben nicht in der Behauptung «Kleider machen Leute». Er resultiert vielmehr aus einer bewussten Selbstwahrnehmung. Auch hier wieder Hinwendung. Nicht zu Boutique oder Label, sondern zu sich selbst. Alles andere wäre Verkleidung oder Uniformierung. Der Dresscode des Erfolgs hängt also eng mit dem zusammen, was wir ausstrahlen, ist Kritzmöller überzeugt. Sowohl mit Qualitätsbewusstsein als auch mit Körperbewusstsein – «wie man mit sich selbst und seiner Kleidung umgeht, auch welche Materialien man an sich lässt».

Dabei ist sie davon überzeugt, dass hochwertige Stoffe aus natürlichen Materialien bestehen, etwa aus Seide, Schurwolle oder Kaschmir, Leinen und Baumwolle. Es lohne sich, eine Auswahl sogenannter ‘signature pieces’ zu besitzen. Sie sind so etwas wie die Dreh- und Angelpunkte einer guten Garderobe. Teuer müssen sie nicht sein. Fündig wird man auch im Lagerverkauf, bei jungen Labels oder in Second-Hand-Läden. Im Gegensatz dazu setze die ‘Fast Fashion’-Industrie auf Stretch durch Elasthan, eine synthetische Faser, und ‘one size fits all’. Für alle das Gleiche? Da schüttelt es die Modesoziologin. Als wären wir alle gleich.

«Aus modesoziologischer Sicht hat man sich Kleidung ‘angeeignet’, sobald sie ‘geleibt, gelebt, genossen’ wird.»
Monika Kritzmöller

Obwohl Qualität in allen Branchen ein Erfolgsfaktor sei, hänge der «Dress-Code des Erfolgs» immer auch vom Umfeld ab, sagt Monika Kritzmöller. Sie rät den Studierenden: Wer sich bei einer Werbeagentur bewirbt, muss kreativ auftreten. Im Bankenwesen oder in der Investmentbranche hingegen gilt der Dresscode: klassisch, seriös und nicht zu gewagt. So weit, so einfach. Aber Kritzmöller will auf etwas anderes hinaus. «Viele bemühen sich, in dieses Bild zu passen. Doch man spürt, wenn sich jemand verbiegt», sagt sie. Wer nur trägt, was von ihm erwartet wird, bleibt ein Fremder in der eigenen Garderobe. Da ist dann nichts «geleibt, gelebt, genossen», wie es in einem weiteren verbalen signature piece der Modespezialistin heisst.
 
Kleider sitzen dann, wenn sie zur zweiten Haut werden. So sei es auch in Businesskleidung möglich, authentisch und entspannt zu wirken, wenn man nur bei sich bleibe. Der erste wichtige Schritt zu einer Garderobe, die die Persönlichkeit unterstreicht: Bewusst einkaufen. Menschen, die sich wohlfühlen, strahlen aus, dass sie einen guten Zugang zu sich selbst haben, fasst die Modesoziologin zusammen. Ihre eigenen Outfits hat sie gedanklich bereits beisammen, bevor sie morgens aufsteht, verrät sie. Denn die modischen Details seien eine Quelle ihrer Identität und Lebenslust. Und vermutlich ist das auch der Grund, warum man Monika Kritzmöller auf der Strasse erkennt – als Modesoziologin und glücklichen Menschen.


PD Dr. Monika Kritzmöller, geboren 1968 im Allgäu, studierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität Augsburg und promovierte 1996 in Wirtschaftspsychologie an der Universität Eichstätt. 2004 habilitierte sie an der Universität St.Gallen zu Konsumentenverhalten und Marketing. 1996 gründete sie das Forschungs- und Beratungsinstitut «Trends & Positionen». Ihre Forschungsschwerpunkte sind Textil, Design und Architektur. Als Privatdozentin unterrichtet sie an verschiedenen Hochschulen.


Bilder: Urs Bucher / Hauptbild: Anna-Tina Eberhart

north