Hintergrund - 04.04.2025 - 16:00
Dies ist der bisher schwerwiegendste Angriff auf die Grundprinzipien der Welthandelsorganisation (WTO). Er ist umso besorgniserregender, als er von genau dem Land ausgeht, dessen Führung das Wachstum und den Erfolg der WTO ermöglicht hat. Besonders problematisch ist, dass sich die US-Regierung auf den International Emergency Economic Powers Act von 1977 beruft, um wirtschaftliche und nationale Sicherheitsinteressen zu schützen. Dies mag innenpolitisch legitim erscheinen, ist aber nach WTO-Recht wahrscheinlich illegal. Die WTO hatte bereits entschieden, dass der viel geringere Zoll, den die erste Trump-Regierung 2018 aus Gründen der nationalen Sicherheit eingeführt hatte, unzulässig war, weil die USA zu diesem Zeitpunkt – wie auch jetzt – nicht im Krieg waren.
Der wichtigste Grundsatz der WTO: der Grundsatz der Gleichbehandlung. Dieser Grundsatz besagt, dass ein WTO-Mitglied allen Mitgliedern den niedrigsten Zollsatz gewähren muss, den es jemandem auferlegt. Ein Land kann nicht 31 % auf Importe aus der Schweiz und 20 % auf Importe aus der EU erheben, wie es die USA tun werden, wenn diese Zölle nächste Woche in Kraft treten. Ich vermute, dass Trump, als er im Rosengarten diese grosse Pappe mit verschiedenen Zahlen neben jedem Land hielt, genau wusste, dass er damit gegen das Grundprinzip der WTO verstösst – wenn einzelne Länder unterschiedlich behandelt werden, untergräbt dies die zentrale Logik des multilateralen Handelssystems. Dieses Prinzip ist seit 1947 die treibende Kraft hinter sinkenden globalen Zöllen.
Realistisch betrachtet, nein. Das Berufungsgremium der WTO ist seit 2020 nicht mehr arbeitsfähig, weil die USA die Ernennung neuer Richter blockieren. Über die Beschwerde Chinas werden die unteren Gerichte der WTO entscheiden, aber die USA werden wahrscheinlich gegen jede Entscheidung beim Berufungsgremium Berufung einlegen. Da heute niemand im Berufungsgremium sitzt, lähmt dieser „Einspruch ins Leere“ das internationale Handelsschiedsgericht praktisch. Ein weiterer Nagel im Sarg der WTO.
Das mag auf den ersten Blick der Fall sein, aber es gibt Anzeichen für eine umfassendere Strategie. Dokumente und Erklärungen aus dem Kreis von Trumps Wirtschaftsberatern, wie Finanzminister Scott Bessent oder der Vorsitzende des Council of Economic Advisers, Stephen Miran, deuten darauf hin.
Im Kern befürchten die Wirtschaftsberater von Trump, dass die derzeitige internationale Ordnung der US-Wirtschaft schadet, weil sie die Produktion in andere Länder treibt. Die WTO ist Teil des Problems, weil sie es den US-Verbrauchern ermöglicht, Fertigprodukte aus Ländern zu importieren, in denen sie billiger hergestellt werden, was die US-Produktion effektiv untergräbt. Aber laut dem Trump-Team ist die WTO nicht die einzige Schwachstelle für die US-Industrie.
Sie machen sich auch Sorgen um den US-Dollar als Weltreservewährung und die Auswirkungen, die dies auf die US-Wirtschaft hat. Da Zentralbanken weltweit schätzungsweise sieben Billionen Dollar an Dollarreserven halten, besteht eine enorme strukturelle Nachfrage nach Dollar. Ökonomen im Trump-Team glauben, dass dies den Wert des Dollars im Vergleich zu anderen Währungen auf ein Niveau treibt, das der Wettbewerbsfähigkeit der US-Produzenten schadet. Sie sind entschlossen, diesen strukturellen Kräften entgegenzuwirken – mit Zöllen und allen anderen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen.
Es kann sein, dass die Trump-Regierung einige der Zölle als Verhandlungsmasse in bilateralen Verhandlungen einsetzen wird. Das Trump-Team scheint jedoch wirklich zu glauben, dass Zölle dazu beitragen werden, die Produktion in den USA wiederzubeleben, sodass ich vermute, dass die meisten dieser Zölle von Dauer sein werden.
Die USA steigen faktisch aus dem multilateralen System aus oder wollen zumindest nicht mehr aktiv mitgestalten. Der Rest der Welt steht nun vor einer Entscheidung: Entweder verabschiedet man sich von der WTO oder man entwickelt sie ohne die USA weiter. Ein regelbasiertes Handelssystem ist für kleine, offene Volkswirtschaften wie die Schweiz lebenswichtig, auch wenn es in Zukunft ohne die Vereinigten Staaten auskommen muss.
Das ist die grosse Herausforderung. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es die amerikanische Führung, die die WTO überhaupt erst möglich gemacht hat. Eine solche Führungsnation fehlt heute – aber es ist notwendig, ein neues Gleichgewicht zu finden, um die multilateralen Strukturen nicht völlig zu verlieren.
Bild: Keystone
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