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Forschung - 19.03.2025 - 09:29 

«Versicherungswissenschaft kann zu fast allen gesellschaftlich relevanten Themen Erkenntnisse liefern»

Cyberattacken, Auswirkungen des Klimawandels, Anreize in Krankenversicherungen: Forschende des HSG-Instituts für Versicherungswirtschaft (IVW-HSG) beschäftigen sich mit zentralen gesellschaftlichen Themen. Das IVW ist eines der grössten und traditionsreichsten Institute der HSG. 2024 feierte es sein 75-jähriges Bestehen.

«Dank Versicherungen können Menschen kalkuliert Risiken eingehen – im Verkehr, in der Arbeit, im Handel und vielen weiteren Bereichen. Gäbe es beispielsweise keine SUVA, würden viele Menschen nach einem Arbeitsunfall in die Armut abrutschen.», sagt Christian Biener, HSG-Professor für Verhaltensforschung und Risikomanagement. Er ist Co-Direktor des Instituts für Versicherungswirtschaft (IVW-HSG). Mit aktuell sieben Professuren ist dieses europaweit die grösste Forschungseinheit für Versicherungswirtschaft. Diese Grösse erlaubt es dem IVW, eine weites Spektrum an Themen zu bearbeiten: Seine Forschenden untersuchen unter anderem, welche Schadenssummen Cyberattacken anrichten können und ob diese überhaupt versicherbar sind.

Weiter forscht das IVW-Team zu Folgen des Klimawandels für Versicherer, wie etwa Schadenkosten, die durch Naturkatastrophen wie Wirbelstürme, Überschwemmungen oder Waldbrände verursacht werden. In diesem Bereich forscht Alexander Braun, HSG-Professor für Versicherung und Kapitalmärkte. Er betont: «Durch den Klimawandel werden atmosphärische Naturkatastrophen zukünftig häufiger und zerstörerischer. Dies bringt uns an die Grenzen der Versicherbarkeit, sodass alternative Risikotransferlösungen, insbesondere unter Einbezug der Kapitalmärkte, zunehmend an Bedeutung gewinnen.»

Versicherungswissenschaft ist nahe an der Aktualität

Das IVW gehört zu den wenigen Forschungseinrichtungen weltweit mit Fachexpertise im Bereich des alternativen Kapitals und der versicherungsgebundenen Wertpapiere. Seine Forschungsergebnisse in diesem Bereich gibt Alexander Braun im Kurs «Insurance-Linked Securities» unmittelbar an die Studierenden der HSG weiter. 

Aber auch das Risikoverhalten von Kunden, die Gestaltung von Versicherungsprodukten und Sozialversicherungen, Digitalisierung oder die Nachhaltigkeit von Versicherungen sind im IVW-Fokus. «Die Versicherungswissenschaft kann zu fast allen gesellschaftlich relevanten Themen Erkenntnisse liefern. Das macht diese Disziplin so spannend», sagt Martin Eling, HSG-Professor für Versicherungswirtschaft und IVW-Co-Direktor. 
 

«Im digitalen Raum entstehen laufend neue Risiken. Da mittlerweile alle Unternehmen und Institutionen mit digitalen Systemen arbeiten, ist die Gesellschaft hier sehr verwundbar.»
Martin Eling, HSG-Professor für Versicherungswirtschaft

2024 feierte das IVW sein 75-jähriges Bestehen. Es zählt mit seinen sieben Professuren und rund 30 Mitarbeitenden zu einem der grössten und traditionsreichsten unter den 36 HSG-Instituten. Die Institute ermöglichen die praxisnahe Ausbildung, Forschung und Weiterbildung, durch die die HSG sich von anderen Universitäten unterscheidet. Sie tragen auch massgeblich dazu bei, dass die HSG sich zu rund 50 Prozent selbst finanziert.

Austausch mit Branche liefert Forschungsideen

Das IVW ist im laufenden und engen Austausch mit über 40 grossen Versicherungsunternehmen im DACH-Raum. Beispielsweise über das 2003 gegründete «Future.Value»-Netzwerk. Dieses trifft sich drei Mal jährlich zu sogenannten «Future.Talks». Dort stellen IVW-Forschende und Vertreter:innen der Unternehmen sich gegenseitig Forschungsergebnisse und Entwicklungen im Versicherungssektor vor. 

«Dieser Austausch liefert uns auch Ideen für unsere Forschung. Wir machen weitgehend Grundlagenforschung – dies aber immer mit dem Anspruch, Relevanz für die Praxis zu schaffen», sagt Christian Biener. Er forscht aktuell unter anderem in einem vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierten Projekt darüber, wie sich Menschen in der Schweiz für die Gestaltung ihrer Krankenversicherung entscheiden – also etwa, welche Franchise sie wählen. «Rund die Hälfte der Bevölkerung zahlt jährlich hunderte Franken zu viel für ihre Krankenkasse wegen nicht idealer Entscheidungen», so Biener. 

Impressionen aus der IVW-Geschichte

1977

1993

1997

2024

Martin Eling erforscht am IVW seit Jahren intensiv, ob Cyberrisiken wie etwa Angriffe auf Unternehmen oder kritische Infrastrukturen versicherbar sind. «Im digitalen Raum entstehen laufend neue Risiken. Da mittlerweile alle Unternehmen und Institutionen mit digitalen Systemen arbeiten, ist die Gesellschaft hier sehr verwundbar.» Dennoch seien bislang nur sieben von 100 Unternehmen gegen Cyberrisiken versichert. Er und Doktorierende simulieren in ihrer Forschung anhand von Modellen auch mögliche Attacken und deren finanzielle Schadensfolgen. 

Martin Elings Lehrstuhl am IVW wurde 2011 eingerichtet und für zehn Jahre von der Fördergesellschaft des IVW finanziert. In dieser Gesellschaft sitzen CEOs von grossen Versicherern und Rückversicherern aber auch der SVV und die SUVA. «Die Förderer sind ein breiter Kreis von Unternehmen, die uns als kritischen Sparringpartner schätzen», sagt Eling. Mit Beiträgen der Fördergesellschaft, Erträgen aus der Weiterbildung sowie Studien mit Praxispartnern finanziert sich das IVW zu fast 90 Prozent mit Drittmitteln. 

Diese hohe Eigenfinanzierung hat es dem IVW unter anderem ermöglicht, 2022 vier neue Professuren einzurichten. «Diese neue Grösse liefert uns Power in der Forschung», sagt Hato Schmeiser, Co-Direktor des IVW und HSG-Professor für Versicherungswirtschaft. In einem weltweiten Ranking der University of Nebraska-Lincoln, das auf Publikationen in wissenschaftlichen Zeitschriften beruht, belegte das IVW für die Jahre 2015 bis 2024 den ersten Platz. 

Zahl der Studierenden stark erhöht

«Unsere Vision ist es, ein weltweit führendes Institut im Bereich Risikomanagement und Versicherung in Lehre (Erst- und Weiterbildung) und Grundlagenforschung zu sein», sagt Hato Schmeiser. In der Lehre konnte das IVW Versicherungsthemen stärker im HSG-Curriculum verankern: So konnte die Zahl der Studierenden 2024 im Fach Risikomanagement und Versicherung gegenüber 2005 um den Faktor 30 auf rund 700 erhöht werden. 

Neben den Kernveranstaltungen im Bereich Risikomanagement und Versicherung unterstützt das IVW die Lehre an der HSG aber auch im Hinblick auf Finanz- und Datenkompetenz. «Unser Expertenwissen im Bereich der quantitativen Modellierung, des Pricings von Risiken und der Finanzmärkte versetzt uns in die Lage, auch Kurse in Unternehmensbewertung und Data Analytics anzubieten.» sagt Alexander Braun.

Neben der Lehre an der Kernuniversität hat die Weiterbildung eine grosse Bedeutung: 2024 fanden am IVW rund 150 Unterrichtstage mit etwa 300 Führungskräften aus 15 Ländern statt. «Auch in der Weiterbildung gibt es einen lebendigen Austausch mit der Praxis, der für das IVW sehr fruchtbar ist», sagt Martin Eling dazu.
 

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