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Hintergrund - 05.09.2025 - 08:30 

Krisenplanung bei Schweizer Grossbanken

Mehr Aufsicht, bessere Krisenpläne, schärfere Regeln: Der Bundesrat zieht Lehren aus der Credit-Suisse-Krise. Für Seraina Grünewald, Professorin für Internationales Wirtschaftsrecht und Finanzrecht an der Universität St.Gallen, sind das wichtige Schritte – doch es bräuchte mehr.

Nach den Ereignissen rund um die Fusion von UBS und Credit Suisse im März 2023 rückt die Regulierung grosser Banken in der Schweiz erneut in den Fokus. Der Bundesrat hat im Juni 2025 ein Massnahmenpaket beschlossen, das die Krisenplanung für systemrelevante Institute stärkt, Kapital- und Liquiditätsvorgaben verschärft und die Aufsicht durch die Finma ausbaut.    

Diese Woche nahmen Fachleute Stellung zu den Plänen. An der Tagung in Zürich nahm auch HSG-Professorin Seraina Grünewald teil. Wir haben mit ihr dazu gesprochen. 

Prof. Dr. Seraina Grünewald

Frau Grünewald, nach der CS-Krise und den nun vom Bundesrat vorgeschlagenen Regeln zur Bankenregulierung: Wie stabil ist das Schweizer Bankensystem heute?  

Das Schweizer Bankensystem ist insgesamt stabil und gut aufgestellt. Das liegt auch daran, dass die Schweiz die internationalen Standards zur Kapitalisierung von Banken, die sogenannten Basel III-Standards, im Gegensatz etwa zu den USA und der EU vollumfänglich und planmässig umgesetzt hat. Die CS-Krise war ein Einzelfall, der sich aber in ähnlicher Form wiederholen kann und dem Vertrauen in den Schweizer Finanzplatz sicherlich geschadet hat. Deshalb muss man aus der Krise die richtigen regulatorischen Schlüsse ziehen.    

Wo sehen Sie den dringendsten Handlungsbedarf? Der Bundesrat will ja unter anderem die Krisenplanung verschärfen, die Finma stärken und klare Abwicklungsregeln einführen.

Das vom Bundesrat vorgeschlagene Massnahmenpaket zielt in die richtige Richtung.  

Aus meiner Sicht sind zwei Dinge zentral: Erstens muss es der FINMA möglich sein, frühzeitig und gezielt bei einer Bank einzugreifen, deren Governance mangelhaft ist und deren Management wiederholt gravierende Fehler begeht. Dafür braucht es klare Regeln, die für die FINMA und die Bank Rechtssicherheit gewährleisten.

Zweitens muss in unserem marktwirtschaftlichen System sichergestellt sein, dass Banken, deren Konkurs die Finanzstabilität und/oder andere öffentliche Interessen (etwa den Schutz von Einlegerinnen und Einlegern) gefährdet, abgewickelt werden können – ohne den Einsatz von Notrecht und ohne dass die Steuerzahlenden einem übermässigen Risiko ausgesetzt werden.

Welche dieser Ansätze sind aus Ihrer Sicht besonders wirksam – und wo bestehen weiterhin Lücken?  

Der Bundesrat schlägt ein ganzes Massnahmenpaket vor, das sowohl die Krisenprävention stärken als auch das Instrumentarium in der Krise erweitern soll. Dazu kommen Vorschriften darüber, wie die Liquidität im Krisenfall sichergestellt werden kann. Alle drei Stossrichtungen sind wichtig und hängen letztlich auch zusammen.    

Trotzdem möchte ich zwei Ansätze besonders hervorheben: Die Liquiditätsplanung für den Krisenfall wurde in der Vergangenheit im Vergleich zur Kapitalplanung eher stiefmütterlich behandelt. Das soll sich jetzt ändern. In der CS-Krise waren Liquiditätshilfen in der Höhe von CHF 168 Milliarden notwendig, um die Bank zu stabilisieren und die Fusion mit der UBS zu ermöglichen. Solche Summen lassen sich nur durch eine staatliche Letztsicherung – den sogenannten Public Liquidity Backstop (PLB) – bereitstellen. Davor müssen die Banken aber andere Liquiditätsquellen maximal ausschöpfen können. Deshalb will der Bundesrat, dass Banken künftig ausreichende Sicherheiten vorbereiten müssen, um im Krisenfall Zugang zu Notfallliquidität von der Schweizerischen Nationalbank zu erhalten. Für die vier systemrelevanten Banken sollen neu auch quantitative Vorgaben gelten. Für mich gehört die Notwendigkeit eines PLB und einer verbesserten Liquiditätsplanung zu den zentralen Lehren aus der CS-Krise – und damit zu den wichtigsten Massnahmen, die wir in der Schweiz dringend umsetzen müssen.

«Für mich gehört die Notwendigkeit eines Public Liquidity Backstop (PLB) – einer staatlich bereitgestellten Notfallliquidität – und einer verbesserten Liquiditätsplanung zu den zentralen Lehren aus der CS-Krise und damit zu den wichtigsten Massnahmen.»
Prof. Dr. Seraina Grünewald

Zweitens muss sichergestellt sein, dass den Behörden verschiedene Handlungsoptionen offenstehen, wie sie im Ernstfall mit einer Krisenbank umgehen können. In der CS-Krise war zwar eine ausgereifte Planung vorhanden, aber nur für eine Option. Diese sah vor, dass die Bank durch Abschreibung von Aktienkapital und Wandlung bzw. Reduktion von speziell dafür vorgesehenen Schuldinstrumenten finanziell restrukturiert und danach unter neuem Management fortgeführt worden wäre. Bekanntlich erachteten die Behörden die Fusion mit der UBS im März 2023 aber als bessere Option. Um künftig ohne Notrecht auszukommen, muss ein Marktaustritt einer Krisenbank über einen Verkauf bzw. Teilverkauf und ein ordentliches Herunterfahren von Geschäftsaktivitäten als zusätzliche Option detailliert vorbereitet werden. Damit die verschiedenen Abwicklungsoptionen rechtssicher umsetzbar sind, müssen die gesetzlichen Grundlagen im Bankengesetz geändert und ergänzt werden.

In der NZZ haben Sie betont, dass zusätzliche gesetzliche Grundlagen nötig sind, etwa zur Umwandlung von Krisenanleihen oder zur Einschränkung von Aktionärsrechten. Welche Reformschritte sollte die Politik prioritär angehen, um eine nächste Bankenkrise ohne Staatsgarantie zu bewältigen? 

Jede Abwicklung bringt Eingriffe in die Rechte von Aktionären und Gläubigerinnen mit sich. Solche Eingriffe lassen sich nur dann rechtfertigen, wenn sie zur Erreichung übergeordneter öffentlicher Interessen und auf einer klaren gesetzlichen Grundlage erfolgen. Diese öffentlichen Interessen sind jedoch im Bankengesetz bisher nicht definiert. Diese Lücke ist meines Erachtens vorrangig zu schliessen. Andere Jurisdiktionen kennen ausdrückliche Abwicklungsziele, welche die Behörden verfolgen müssen. Dazu gehören die Aufrechterhaltung kritischer Funktionen der Krisenbank, die Vermeidung erheblicher negativer Auswirkungen auf die Finanzstabilität, der Schutz von Steuergeldern sowie der Schutz von Einlegerinnen und Einlegern. Je nachdem, wie diese Abwicklungsziele am besten erreicht werden können, entscheiden sich die Behörden im Abwicklungsfall dann für die eine oder andere Abwicklungsoption. Sie greifen nur so weit in die Rechte von Aktionärinnen und Gläubigern ein, wie dies zur Erreichung der Ziele notwendig und verhältnismässig ist. Materiell ist das schon heute der Fall. Mit einer Verankerung im Bankengesetz hätten die Behörden jedoch rechtssicherere Entscheidungsgrundlagen, ohne dass ihre Flexibilität über Gebühr eingeschränkt würde.

«Mit einer Verankerung von Abwicklungszielen im Bankengesetz hätten die Behörden rechtssichere Vorgaben für Abwicklungen von Krisenbanken, ohne dass ihre Flexibilität eingeschränkt würde.»
Prof. Dr. Seraina Grünewald

Wie beurteilen Sie die Situation der mittelgrossen Banken in der Schweiz?

Die Vorschläge des Bundesrates im Bereich der Abwicklung zielen auf die vier Banken, die heute als systemrelevant eingestuft sind. Dazu gehören neben der UBS die PostFinance, die Raiffeisen Gruppe und die Zürcher Kantonalbank. Die grossen Abwesenden in der Debatte um die künftige Bankenabwicklung sind für mich die mittelgrossen Banken – darunter mehrere Kantonalbanken, aber beispielsweise auch die Julius Bär und die Valiant Bank. Diese mittelgrossen Banken gelten zwar als für die Realwirtschaft weniger bedeutsam und einfacher substituierbar als die vier systemrelevanten Banken. Dennoch geht von ihnen im Falle einer Krise eine erhebliche Gefahr für die Finanzstabilität aus. Aufgrund ähnlicher Geschäftsmodelle kann es bei diesen Banken schnell zu Ansteckungseffekten kommen. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass die Behörden die vom Konkurs einer mittelgrossen Bank ausgehende Gefahr für die Finanzstabilität nicht in Kauf nehmen würden. 

Mittelgrosse Banken sind aber – anders als die systemrelevanten – nach geltendem Recht nicht verpflichtet, Vorkehrungen für eine Abwicklung zu treffen und ihre Abwicklungsfähigkeit sicherzustellen, etwa durch die Ausgabe von wandlungsfähigen Schuldinstrumenten (sogenannte «Bail-in-Bonds»). Ohne rigorose Planung ist eine Abwicklung nicht durchführbar. Es bliebe also im Falle einer Krise einer mittelgrossen Bank nur eine notrechtliche Rettung durch den Bund. Diesem Szenario müssen wir gesetzgeberisch entgegenwirken. Auch mittelgrosse Banken sollten inskünftig Abwicklungspläne erstellen und durch die FINMA genehmigen lassen müssen.    


Prof. Dr. Seraina Grünewald ist Professorin für Internationales Wirtschaftsrecht und Finanzrecht an der Law School (LS-HSG) der Universität St.Gallen.


Titelbild: Adobe Stock / Octavian

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