Campus - 13.10.2025 - 12:00
Gleich zu Beginn des Abends muss der Verteidigungsminister kapitulieren. Auf die Frage von Christoph Frei, ob die gerade laufende Olma so viel beitrage zum Zusammenhalt der Schweiz wie der Bundesrat, bleibt Pfister nichts übrig als die Waffen zu strecken. Für das Land gelte das sicher nicht, für die Ostschweiz könne er es aber nicht ausschliessen, gibt er schmunzelnd zu. Damit war der Ton des Abends gesetzt: offen, nahbar, selbstkritisch. Dann wurde es ernst.
An den Anfang der Sachdiskussion stellt Frei ein Zitat von Carsten Breuer, Generalinspekteur der deutschen Bundeswehr, zur gegenwärtigen Sicherheitslage: «Wir sind in einem Zustand, der nicht mehr ganz Frieden, aber noch nicht ganz Krieg ist.» Martin Pfister teilt diese Einschätzung. Er spricht von fundamentalen Umbrüchen, hybrider Kriegsführung, warnt vor der Einflussnahme auf Wahlen und Versuchen, Gesellschaften zu spalten, vor Spionage und Sabotage. «Wir sind in einem solchen Krieg, ohne dass Panzer sichtbar sind.»
Der VBS-Vorsteher lässt keinen Zweifel am Ernst der Lage. «Wir können die Situation nicht genug dramatisch verstehen.» Russland habe die Mannschaftsstärke seiner Truppen von 1 Million auf 1.6 Millionen Mann aufgestockt und die Wirtschaft auf Kriegswirtschaft umgestellt. Es finde eine enorme Aufrüstung statt. Auch im Westen. Die europäischen Staaten erhöhten ihr Verteidigungsbudget auf bis zu 5 % des BIP. In der Schweiz sind es derzeit allerdings nur 0.7 %.
Was bedeutet das für die neutrale Schweiz? Martin Pfister macht deutlich, dass das Land viele Herausforderungen nicht allein lösen könne. Wenn Drohnen oder feindliche Jets über St.Gallen auftauchten, «ist es zu spät». Die Schweiz kann nicht Art. 5 des NATO-Vertrages geltend machen und den Bündnisfall ausrufen. Daher fordert er Zusammenarbeit und «Interoperationalität». Eine Herausforderung, so wendet Christoph Frei ein, wenn die Linke die Verteidigungsausgaben nicht erhöhen wolle und die Rechte auf «Neutralitätsstringenz» beharre. Der VBS-Vorsteher stimmt zu und gibt zu bedenken, dass die Schweiz mit Blick auf die Bedrohungslage die Solidarität mit ihren Nachbarn pflegen müsse und betont: «Viele sicherheitspolitische Herausforderungen können wir nicht allein lösen.»
Christoph Frei wendet das Gespräch auf die Schweizer Gesellschaft und ihre Bürger. Diese, so der emeritierte Professor für Politikwissenschaft, seien «wohlstands- und friedensverwöhnt». Wie stehe es daher um die «ideelle Wehrfähigkeit», die Bereitschaft, im Ernstfall für das Land und die offene Gesellschaft zu kämpfen? Pfister lässt keinen Zweifel: «Wir brauchen Willige, die die Probleme jetzt angehen.» Die Forderung nach Engagement zieht sich wie ein roter Faden durch den Abend. Und auch wenn man sich noch nicht in allen Bereichen gefunden habe, «ich bin optimistisch, dass sich junge Leute engagieren», gibt sich Pfister zuversichtlich. Das spüre er in vielen Begegnungen. Aber auch die Politik und Verwaltung seien gefordert. «Wir müssen allgemein agiler werden.»
Und wo Christoph Frei vom Bundesrat in Bern zuweilen mehr «Orientierung und Leadership» fordert, wünscht sich Pfister von den Hochschulen, von Lehrenden und Studierenden, dass sie aktiv am sicherheitspolitischen Diskurs teilnehmen. Wissenschaft könne eine «Orientierungsrolle» einnehmen.
Die öffentliche, von Studierenden des Sicherheitspolitischen Forums organisierte Abendveranstaltung im vollbesetzten Audimax bietet beides. Sie setzt ein Zeichen studentischen Engagements und präsentiert einen Bundesrat, der es an offenen Worten nicht fehlen lässt.
Bilder: Gion Wurster / Sicherheitspolitisches Forum