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Forschung - 04.11.2025 - 10:00 

Verändert Künstliche Intelligenz die Erwartungen an Politik und Regierung?

Wie verändert der Umgang mit KI die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger an Politikerinnen und Politiker? Eine aktuelle Studie von Matthias Haslberger der Universität St.Gallen und einem internationalen Forscherteam geht dieser Frage auf den Grund.

Frühere Untersuchungen zeigen, dass Automatisierung – etwa wenn Roboter Fabrikarbeitende ersetzen – oft dazu führt, dass Menschen ihre Arbeitsplätze durch Technologie bedroht sehen. In der Folge wächst meist der Wunsch nach staatlicher Unterstützung, etwa durch bessere Arbeitslosenleistungen, Arbeitsplatzgarantien oder Umschulungsprogramme. Dieses sogenannte «Risiko-Versicherungsmodell» sozialpolitischer Präferenzen geht davon aus, dass Menschen vor allem dann solche Massnahmen befürworten, wenn sie sich selbst gefährdet fühlen, denn solche Programme kommen vor allem den Betroffenen zugute, werden aber von der Gesellschaft finanziert.

Matthias Haslberger (Universität St.Gallen) und sein Team – Jane Gingrich (Universität Oxford) und Jasmine Bhatia (Birkbeck, Universität London) – wollten wissen, ob der rasante Aufstieg der KI dieses Muster verändert. Die Forschenden verweisen darauf, dass KI sowohl Parallelen als auch Unterschiede zu früheren technologischen Umbrüchen aufweist: Zwar kann auch sie Arbeitsplätze gefährden, doch betrifft sie andere Berufsgruppen – und sie ist viel schneller in den Alltag vorgedrungen als etwa Industrieroboter.

Um herauszufinden, wie Menschen reagieren, wenn sie mit generativer KI in Berührung kommen, führten die Forschenden ein Online-Experiment mit 1041 Erwachsenen im erwerbsfähigen Alter in Grossbritannien durch.

Die Teilnehmenden wurden zufällig in zwei Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe durfte ChatGPT nutzen, um drei realitätsnahe textbasierte Aufgaben zu lösen, etwa Argumente zu bewerten oder Texte zu überarbeiten. Die andere Gruppe bewältigte die gleichen Aufgaben ohne KI-Unterstützung. Anschliessend beantworteten alle Teilnehmenden Fragen dazu, wie riskant sie Automatisierung für ihre Arbeit einschätzen, welche Meinung sie zu KI haben und welche sozialpolitischen Massnahmen sie unterstützen.

Weniger Sorgen

Ein Ergebnis, das die Forschenden überraschte: Die Teilnehmenden, die Zugang zu ChatGPT hatten, fühlten sich nicht stärker gefährdet, ersetzt zu werden durch Technologie – oder durch Personen, die sie besser beherrschen. Im Gegenteil: Sie standen KI insgesamt positiver gegenüber. Viele sahen sie als hilfreich für sich selbst und für die Gesellschaft und fanden seltener, dass der Staat ihre Nutzung einschränken sollte.

Doch hier kommt die interessante Wendung: Obwohl sich die Teilnehmenden nicht persönlich bedroht fühlten, stieg ihre Unterstützung für staatliche Arbeitsplatzgarantien und Programme, die Arbeitnehmenden bei der Weiterbildung helfen. Mit anderen Worten: Die Menschen sahen KI nicht als Gefahr für sich selbst, erkannten aber mögliche Risiken für andere – und befürworteten gesellschaftliches Eingreifen.

Die Forschenden bezeichnen dieses Muster als «soziotrope Reaktion» – also eine Haltung, bei der Menschen nicht nur an ihre eigene Situation denken, sondern auch an die Auswirkungen auf andere und auf die Gesellschaft insgesamt. Insgesamt waren die Befragten vorsichtig optimistisch: Sie sahen sowohl das Potenzial als auch die disruptiven Risiken der generativen KI.

Gemeinsinn statt Eigeninteresse

Diese Erkenntnisse stellen das klassische Risiko-Versicherungsmodell infrage. Demnach fordern Menschen staatliche Unterstützung vor allem dann, wenn sie sich persönlich bedroht fühlen. Im frühen Stadium der KI-Einführung scheint jedoch ein anderes Muster zu gelten: Viele unterstützen Schutzmassnahmen für andere, auch wenn sie selbst erwarten, von KI zu profitieren – möglicherweise, weil sie die gesellschaftliche Sprengkraft der Technologie erkennen.

Die Autorinnen und Autoren weisen darauf hin, dass die Resultate den damaligen Stand der KI widerspiegeln. Die Studie wurde Mitte 2023 durchgeführt, als Tools wie ChatGPT noch neu waren und kaum in Arbeitsprozesse integriert. Mit zunehmender Leistungsfähigkeit und Verbreitung von KI könnte das wahrgenommene persönliche Berufsrisiko jedoch steigen. Dann dürfte sich klarer zeigen, wer zu den Gewinnern und Verlierern gehört. In künftigen Arbeiten wollen die Forschenden untersuchen, ob sich die Logik des Risiko-Versicherungsmodells wieder durchsetzt – oder ob die Sorge um die Effekte der KI auf andere bestehen bleibt. «Eigeninteresse ist eine starke Motivation», erklärt Matthias Haslberger, «aber unsere Studie zeigt, dass Menschen auch andere Faktoren berücksichtigen. Wir müssen besser verstehen, unter welchen Umständen dies der Fall ist.»


Die Studie «Rage against the machine? Generative AI exposure, subjective risk, and policy preferences» steht zum Download zur Verfügung.

Matthias Haslberger ist Postdoktorand an der School of Economics and Political Science (SEPS-HSG) der Universität St.Gallen. Er forscht zu den Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz und technologischem Wandel auf Arbeitsmärkte und Bildungssysteme.


Bild: Adobe Stock / marumon

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