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Forschung - 18.09.2025 - 15:00 

Hürden bei der Beförderung von Frauen in der Schweiz

Ob im öffentlichen Sektor, in Banken oder im Gesundheitswesen: Frauen werden bei Beförderungen in der Schweiz seltener berücksichtigt als Männer. Laut dem «Gender Intelligence Report 2025» fehlen objektive Kriterien, Transparenz und passende Strukturen. Insbesondere in Schweizer Spitälern sind Frauen in leitenden Funktionen stark untervertreten. HSG-Expertin Ines Hartmann erklärt, warum dies Unternehmen auch finanziell teuer zu stehen kommt.

In der Schweiz gelten faire Aufstiegschancen oft als selbstverständlich – die Besten sollen aufsteigen. Der jüngste «Gender Intelligence Report» zeigt jedoch, dass Frauen bereits beim Einstieg ins Kader seltener berücksichtigt werden – besonders im öffentlichen Sektor, in der Beratung, bei Banken und im Gesundheitswesen. Die mangelnde Chancengleichheit kostet Unternehmen nicht nur Talente, sondern auch Milliarden. Wir haben mit Studienautorin Dr. Ines Hartmann über die Ursachen und mögliche Lösungen gesprochen. 

Dr. Ines Hartmann

Frau Hartmann, Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit Diversity- und Inklusionsforschung. Wo sehen Sie aktuell die grössten zu schliessenden Wissenslücken?

Die Annahme, Diversity, Equity & Inclusion (DEI) nütze vor allem Minderheitengruppen und Frauen etwas oder bevorzuge diese ist nicht korrekt. Gut belegt ist vielmehr, dass eine inklusive Kultur allen zugutekommt, beispielsweise indem sie sich positiv auf die Gesundheit – und entsprechend Absenzen, Motivation, Engagement, Fluktuation und Innovation auswirkt. Letztlich profitieren alle Mitarbeitenden von einem Klima, in dem sie sich wertgeschätzt fühlen, sich einbringen können, psychologische Sicherheit erfahren und faire Aufstiegschancen haben. So können sie ihr Potential voll entfalten – und davon profitieren wiederum die Unternehmen.

Der neu veröffentlichte «Gender Intelligence Report» zeigt, dass Frauen schon bei der ersten Beförderungsstufe systematisch benachteiligt werden. Woran liegt das konkret? An fehlenden objektiven Kriterien, unbewussten Vorurteilen oder auch strukturellen Faktoren wie Teilzeitarbeit?

Tatsächlich haben wohl alle diese Faktoren einen Einfluss. Faire Aufstiegschancen für alle Mitarbeitenden sind nur möglich, wenn objektive und messbare Kriterien für eine Beförderung definiert sind (Beispiele: Zeitrahmen für Zielerreichung setzen, konkrete Anzahl definieren für die Leitung von Projekten, oder Fokussieren auf die exzellente Beurteilung von Kompetenzen wie Kundenorientierung oder Kommunikationsfähigkeit). Die Kriterien sollten transparent im gesamten Unternehmen kommuniziert werden. So werden Kandidat:innen vergleichbar, und es sinkt die Gefahr, dass subjektive Einschätzungen oder unbewusste Vorurteile über Beförderungen oder die Teilnahme an einem Talentprogramm entscheiden.    

Dass Teilzeit eine Hürde darstellt, sehen wir leider immer wieder. Oft werden Teilzeitmitarbeitende – bewusst oder unbewusst – aus dem Beförderungspool ausgeschlossen, weil angenommen wird, sie strebten keine Karriere an. Oder es dominiert nach wie vor die Vorstellung, eine Führungsposition sei nur in einem 100-Prozent- oder gar 150-Prozent-Pensum machbar. Dies betrifft beide Geschlechter, wirkt sich aber deutlich stärker auf Frauen aus, da sie nach wie vor viel häufiger Teilzeit arbeiten.  

«Weiterhin dominiert die Vorstellung, eine Führungsposition sei nur in einem 100-Prozent- oder gar 150-Prozent-Pensum machbar. Dies betrifft beide Geschlechter, wirkt sich aber deutlich stärker auf Frauen aus.»
Dr. Ines Hartmann, Director am Competence Center for Diversity, Disability and Inclusion (CCDI-HSG)

Laut SRF sind Frauen gerade in den Chefetagen von Spitälern massiv untervertreten – obwohl das Gesundheitswesen einen sehr hohen Frauenanteil hat. Wie lässt sich dies erklären? Und mit welchen Hebeln liesse sich gegensteuern?

Das dürfte verschiedene Gründe haben. Einer ist sicher die verbreitete Vorstellung, dass leitende Positionen in Spitälern – gerade in der Ärzteschaft – nur mit 100 % zeitlicher Verfügbarkeit möglich sind. Gerade in Universitätsspitälern kommen oft Forschung und Lehre zur klinischen Tätigkeit hinzu. Zudem sind Beförderungs- und Berufungsprozesse nicht unbedingt transparent und unterscheiden sich nach Berufsgruppen.    

Bei der Besetzung von leitenden Positionen steht in Spitälern, wie in Expert:innen-Organisationen generell, die Fachexpertise im Vordergrund. Führungskompetenz gilt als zweitrangig oder wird vorausgesetzt. Das benachteiligt Personen, die Teilzeit arbeiten, da sie etwa weniger Operationen nachweisen können. Hinzu kommt, dass es in Spitälern insgesamt nur wenige leitende Positionen gibt. Und damit auch nicht allzu viele Aufstiegsmöglichkeiten. Das trägt dazu bei, dass Spitäler Frauen verlieren, die dann beispielsweise in private Praxen wechseln.  

Ein Ansatzpunkt wäre, neue Jobprofile zu schaffen, etwa durch die Trennung von Fachexpertise und Personalführung. Oder durch Schnittstellenfunktionen zur Pflege. Ein Beispiel sind die «Clinical Nurses», die Ärzt:innen zu Beginn ihrer Karriere von administrativen Tätigkeiten entlasten, damit sie sich stärker auf die Kerntätigkeit konzentrieren können. Wichtig wäre zudem, Prozesse transparent und objektiv zu gestalten und (Berufungs-)Gremien heterogen zu besetzen. Erfahrungen aus anderen Branchen zeigen, dass solche Massnahmen positive Effekte haben. 

«Spitäler sind typische Expert:innen-Organisationen, in denen vor allem Fachexpertise zählt. Managementfähigkeiten wie wertschätzende Kommunikation und Sozialkompetenz sind weniger im Fokus.»
Dr. Ines Hartmann, Director am Competence Center for Diversity, Disability and Inclusion (CCDI-HSG)

In der Studie wird von bis zu 5 Milliarden Franken Verlust durch Personalfluktuation gesprochen. Gleichwohl unterschätzt die Gesundheitsbranche noch immer Themen wie Gleichstellung. Wie erklären Sie sich das?  

Dafür dürfte es mehrere Gründe geben. Spitäler sind typische Expert:innen-Organisationen, in denen vor allem Fachexpertise zählt. Themen wie Gleichstellung, Diversity & Inclusion sowie die Standardisierung und das «De-biasing» von Personalprozessen stehen häufig nicht oben auf der Prioritätenliste – auch, da sie meist beim HR angesiedelt sind. Und Personalabteilungen werden oft eher als administrativ und unterstützend wahrgenommen, denn als strategische Partner.    

Gleichzeitig scheint trotz des Personalmangels in Spitälern der Druck noch nicht genügend gross zu sein. Offene Stellen können häufig noch durch Zuwanderung besetzt werden. Und schliesslich ist es eine Herausforderung, die verschiedenen «Welten» innerhalb von Spitälern – mit je eigenen Personalprozessen und Kulturen – zu vereinen und für alle verbindliche Standards zu setzen.  

Sie sprechen auch von «Inclusive Meritocracy». Was bedeutet dies konkret? Und wie können Unternehmen diesen Ansatz umsetzen, ohne dass dies als «Quotenregelung durch die Hintertür» wahrgenommen wird?

Gerade nicht durch Quoten. Wenn Personalprozesse und -entscheidungen möglichst objektiv gestaltet sind und alle Kandidat:innen die gleichen Chancen haben, werden tatsächlich die besten Talente rekrutiert oder befördert, unabhängig von Geschlecht, Alter oder Herkunft. Das sind zentrale Aspekte der «Inclusive Meritocracy».  

«Inclusive Meritocracy» gelingt, wenn Prozesse so aufgesetzt werden, dass unbewusste Vorurteile («unconscious Biases») weitgehend ausgeschlossen werden. Unter «unconscious Bias» versteht man beispielsweise die Tendenz, Menschen, die uns ähnlich sind, positiver einzuschätzen oder die ungeprüfte Zuschreibung von Durchsetzungsfähigkeit an Männer als an Frauen. Führungspersonen müssen sich ihrer Biases bei Entscheidungen bewusst sein und versuchen, diese zu reduzieren. Eine inklusive Organisation in Bezug auf Kultur, Strukturen, Prozesse und Führungsverständnis ist die Voraussetzung dafür, dass Unternehmen meritokratisch werden. Ziel unserer Studie ist es zu zeigen: Inklusion und Meritokratie sind keine Gegensätze – Meritokratie braucht Inklusion.  


Dr. Ines Hartmann ist Director am Competence Center for Diversity, Disability and Inclusion (CCDI) am Institut für Internationales Management und Diversity Management der Universität St.Gallen (IIDM-HSG).  

Der «Gender Intelligence Report 2025» von der Universität St.Gallen und Advance basiert auf der Analyse von 376'000 anonymisierten Mitarbeitenden-Daten von über 90 Unternehmen sowie einer zusätzlichen Befragung von über 600 Arbeitnehmenden in der Schweiz. Der Report steht zum Download zur Verfügung unter: advance-hsg-report.ch    

Weitere Informationen auch unter: diversity-inclusion-platform.ch

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