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1947: Der Literatur-Nobelpreisträger Thomas Mann an der Handelshochschule

Kurz und unprätentiös ist der Eintrag mit blauem Kugelschreiber im Gästebuch der Handelshochschule, das heute im Universitätsarchiv liegt: «Herzlich froh, das liebe alte St.Gallen wiederzusehen. 11. Juli 1947 Thomas Mann.» – Wie kam die Hochschule damals zur Ehre des Besuchs?

Der 1875 geborene Schriftsteller, dem 1929 für seinen Roman «Buddenbrooks» der Literatur-Nobelpreis verliehen worden war, hatte enge Beziehungen zur Schweiz: Hier lebte er 1933 bis 1938 im Exil, bevor er in die USA ging, wo er Gastprofessor an den Universitäten Princeton in New Jersey wurde. 1952 kehrte er wieder zurück in die Schweiz, wo er in Küsnacht wohnte. Er starb 1955 im Alter von 80 Jahren in Zürich. 1947 konnte Thomas Mann bereits auf ein beachtliches Lebenswerk zurückblicken und seine Schaffenskraft war auch in dieser Nachkriegszeit ungebrochen.

Unter dem Rektorat von Professor Theo Keller (1944-1951) wurden die akademischen «Aulavorträge» eingeführt. Und 1947 gelang es der Handelshochschule, Thomas Mann für eine Lesung in dieser Vortragsreihe zu gewinnen. Schon die Ankündigung der Veranstaltung am Donnerstag, dem 10. Juli stiess auf grosses Interesse: Der Schriftsteller lese am nächsten Tag um 20.15 Uhr aus seinem neuen, noch unveröffentlichten Werk «Doktor Faustus», und Eintrittskarten seien am Donnerstagnachmittag zwischen 15 und 18 Uhr beim Pedell der Hochschule für 3 Franken (Studierende 1 Franken) zu bekommen.

Zeitungsanzeige zum Aulavortrag von Thomas Mann

Bereits in der ersten Stunde des Vorverkaufs wurde der Pedell so viele Eintrittskarten los, dass die Aula nicht genügend Platz bot. Von daher fasste die Hochschule den sehr spontanen Entschluss, die Veranstaltung in die Tonhalle zu verlegen. Das für diesen Abend angesetzte Sommerkonzert des Städtischen Orchesters musste dadurch zwar abgesagt werden, aber nun bestand die Möglichkeit, noch erheblich mehr Zuhörer zuzulassen. In einer weiteren Anzeige im «Tagblatt» vom Freitag wies die Hochschule auf die Verlegung der Veranstaltung in die Tonhalle und das erweiterte Kartenkontingent hin: Karten waren nun im Vorverkauf sowie an der Abendkasse erhältlich.

Bedauerlicherweise besitzt das Universitätsarchiv kein Foto der Veranstaltung. Und so müssen wir uns ein Bild aufgrund der Zeitungsberichte machen, die am Folgetag erschienen. Die stattliche Zahl von 700 Hörern fand sich an dem Abend in der Tonhalle ein. Damit war die Halle voll besetzt. Professor Georg Thürer (Germanistik und Schweizergeschichte) sprach die Begrüssung, worin er hervorhob, dass der Künstler in grosszügiger Weise den Reinertrag des Abends dem von Bomben zertrümmerten Waisenhaus in München zugesprochen hatte.

Thomas Mann wirkte laut «Tagblatt» «liebenswürdig, jugendlich und straff in der äusseren Erscheinung». Er las zwei Kapitel aus dem Künstlerroman, an dem er in den Jahren seit 1943 gearbeitet hatte und dessen Erscheinen nun unmittelbar bevorstand. Die Auszüge des Romans um das Leben des Tonsetzers Adrian Leverkühn waren nach dem Urteil der «Volksstimme» «Kabinettstücke erzählerischen Könnens und gedanklicher Feinheit», und das «Tagblatt» bezeichnete die Veranstaltung gar als «Triumph überlegener geistsprühender Fabulierungskunst». Thomas Mann verstand es, die Zuhörerschaft 50 Minuten zu unterhalten, «ohne eine einzige Sekunde nur zu langweilen», wie die «Volksstimme» weiter berichtet. Entsprechend begeistert fiel der Applaus des Publikums aus.

Angesichts der Reaktionen «sichtlich gerührt» griff Thomas Mann schliesslich zum Kugelschreiber, um sich im Gästebuch der Handelshochschule zu verewigen.

Eintrag von Thomas Mann im Gästebuch der Hochschule
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