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Campus - 12.06.2023 - 11:40 

HSG-Studierende trainieren strategisches Denken in simulierter geopolitischer Krise

Eine geopolitische Krise mit Fokus Ukrainekrieg war die Ausgangslage einer zweitägigen Simulation im SQUARE der HSG unter dem Titel «St.Gallen Strategy Days». An diesen konnten Studierende als Vertreter:innen von Ländern, Unternehmen oder internationalen Organisationen den Ablauf der Krise beeinflussen. Diese Art des spielerischen Lernens wird auch von Regierungen, Firmen oder Armeen auf höchstem Führungsniveau eingesetzt. 

Die Welt im Juli 2023: Die Ukraine versucht, mit einer Offensive den Osten des Landes zurückzuerobern. Auch im restlichen Europa, dessen langfristige Energieversorgung nach wie vor unsicher ist, herrscht Unruhe: Die Opposition in der Türkei spricht von Wahlbetrug und Extinction Rebellion überzieht die Städte mit Protestaktionen. Norwegen meldet unterdessen gleichzeitig mit Russland seinen Anspruch auf neu entdeckte Ölvorkommen in der Arktis an. In Asien spitzt sich der Konflikt um Taiwan zu, weil Xi Jinping öffentlich wiederholt hat, der Inselstaat sei Teil Chinas.

Mit diesem geopolitischen Krisenszenario als Ausgangslage sind am 1. Juni im SQUARE der HSG die «St.Gallen Strategy Days» gestartet. Während zwei Tagen spielten 100 Teilnehmende im SQUARE mögliche Entwicklungen des Szenarios durch – aber nicht theoretisch, sondern in einer Simulation als Vertreter:innen von Ländern, internationalen Organisationen und Firmen. Die Teams repräsentierten unter anderem Russland, die Ukraine, die USA, China, Deutschland, Frankreich oder die Schweiz. Auch Konzerne wie Google, Microsoft, Huawei oder BP waren am Spiel beteiligt und internationale Organisationen wie die EU, die NATO oder die UNO.

Alle Teams mussten dabei in einer Simulation Entscheidungen treffen, miteinander verhandeln und Abkommen unterzeichnen, multinationale Treffen organisieren, geheimdienstliche Informationen beschaffen und Weiteres. «Dabei lernen die Teilnehmenden, komplexe und unsichere Situationen zu analysieren und strategische Entscheidungen unter Druck zu fällen», sagt Philippe Narval, SQUARE-Intendant und Mitorganisator der St.Gallen Strategy Days. «Zudem haben sie Gelegenheit, Führungs- und Teamarbeit sowie Verhandlungstechniken zu trainieren.» 

Ein Spiel als innovative Lehrmethode

Solche Simulationen werden als «serious gaming» bezeichnet. «Serious gaming greift alle Phasen des Lernprozesses auf. Die Teilnehmenden erhalten zwar auch theoretisches Wissen. Gleichzeitig machen sie praktische Erfahrungen, erhalten unmittelbares Feedback dazu und reflektieren so ihr Handeln und das Gelernte», sagt Diederik Stolk. Der Niederländer ist ein international tätiger Experte für politische und militärische Simulationen, die er mit Unternehmen, hochrangigen Politiker:innen sowie Militärs, wie der NATO oder dem Niederländischen Generalstab, durchführt. An Universitäten lehrt er zudem zu «serious gaming» als didaktischer Methode. «Die Studierenden und angehende Führungskräfte können in dieser Simulation Dinge ausprobieren ohne grosse Angst vor Fehlern. Und sie üben Fä-higkeiten, die ihnen im Berufsleben nützen werden», so Stolk. 

Auch bei den St.Gallen Strategy Days waren Stolk und sein Team federführend. Neben dem Design des Spiels bildeten sie ein Kontrollteam, das überwachte, ob Handlungen und Ent-scheidungen von Spieler:innen realistisch sind und diese die Regeln einhielten. 

Während der zweitägigen Simulation arbeitete im SQUARE zu-dem ein Medienteam aus echten Journalist:innen und Studie-renden, die die Ereignisse dokumentierten und Berichte darüber veröffentlichten. Die Länder, Unternehmen und Organisationen kommunizierten digital über die Plattform Slack miteinander, gleichzeitig herrschte auf den Gängen des SQUARE ein reger, oft informeller Austausch. 

Online und im Eingangsbereich des SQUARE war eine interaktive Europakarte verfügbar, die den aktuellen Verlauf des Krie-ges sowie weitere Ereignisse abbildete. Und auf diversen Bildschirmen waren aktuelle News sowie Geheimdienstberichte eingeblendet. Eine Besonderheit des Spiels war, dass die Zeit beschleunigt war: Eine Stunde Spielzeit entsprach einem Monat realer Zeit.

Anleitung von Diplomaten, Offizieren und Verhandlungsführerinnen

Vor und während des Spiels gaben diverse Expert:innen Tipps rund um strategisches Denken, Verhandlungstaktik, Diplomatie und internationale Politik. So sprach etwa Markus Reisner, Militärhistoriker und Oberst des österreichischen Bundesheers, in Workshops mit den Studierenden. Reisner ist international als Strategiexperte anerkannt. Mit seinen Analysen des Ukrainek-riegs auf Youtube erreicht er jeweils hunderttausende Zuschauer:innen und geht dabei auch auf Aspekte wie den Cyber- und Informationskrieg ein. 

Die österreichische Armee wendet «serious gaming» in der Ausbildung höherer Offiziere an, wie Reisner in einem Ge-spräch am Rande der St.Gallen Strategy Days sagte. «Die Methode vermittelt den Spielenden, wie unglaublich komplex ge-rade krisenhafte Situationen sind. Gleichzeitig sind die Spielenden gezwungen, innerhalb des Szenarios unter Zeitdruck zu handeln und sie sind damit direkt betroffen.» «Serious gaming» habe dadurch einen starken Lerneffekt. 

Kurs zu «serious gaming» für HSG-Dozierende

Neben Reisner waren unter anderem Philippe Welti, früherer Schweizer Botschafter in Indien und im Iran, die Verhandlungsexpertin Cathrin Clüver Ashbrook von der Harvard Kennedy School oder der Leadership- und Krisenkommunikationsexperte Emilio Galli-Zugaro im SQUARE vor Ort. 

Nach den St.Gallen Strategy Days soll «serious gaming» als Lehrmethode an der HSG weitere Verbreitung finden: Ende Juni findet im SQUARE dazu ein eintägiger Workshop für Dozierende statt, geleitet unter anderem von Experte Stolk. Zudem soll auf Basis der Erfahrungen an den zwei Spieltagen ein Handbuch für Interessierte an der HSG entstehen. 

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