close

Hintergrund - 31.10.2023 - 15:00 

Wie St.Gallen inklusiver werden kann

Was braucht es, damit Inklusion und Diversität in der Stadt St.Gallen zur Selbstverständlichkeit werden? Eine Podiumsdiskussion mit Mitgliedern der LGBTQ+-Community und Menschen mit Beeinträchtigung thematisierte Fortschritte und Handlungsbedarf.
Was braucht es, damit Inklusion und Diversität in der Stadt St.Gallen zur Selbstverständlichkeit werden? Eine Podiumsdiskussion mit Mitgliedern der LGBTQ+-Community und Menschen mit Beeinträchtigung thematisierte Fortschritte und Handlungsbedarf.

Die öffentliche Podiumsdiskussion im Katharinensaal wurde von PrideMonth@HSG in Zusammenarbeit mit der Stadt St.Gallen organisiert. Unter der Leitung von Saiten-Redaktorin Corinne Riedener diskutierten die Teilnehmenden, welcher Beitrag von Politik, Zivilgesellschaft, Bildung und Kultur gewünscht wäre, damit Inklusion und Diversität nicht nur Lippenbekenntnisse bleiben. Auf dem Podium sassen Amanda Künzle, Co-Präsidentin von St.Gallen Pride, Gion Jäggi, Disability Recruiting Consultant EnableMe, Andrea Scheck, Präsidentin SP Kanton St.Gallen und Armin Knecht, Projektleiter AHSGA.

Alle Menschen sind angesprochen

In der Einladung zur Veranstaltung hatte das Organisationsteam von PrideMonth@HSG darauf hingewiesen, dass es beim Diskurs über Inklusion und Diversität nicht allein um die Anliegen der LGBTQ+-Community geht, sondern auch um andere marginalisierte Gruppen. Ziel sei es, dass sich alle angesprochen und willkommen fühlten, unabhängig von Geschlecht, Rasse, Sexualität, Herkunft, Religion oder Beeinträchtigung. Diesen Leitgedanken unterstützen auch die vier Podiumsteilnehmenden. Solle Inklusion und Diversität zur Selbstverständlichkeit werden, brauche es das Engagement vieler unterschiedlicher Menschen in unserer Gesellschaft. 

Auf politischer Ebene mangle es in den Parlamenten noch immer an Mitgliedern, die sich für die Themen der marginalisierten Gruppen einsetzen würden, wurde weiter betont. Sie wünsche sich ein Regenbogenhaus wie es in Zürich existiere, antwortete Andrea Scheck auf die Frage, was in der Stadt St.Gallen konkret fehle. Das Haus garantiere queeren Menschen einen sicheren Ort, wo sie sich treffen und austauschen könnten. Ein Regenbogenhaus sei zwar wünschenswert, jedoch fördere es eher nicht das Bestreben, die marginalisierten Gruppen sichtbarer zu machen, erklärte Rollstuhlfahrer Gion Jäggi. Er wünsche sich eine Gesellschaft, in der sich auch Minderheiten an jeden beliebigen Wirtshaustisch setzen könnten, ohne diskriminiert oder angepöbelt zu werden. Mehr Inklusion und Diversität werde nur über Sichtbarkeit und Information erreicht, zeigte sich auch Amanda Künzle überzeugt. Gerade deswegen sei die erste St.Gallen Pride vom August mit 4000 Teilnehmenden so wichtig gewesen.

Viel Potential in Bildung und Kultur

Armin Knecht berichtete über seine Erfahrungen mit Workshops in Schulen. Oft reagierten die Jugendlichen zunächst mit Klischees und Vorurteilen, die sie etwa über die sozialen Medien aufgenommen hätten. Das ändere sich meistens, wenn sie mit den queeren Mitarbeitenden ins Gespräch kämen, die aus ihrem Leben erzählten. «Dann hören sie gebannt zu, um zu erfahren, was es heisst, queer zu sein.» Das Potential der Bildung nahmen mehrere Personen aus dem Publikum auf. Es sei beschämend, wie wenig Inklusion und Diversität in den Klassenzimmern zum Thema gemacht würden, betonte eine Votantin. Eine andere forderte, der Diskurs müsse in die Ausbildung künftiger Lehrpersonen integriert werden.

Einig waren sich die Podiumsteilnehmenden, dass auch die Kulturbetriebe einen wertvollen Beitrag zur Sichtbarkeit von marginalisierten Gruppen leisten können, in dem sie entsprechende Filme, Lesungen, Aufführungen und andere kulturelle Beiträge in ihr Programm aufnehmen. Gelobt wurde dabei, dass zur Wiedereröffnung des renovierten Theaters St.Gallen eine Oper über das Leben der Trans-Pionierin Lili Elbe auf dem Spielplan stand.

Selbstbestimmt und sicher leben

In der Schlussrunde waren die Podiumsteilnehmenden aufgefordert, ihre Vision für den Zeitraum der nächsten fünf Jahre zu formulieren. Gion Jäggi betonte, sein Zukunftsbild zeige Menschen mit Beeinträchtigung als selbstbestimmt und von der Gesellschaft als Expert:innen wahrgenommen. «Noch heute werden viele von uns fremdbestimmt, weil in den entsprechenden Gremien ausschliesslich oder mehrheitlich Menschen ohne Beeinträchtigung sitzen.» Andrea Scheck wünschte sich Parlamente, die sich für die Anliegen von Inklusion und Diversität selbst dann einsetzen, wenn es für die Projekte und Vorhaben Geld braucht. 

Armin Knecht sprach die mentale Gesundheit an. Vielen queeren Menschen gehe es gesundheitlich nicht gut, weil sie von der Gesellschaft nicht ernst genommen würden. Für sie brauche es endlich entsprechende Angebote. «Meine Vision ist, dass wir keine geschützten Räume mehr für uns Queere einfordern müssen, sondern die ganze Gesellschaft zu einem sicheren Raum für alle Menschen wird», erklärte Amanda Künzle.

Claudia Schmid

Bild: Universität St.Gallen (HSG) / Hannes Thalmann 

Entdecken Sie unsere Themenschwerpunkte

north