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Forschung - 14.07.2020 - 00:00 

Welche Auswirkungen haben COVID-19-Lockdown-Massnahmen auf Beschäftigung und BIP in verschiedenen Ländern?

Ein internationales Team aus Forschern der Universität St.Gallen, der University of Edinburgh sowie der McGill University und der Duke University, darunter Charles Gottlieb, Assistenzprofessor am SEW-HSG, untersucht, wie die Fähigkeit zur Arbeit von zu Hause aus von Land zu Land variiert, und erfasst die Folgen der in bestimmten Branchen geltenden Lockdown-Massnahmen auf Beschäftigung und BIP.

 

14. Juli 2020. Als Reaktion auf den Ausbruch von COVID-19 haben 114 Länder Massnahmen umgesetzt, die mit Ausnahme systemrelevanter Arbeitsplätze Schliessungen oder die Arbeit von zu Hause aus vorsehen. In Branchen, die zur Schliessung gezwungen sind, kann die Tätigkeit nur von Heimarbeitsplätzen der Mitarbeiter aus fortgesetzt werden. Unterschiede zwischen den Ländern bei der Fähigkeit zur Arbeit von zu Hause aus sind daher entscheidend, um die wirtschaftlichen Auswirkungen von Lockdown-Massnahmen zu bewerten. Gleichzeitig unterscheiden sich Länder erheblich in ihrer Branchenzusammensetzung, weshalb auf die gleichen Branchen abzielende Lockdown-Massnahmen in verschiedenen Volkswirtschaften zu abweichenden Ergebnissen führen können.
 

Eine aktuelle Untersuchung von Charles Gottlieb (Universität St Gallen), Jan Grobovšek (University of Edinburgh), Markus Poschke (McGill University) und Fernando Saltiel (Duke University) erfasst die Fähigkeit zur Arbeit von zu Hause aus sowie die Auswirkungen realistischer Lockdown-Massnahmen auf Beschäftigung und BIP für einen breiten Querschnitt von Ländern, die nach Pro-Kopf-Einkommen von Niger bis Luxemburg gestaffelt sind.
 

Wer kann von zu Hause aus arbeiten?

Diese Studie erfasst die Fähigkeit zur Arbeit von zu Hause aus anhand von Informationen zur Art der Aufgaben bestimmter Berufe. Ausgehend von Daten zu Beschäftigten in städtischen Gebieten von zehn Ländern mit niedrigerem und gehobenem mittlerem Einkommen aus den Jahren 2012–2013, die nach dem Pro-Kopf-Einkommen (ppp) von USD 3’700 (Kenia) bis 15’000 (Mazedonien) reichen, zeigt die Studie auf, dass die Fähigkeit zur Arbeit von zu Hause aus je nach Beruf und Demografie stark variiert. Während bei rund 60 Prozent der Stellen auf Führungsebene, in freien Berufen sowie für Bürotätigkeiten (Gruppen 1–4) die Arbeit von zu Hause erledigt werden kann, können nur etwa 30 Prozent der Tätigkeiten von Hilfsarbeitskräften, Handwerkern oder Anlagen- und Maschinenbedienern (Gruppen 6–9) aus der Ferne ausgeführt werden (siehe Abbildung 1a). Die Fähigkeit zur Arbeit von zu Hause aus variiert ausserdem stark über demografische Gruppen hinweg. So ist sie bei Schulabbrechern um 20 Prozentpunkte niedriger als bei Personen mit Schulabschluss und bei Selbstständigen um 15 Prozentpunkte niedriger als bei Angestellten. Frauen sind erheblich besser in der Lage, von zu Hause aus zu arbeiten (51,5 Prozent), als Männer (37,4 Prozent), wie Abbildung 1b zeigt.

Abbildung 1: Fähigkeit zur Arbeit von zu Hause aus nach Beruf und demografischer Gruppe
Work from home ability by occupation and demographic groups

 
Arbeit von zu Hause aus in verschiedenen Ländern

Anhand dieser Messgrössen wird dann die Fähigkeit zur Arbeit von zu Hause aus für 57 Länder, von Äthiopien bis Luxemburg erfasst. In Abbildung 2 ist zu erkennen, dass die Fähigkeit zur Arbeit von zu Hause in städtischen Gebieten in armen Ländern deutlich geringer ist. Sie reicht von rund 35 Prozent in den ärmsten Ländern bis zu etwa 53 Prozent in den reichsten.
 

Ein Grossteil dieser Abweichung ist auf die unterschiedlichen Beschäftigungsstrukturen der Länder zurückzuführen, die je nach Entwicklungsstand variieren. Arme Länder haben einen geringen Beschäftigungsanteil in zur Arbeit von zu Hause aus geeigneten Berufen wie Führungskräfte und Freiberufler und einen hohen Anteil in Berufen, die sich hierfür nicht eignen, wie in Abbildung 3 dargestellt. Ausserdem weisen sie mehr Schulabbrecher und selbstständig tätige Personen auf. All diese Faktoren vermindern ihre Fähigkeit zur Arbeit von zu Hause aus.

Abbildung 2: Aggregierte Fähigkeit zur Arbeit von zu Hause in städtischen Gebieten verschiedener Länder
Aggregate work from home ability in urban areas across countries

Abbildung 3: Städtische Beschäftigungsstruktur nach Einkommensgruppe im Land
Urban occupation composition by country income group

Auswirkungen branchenspezifischer Lockdown-Massnahmen

In der Praxis fahren Lockdown-Massnahmen nicht die gesamte Wirtschaft herunter, sondern konzentrieren sich auf nicht systemrelevante Branchen. In Arbeitsplätzen in systemrelevanten Branchen kann die Tätigkeit fortgesetzt werden, auch wenn die Mitarbeiter nicht von zu Hause aus arbeiten können (z. B. in Gesundheitswesen, Lebensmittelhandel, Landwirtschaft). Daher hängen die Folgen von Lockdown-Massnahmen auf Gesamtbeschäftigung und Wirtschaftsleistung nicht nur von der Fähigkeit eines Landes zur Arbeit von zu Hause ab, sondern auch von seiner Branchenstruktur.
 

Anhand von Daten zu Mehrwert und Beschäftigung für 20 Branchen in 85 Ländern wird ein «harter» Lockdown simuliert, der den in Italien, Spanien und Deutschland umgesetzten Massnahmen nachempfunden ist, sowie ein «weicher» Lockdown, der die Situation nach ersten Lockerungen erfassen soll.
 

Abbildung 4: Beschäftigung und BIP je nach Lockdown-Szenario im Vergleich zu vorher
Employment and GDP by lockdown scenario, relative to pre-trend
Employment and GDP by lockdown scenario, relative to pre-trend
 

Abbildung 4 stellt den durch Lockdown-Massnahmen verursachten Rückgang bei Beschäftigung und BIP für zahlreiche Länder gestaffelt nach Einkommensniveau dar. Die obere (untere) Grafik zeigt den harten (weichen) Lockdown. Über die Länder hinweg betrachtet, bedingt der harte (weiche) Lockdown einen durchschnittlichen Beschäftigungsrückgang um 25,5 Prozent (9,8 Prozent). Das BIP sinkt im Schnitt auf annualisierter Basis um 28,9 Prozent (8,9 Prozent).
 

In beiden Szenarien weisen Beschäftigung und BIP nach Pro-Kopf-Einkommen betrachtet eine U-Form auf. Länder mit hohem Einkommen haben eine deutlich höhere Fähigkeit zur Arbeit von zu Hause aus, was den Einbruch bei Beschäftigung und BIP aufgrund des Lockdowns in nicht systemrelevanten Branchen abmildert. Dagegen konzentrieren sich Beschäftigung und Mehrwert in Ländern mit niedrigem Einkommen in systemrelevanten Branchen, die keinen Schliessungen unterliegen. Länder mit mittlerem Einkommensniveau verzeichnen die stärksten Rückgänge, da sie einen vergleichsweise grossen Beschäftigungsanteil in nicht systemrelevanten Branchen sowie eine vergleichsweise geringe Fähigkeit zur Arbeit von zu Hause aus aufweisen.

Fazit

Lockdown-Massnahmen haben erhebliche disruptive Auswirkungen auf Wirtschaftsräume weltweit. Diese neue Forschungsarbeit dokumentiert, dass die Beschäftigungsstruktur von Wirtschaftsräumen über das gesamte Spektrum des Pro-Kopf-Einkommens hinweg betrachtet so beschaffen ist, dass die potenziellen Folgen von Lockdown-Massnahmen für Beschäftigung und BIP in Ländern mit niedrigem und hohem Einkommen ein ähnliches Ausmass aufweisen und in Ländern mit mittlerem Einkommen am stärksten sind.
 

Darüber hinaus stellen die Autoren einen Online-Lockdown-Simulator bereit, mit dem Anwender selbst definierte Lockdown-Massnahmen für bestimmte Branchen simulieren können. Damit wollen sie die politische Debatte über die Gestaltung von Lockdown-Massnahmen in Ländern mit niedrigem, mittleren und hohem Einkommen anregen.
 

Bild: photocase / PolaRocket

 

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