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Hintergrund - 04.11.2022 - 14:16 

Südasien muss sich proaktiv auf den Klimawandel vorbereiten

Die jüngsten Überschwemmungen in Pakistan, die durch rekordverdächtige Regenfälle und schmelzende Gletscher verursacht wurden, haben ein Drittel des Landes überschwemmt und betrafen fast 33 Millionen Menschen. Von Manali Kumar.

4. November 2022. Die beispiellosen Überschwemmungen der letzten Monate in Pakistan haben zu weitreichenden Zerstörungen geführt, wobei sowohl Ernten als auch private und öffentliche Infrastrukturen zerstört wurden. Das Land steht nun vor einer humanitären und gesundheitlichen Krise. Die Regierung schätzt die entstandenen Schäden auf bis zu 40 Mrd. USD; der Wiederaufbau wird eine Herkulesaufgabe für dieses Entwick-lungsland sein, das ohnehin schon mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hatte.

Dies ist nur eines von mehreren extremen Klimaereignissen, die Südasien in diesem Jahr heimgesucht haben. Nach Bangladesch in diesem Sommer hat nun auch Nepal mit Überschwemmungen und Erdrutschen zu kämp-fen. Auch Indien und Pakistan wurden von einer rekordverdächtigen Hit-zewelle heimgesucht, die früher begann und länger dauerte als üblich. Sie zerstörte nicht nur die Ernten, sondern verursachte auch Stromengpässe und Dürre. Leider sind diese Ereignisse nur ein erster Hinweis darauf, worauf sich Südasien in den kommenden Jahren einstellen muss. Der Klimawandel ist für diese dicht besiedelte Region bereits zu einer existen-ziellen Krise geworden.

Eine katastrophenanfällige Region an der Frontlinie des Klimawandels
Einer Schätzung zufolge ist der indopazifische Raum viermal häufiger von Naturkatastrophen betroffen als Afrika und 25-mal häufiger als Europa. Südasien ist eine besonders katastrophenanfällige Region, da klimabeding-te hydrometeorologische Katastrophen wie Überschwemmungen, Stürme, Hitzewellen und Dürren in der Region immer häufiger und schwerer aus-fallen. Diese wiederum führen zu Wasserknappheit, Ernährungsunsicher-heit, Armut und oft auch zu Gesundheitskrisen. Abgesehen von den ho-hen menschlichen Kosten dieser Wetterkatastrophen werden die Länder der Region auch mit massiven wirtschaftlichen Kosten konfrontiert.

Einem Bericht zufolge könnten zunehmende Hitze und Feuchtigkeit das indische BIP bis 2030 um etwa 2,5 bis 4,5 Prozent verringern, was etwa 150 bis 250 Milliarden US-Dollar entspricht. In einem aktuellen Bericht der Asian Development Bank wird geschätzt, dass zwischen 2010 und 2021 im gesamten asiatisch-pazifischen Raum 221 Millionen Menschen durch Na-turkatastrophen vertrieben wurden, darunter 5 Millionen allein durch den Zyklon Amphan im Jahr 2020. Die Zahlen für dieses Jahr werden zweifel-los viel höher ausfallen, und die Zahl der Menschen, die Naturkatastro-phen ausgesetzt sind, steigt jedes Jahr um etwa 3,5 Prozent.

Der Klimawandel verstärkt auch die Binnenmigration. Da einige Gebiete aufgrund von Wasserknappheit oder steigendem Meeresspiegel immer schwieriger zu bewohnen sind und die wirtschaftlichen Möglichkeiten knapper werden, ziehen die Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben in andere Gebiete. Wenn nicht dringend angemessene Maßnahmen ergriffen werden, könnte es in Südasien bis zu 40 Millionen interne Klimamigranten geben. Oft ziehen die Menschen auf der Suche nach wirt-schaftlichen Möglichkeiten in die grossen Städte. Leider wird dies Mega-städte wie Delhi und Mumbai weiter belasten, die bereits unter schlechter Infrastruktur, zunehmender Verschmutzung und Umweltzerstörung lei-den.

Politik und Vorbereitung verbessern
Die südasiatischen Länder haben einige Anstrengungen unternommen, um sich auf bestimmte Katastrophen vorzubereiten, z. B. auf Wirbelstür-me in Bangladesch und Erdbeben in Pakistan. Durch das anhaltende Be-völkerungswachstum und die Verstädterung steigt jedoch die Bevölke-rungsdichte in katastrophengefährdeten Gebieten. So wird erwartet, dass bis 2050 schätzungsweise 246 Millionen Menschen in zyklongefährdeten Gebieten leben werden. Frühzeitige Warnungen und Evakuierungen kön-nen die Zahl der Todesopfer verringern, auch wenn das Risiko für Privat-eigentum und öffentliche Infrastrukturen hoch bleibt.

Neben der Entwicklung nationaler Katastrophenschutz- und -hilfsmechanismen ist es von entscheidender Bedeutung, die nationale Po-litik zu verbessern - insbesondere in der Stadtplanung. Schlechte Infra-struktur und eine Stadtentwicklung, die die lokale Ökologie außer Acht lässt, verschärfen viele Probleme. Jeder, der schon einmal während der Monsunzeit auf Indiens oder Pakistans überschwemmten Straßen unter-wegs war, kann bestätigen, dass die Entwässerungssysteme nicht gut ge-plant wurden.

Aufgrund der ökologischen und geografischen Kontinuitäten in der Regi-on gibt es zwingende Gründe für eine regionale Zusammenarbeit. Daher müssen die südasiatischen Länder neben ihren eigenen Anstrengungen auch ernsthaft in multilaterale Mechanismen für humanitäre Hilfe und Ka-tastrophenhilfe investieren, an denen es bisher mangelt. Obwohl bei-spielsweise die Bedeutung des Katastrophenrisikomanagements aner-kannt und die Wichtigkeit einer verstärkten regionalen Zusammenarbeit bei der Bewältigung des Klimawandels betont wird, haben weder die In-dian Ocean Rim Association (die Pakistan ausschliesst) noch die South Asian Association for Regional Cooperation irgendwelche konkreten Pläne ausgearbeitet oder umgesetzt.

Aufbau einer Koalition auf internationaler Ebene
Multilaterale Organisationen haben Pakistan bereits frühzeitig Unterstüt-zung zugesagt und Spendenaktionen gestartet. Anfang Oktober haben die Vereinten Nationen einen Spendenaufruf gestartet, um dem Land mit 816 Millionen US-Dollar zu helfen, sich von der Flut zu erholen. Auch wenn diese Mittel bei Weitem nicht ausreichen, um den Gesamtschaden des Landes zu begleichen, wird selbst dieser Betrag schwierig aufzubringen sein. Die Vereinten Nationen haben bisher nur 90 Mio. USD erhalten. Im September teilte die Weltbank mit, dass sie für die verschiedenen Rehabili-tations- und Wiederaufbaumassnahmen eine Unterstützung von etwa 2 Mrd. USD in Aussicht stellt. Die Asian Development Bank hat bis zu 2,5 Mrd. USD zugesagt.

Die Unterstützung aus den wohlhabenden Volkswirtschaften war unein-heitlich. Im Gegensatz zu den USA (66 Mio. USD), China (59 Mio. USD) und dem Vereinigten Königreich (30 Mio. USD) hat die EU nur etwa 2,28 Mio. USD bereitgestellt. Die Hilfe aus anderen grossen Volkswirtschaften ist weniger klar. Während Länder wie Deutschland schnelle Hilfe und so-fortige Nahrungsmittelhilfe leisteten, wird es Jahre dauern, bis sich Pakis-tan von den weitreichenden Zerstörungen erholt hat. Pakistan wird nach-haltige Hilfe benötigen, sobald es nach der Bewältigung der unmittelbaren humanitären Krise mit dem Wiederaufbau beginnt; es ist noch nicht klar, wie viel Unterstützung es in der späteren Phase erhalten wird.

Südasiens Probleme mit dem Klimawandel werden sich nur noch ver-schärfen. Mit der zunehmenden Häufigkeit und Schwere extremer Klima-ereignisse werden auch die Kosten, um darauf zu reagieren und sich da-von zu erholen, steigen. Für die Länder der Region wird es immer schwie-riger werden, diese Kosten zu tragen, da der Verlust des Bruttoinlands-produkts aufgrund dieser Katastrophen ihre wirtschaftlichen Möglichkei-ten weiter einschränken wird. Die Region sieht sich nicht nur mit steigen-den humanitären Kosten und Unsicherheit konfrontiert, sondern auch mit einem Rückfall in die Armut für Millionen von Menschen und einem Rückschritt bei den hart erkämpften Entwicklungserfolgen der letzten Jahrzehnte.

Da die Kosten für die Bewältigung extremer Klimaereignisse in Zukunft steigen werden, ist unklar, inwieweit die wohlhabenden Volkswirtschaf-ten bereit sein werden, die Entwicklungsländer weiterhin zu unterstützen, vor allem wenn sie selbst mit den Folgen des Klimawandels konfrontiert werden.

Leider stehen die Entwicklungsländer bei der Bewältigung dieser Lasten zunehmend alleine da. Auf globaler Ebene müssen sie nun zusammenar-beiten, um die reichen Länder dazu zu bringen, die bisher versprochene Klimafinanzierung zu leisten, und auf der bevorstehenden COP27 auf die Entwicklung von Finanzmechanismen zur Unterstützung des Wiederauf-baus zu drängen.

Die angespannten Beziehungen zwischen den Ländern Südasiens haben die bilateralen Beziehungen und multilateralen Institutionen zu lange be-hindert. Doch die politische Führung aller Länder der Region muss erken-nen und akzeptieren, dass die existenziellen Herausforderungen des Kli-mawandels weitaus wichtiger sind als anhaltende ideologische Rivalitäten und territoriale Streitigkeiten. Sieben Jahrzehnte der Feindschaft sind ge-nug. Die südasiatischen Länder täten gut daran, ihre gegenseitigen Ani-mositäten endlich beiseite zu legen und mit der Entwicklung transnationa-ler und regionaler Mechanismen zur Anpassung an den Klimawandel und zur Bewältigung von Katastrophen zu beginnen.

Dieser Artikel wurde ursprünglich auf 9DASHLINE.com veröffentlicht, einer Plattform für Kommentare und Analysen zu Themen, die den in-dopazifischen Raum betreffen — die dynamischste Region der Welt.

Manali Kumar ist Postdoctoral Research Fellow, Dozentin an der Universität St. Gallen und Chefredakteurin von 9DASHLINE. Sie forscht zu Indiens natio-naler Identität und Indiens Interessen als aufstrebende Macht sowie zur Rolle der Umsicht in der Staatsführung und Entscheidungsfindung in unsicheren Zeiten.

Foto: photocase.com / Rucksackträger

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