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Leute - 28.10.2021 - 00:00 

Paula Bialski: «Musik ist sehr sozial»

Nur wenige schaffen eine akademische oder musikalische Karriere. Paula Bialski hat beides erreicht. In diesem Interview erzählt sie die Geschichte ihrer Band «Paula & Karol», wie sie die Pandemie als Musikerin erlebt hat und wie sie versucht, ein Vorbild für ihre Studierenden zu sein.

20. Oktober 2021.

Paula, Sie sind Assoziierte Professorin für Soziologie der Digitalisierung an der Universität St.Gallen. Zugleich sind Sie eine ziemlich erfolgreiche Musikerin. Sogar der Guardian hat Ihre Band «Paula & Karol» in seinen Index «Sound of 2011 around the world» aufgenommen und festgestellt, dass «sie Polens neue Superhelden sind. Nicht die Sorte mit eng anliegenden Hosen und flatternden Umhängen. Sondern eher so etwas wie: Kommt zu unserem Konzert - wir brechen euch die Herzen, und dann bringen wir es wieder in Ordnung.» Erzählen Sie uns ein wenig über die Geschichte Ihrer Band.

Vor 12 Jahren arbeitete ich an meiner Doktorarbeit an der Abteilung für Soziologie der Universität Lancaster und dachte in keinster Weise an eine musikalische Karriere. Aber ich sang gerne auf Partys, und als ich für eine Gastdozentur nach Warschau zurückkam, fragte ich ein paar Freunde, ob sie einen Chor kannten oder jemanden, der gerne zusammen mit anderen Leuten singt. Karol war auf der Suche nach einer Backgroundsängerin und ein gemeinsamer Freund von uns brachte uns zusammen. Zuerst dachte ich, ich sei nicht gut genug dafür, da ich meine Stimme nie wirklich trainiert habe, aber dann haben wir ganz natürlich angefangen, gemeinsam Musik zu machen. Sie müssen wissen, dass es nicht einfach ist, gemeinsam Songs zu schreiben, und die meisten Bands fangen üblicherweise damit an, Coversongs zu spielen. Aber Karol entdeckte in mir die Musikerin, von der ich vorher nichts wusste. Musik ist extrem sozial. Es ist nicht nur Musik, es ist vielmehr «Musicking» - wie der Musikwissenschaftler Christopher Small es nennt -, also das Musizieren, es geht um Zusammengehörigkeit.

 

 

 

 

Musik ist extrem sozial. Es geht nicht nur um Musik, es geht um «Musiking» -, also das Musizieren, es geht um Zusammengehörigkeit.

 

 

 

Sie verbinden nicht nur die Welt der Wissenschaft und der Kunst, sondern auch zwei Kulturen, denn Sie sind polnische Kanadierin. Wie unterscheiden sich diese beiden Kulturen musikalisch?

Wir haben zu einer Zeit angefangen, Musik zu machen, als in Polen eine Menge Musikbars eröffnet wurden. Das postsozialistische Polen in den 90er und 2000er Jahren, als ich dort war, holte gerade den Rückstand gegenüber dem restlichen Europa auf, was das Nachtleben und die Kultur anging. Die Bandkultur war 10 bis 20 Jahre hinter dem zurück, was zum Beispiel in Deutschland passierte. Die Leute gingen selten in Restaurants und es gab nicht viel Infrastruktur, um Musik zu machen. In Kanada macht man einfach Musik auf einer Küchenparty. Als nicht-professionelle Musiker, die auf Englisch singen, waren wir zu dieser Zeit, etwa 2009, als wir anfingen zu spielen, etwas Besonderes. Wir wurden schnell sehr beliebt, sogar auf YouTube, was heute völlig normal ist, damals aber die Ausnahme war. Dann wurden wir vom polnischen Adam-Mickiewicz-Institut unterstützt, um auf Festivals in der Ukraine, Island und Kanada zu spielen. Und so wurden wir zum Gesicht eines jungen, neuen Polens, das der Welt gegenüber offen ist.

 

 

 

Paula & Karol - Calling (Official Video)

 

 

 

Paula & Karol - Calling (Official Video)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dies ist das erste Musikvideo aus dem Debütalbum "Overshare" von Paula & Karol (LADO ABC, 2009).

 

 

 

Warum haben Sie sich trotz Ihres Erfolgs letztendlich für eine Karriere in der Wissenschaft entschieden?

Nachdem ich meine Promotion abgeschlossen hatte, beschloss ich, eine Pause von etwa zwei Jahren einzulegen und mich nur auf meine Musik zu konzentrieren. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich wirklich nicht, welchen Weg ich einschlagen sollte. Ich liebe Musik, aber ich forsche auch gerne – es war ein regelrechter innerer Kampf. Vielleicht war ich sehr rational, aber ich dachte, eine akademische Laufbahn sei sicherer. Auf Tournee zu gehen, ist zudem schwierig und nicht gerade ein «Frauensport». Es geht viel darum, bis in die frühen Morgenstunden in Bars herumzuhängen, und das wurde nach einer Weile etwas ermüdend, also musste ich aufhören.

Aber offensichtlich haben Sie nicht ganz aufgehört.

Ja, das ist es, was ich an der Universität St.Gallen mag. Die Berufungskommission sagte im Grunde genommen: Wir stellen Sie wegen Ihrer Forschung ein, aber wir stellen Sie auch ein, weil Sie eine interessante Person sind, von der unsere Gemeinschaft und unsere Studierenden profitieren werden. Es war so erleichternd, dass ich dieses andere Leben nicht verstecken musste. Das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. An anderen Universitäten wurde mir geraten, eine klare Entscheidung zu treffen.

 

 

 

 

Beide Welten leiden, aber beide profitieren auch.

 

 

 

Ihre Musik hat immer noch einen hohen Grad an Professionalität. Wie schaffen Sie es, diese beiden Welten zu verbinden? Ist es ein Problem für Ihre Band, dass Sie nicht zu 100 Prozent «da» sind?

Das ist es einerseits und andererseits ist es das nicht. Karol unterstützt mich und hält zu mir. Einerseits spielen wir weniger Konzerte und sind nicht so erfolgreich, wie wir sein könnten. Andererseits kann ich meine Verbindungen nutzen, um unsere Band an Orte zu bringen, an denen wir noch nicht waren. Während der Prüfungen im letzten Juni haben wir unser neues Album veröffentlicht und hatten Zeit, auf Tournee zu gehen. Das bedeutet aber auch, dass ich weniger Zeit habe, um weitere Artikel zu veröffentlichen, was für meine akademische Karriere gut wäre. Auf der anderen Seite kann ich meine Erfahrungen in meinen Vorlesungen nutzen und die Dinge aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Sie sehen, beide Welten leiden, aber beide profitieren auch.

Wie haben Sie als Musikerin die Pandemie erlebt?

Es war sehr schwer, unsere Band nicht zu treffen und nicht aufzutreten oder zu proben. Mir war bis dahin nicht klar, wie wichtig das für mich ist, und es hat mich als Musikerin bestärkt. Wir wollten unbedingt im Juni wieder zusammenkommen! Musik schafft einen so wichtigen Raum in der Gesellschaft, in dem Menschen zusammenkommen, um Musik zu machen, Musik zu hören, zu reden und Ideen auszutauschen. Das Publikum und die Musiker schaffen gemeinsam etwas Neues, das nicht durch das Hören von Musik zu Hause oder durch Proben ersetzt werden kann. Musik ist eine unerlässliche Dienstleistung, die nicht ersetzt werden kann, auch wenn sie von den meisten Regierungen nicht als solche angesehen wird.

 

 

 

 

Ich versuche, ein Vorbild zu sein und zu zeigen, dass man beides machen kann - Musik und eine «ernsthafte» Karriere.

 

 

 

In Ihren Kursen beschäftigen Sie sich auch mit dem Thema Musik. Der Podcast «Music in Lockdown» ist aus Ihrem Kurs «Sounds & Society» hervorgegangen. Wie kommen solche Themen bei unseren Studierenden einer Wirtschaftsuniversität an?

Es gibt viele Studierende, die sich für Musik aus wirtschaftlicher Sicht interessieren, und das ist völlig in Ordnung. Aber es gibt auch viele Studierende, die selbst Musik machen oder produzieren. Andere wollten schon immer Musik studieren, aber sie (oder ihre Eltern) hatten Angst, das Risiko einzugehen. Sie freuen sich darüber, sich mit Musik beschäftigen zu können. Ich versuche, ein Vorbild zu sein und zu zeigen, dass man beides machen kann - Musik und eine «ernsthafte» Karriere. Ich sage meinen Studierenden, dass sie die Musik nicht aufgeben müssen, selbst wenn sie am Ende bei McKinsey arbeiten. (lacht)

Prof. Dr. Paula Bialski ist Assoziierte Professorin für Soziologie der Digitalisierung an der School of Humanities and Social Sciences (SHSS-HSG).

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