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Meinungen - 26.01.2023 - 14:00 

Haben Hausarbeiten eine Zukunft?

Dank ChatGPT ist jeder Text im Nu geschrieben. Es ist an der Zeit, über Rolle und Bedeutung von Hausarbeiten an Schulen und Universitäten nachzudenken. Ein Beitrag von Vito Roberto und Roman Schister.
Kind schreibt eine Schularbeit in einem Notizbuch mit einem Füllfederhalter
Dank ChatGPT ist jeder Text im Nu geschrieben. Es ist an der Zeit, über Rolle und Bedeutung von Hausarbeiten an Schulen und Universitäten nachzudenken.

«Schriftliche Arbeiten sind ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung, da sie den Schülern und Studenten helfen, ihr Verständnis bestimmter Themen zu vertiefen und ihre Fähigkeiten im Schreiben und Argumentieren zu verbessern. Sodann ermöglichen sie den Lehrern, die Leistungen der Schüler und Studenten zu bewerten und ihnen Feedback zu geben, damit sie ihre Kenntnisse und Fähigkeiten verbessern können.»

Den vorstehenden Absatz hat der Chatbot «ChatGPT» geschrieben, den das US-amerikanische Unternehmen OpenAI letzten November veröffentlicht hat. Das Programm musste lediglich gefragt werden: «Welche Bedeutung haben schriftliche Arbeiten in der Ausbildung?» Das Ergebnis lässt sich sehen: Der produzierte Text enthält für die gestellte Frage wesentliche Punkte, ist kohärent, sprachlich korrekt und könnte auch von einem Menschen verfasst worden sein.

Sag, wie hast du’s mit der Künstlichen Intelligenz?

Diese Vorzüge können sich auch Schülerinnen und Schüler sowie Studierende zunutze machen. Einen Aufsatz über die Gretchenfrage aus Goethes «Faust» liefert ChatGPT ebenso zuverlässig wie eine Gliederung für eine Seminararbeit über die Haftung eines Motorfahrzeughalters. Eine abgabereife Arbeit ist damit jedoch noch nicht erstellt. Die neuen technischen Hilfsmittel erlauben es jedoch, Hausarbeiten mit minimalem Aufwand zu verfassen. Dies stellt Schulen und Universitäten, an denen Hausarbeiten einen wesentlichen Teil der Leistungsbeurteilung ausmachen, vor neue Herausforderungen.

Die Stadt New York hat die Risiken schnell erkannt und ChatGPT an ihren Schulen kurzerhand verboten. Nebst dem offensichtlichen Durchsetzungsproblem dürfte ein Verbot auch aus bildungspolitischer Sicht nicht zielführend sein: Bildungseinrichtungen sollten für sich in Anspruch nehmen, mit ihrem Angebot auf eine digitalisierte Welt vorzubereiten. Die Einrichtung eines «analogen Sandkastens», in dem so getan wird, als gäbe es kein ChatGPT, bewirkt das genaue Gegenteil.

Überdies bringen Programme wie ChatGPT auch Chancen mit sich. So können sie einen Beitrag zum Abbau von Ungleichheiten bei den Bildungschancen leisten. In der Vergangenheit profitierte, wer im sozialen Umfeld auf Hilfestellung zurückgreifen oder sich externe Unterstützung finanziell leisten konnte. Ghostwriter- und Lektoratsdienstleistungen werden durch die neuen Möglichkeiten demokratisiert. Zwar hat OpenAI bereits angekündigt, dass für ChatGPT eine Bezahlversion geplant sei. Solche Angebote werden jedoch immer noch deutlich kostengünstiger sein als ihre traditionellen Gegenstücke.

Bildungseinrichtungen sind gefordert

Sprachmodelle wie GPT sind darauf trainiert, Text zu produzieren. Sie evaluieren anhand von Wahrscheinlichkeiten, wie ein begonnener Satz weitergeht. Das Ergebnis ist sprachlich häufig fehlerfrei, inhaltlich bisweilen aber völlig falsch. Die Autorinnen und Autoren von Hausarbeiten müssen sich daher einstweilen zumindest noch genügend in der Materie auskennen, um Fehler der Software korrigieren zu können.

Gleichwohl werden sich mit der Zeit Inhalt und Zielsetzung von schriftlichen Arbeiten verlagern müssen. Für rein deskriptive Arbeiten wird es keinen Platz mehr geben, sofern nicht ausschliesslich die Fähigkeiten im Umgang mit neuen Technologien geprüft werden sollen. Dafür werden Aufgaben höherer Komplexitätsstufen wie Sachverhaltsanalyse, Problemlösung und kritisches Denken gefordert sein. Dieser Schritt ist zu begrüssen, wird aber unweigerlich einen erheblichen Mehraufwand für die Lehrpersonen bei der Vorbereitung und der Korrektur mit sich bringen.

Bildungsinstitutionen müssen sich mit Blick auf ihre Ressourcen in der Lehre fragen, ob Hausarbeiten im bisherigen Ausmass, welche den neuen inhaltlichen Anforderungen gerecht werden, noch möglich sind. Die auf Künstlicher Intelligenz basierenden Programme werden derweil von Tag zu Tag besser. Bildungseinrichtungen tun daher gut daran, sich schon heute mit der Zukunft von schriftlichen Arbeiten zu beschäftigen.

Vito Roberto ist Professor für Privat-, Handels- und Wirtschaftsrecht, Roman Schister Postdoc an der Universität St.Gallen.

Eine ausführliche Besprechung der Thematik erscheint im «Jusletter» vom 6. Februar 2023.

Bild: Adobe Stock / marritch

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