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Forschung - 02.05.2024 - 15:00 

53. St. Gallen Symposium: Führungskräfte von heute und morgen fordern Paradigmenwechsel

Führungskräfte von heute und morgen fordern Unternehmen auf, ihre Prioritäten auf den Kopf zu stellen. So lautet eine zentrale Erkenntnis der diesjährigen Ausgabe der Studie «Voices of the Leaders of Tomorrow», die das St. Gallen Symposium mit dem Nürnberg Institut für Marktentscheidungen (NIM) durchgeführt hat.

Im Rahmen der Studie wurden 650 Talente aus dem internationalen Netzwerk des St. Gallen Symposiums, die «Leaders of Tomorrow» sowie 250 erfahrene Führungskräfte der umsatzstärksten Unternehmen, weltweit befragt, was sie über das Thema «Scarcity – Knappheit natürlicher Ressourcen» denken.

Die Mehrheit der Befragten beider Generationen fordern von Unternehmen, sozialen und ökologischen Mehrwert höher zu priorisieren als Gewinne für ihre Aktionäre. Die geforderte Prioritäten-Hierarchie würde die aktuellen Verhältnisse, bei denen aus Sicht der Befragten der Shareholder Value dominiert, auf den Kopf stellen. Leader of Tomorrow Jessica Jones (29), Nachhaltigkeitsmanagerin, ist allerdings überzeugt, dass «soziale und ökologische Werte und Profit sich nicht gegenseitig ausschliessen. Mit der Zeit wird der wahre Preis der Nachhaltigkeit immer deutlicher werden, und das wird bedeuten, dass Profit nur dann möglich ist, wenn diese Werte erfüllt sind».

Ressourcenschutz wichtiger als Wirtschaftswachstum

Gemäss der Umfrage besteht zwischen den Generationen Einigkeit darüber, dass die zunehmende Knappheit natürlicher Ressourcen eine der grössten Herausforderungen unserer Zeit ist. Um ihr zu begegnen, wären die Befragten sogar mehrheitlich bereit, temporär auf Wirtschaftswachstum zu verzichten. Beide Generationen geben an, dass sowohl Unternehmen als auch Politik und Konsument:innen weit mehr für einen nachhaltigen Umgang mit knappen natürlichen Ressourcen tun müssen, als dies aktuell der Fall ist. Sie sehen für Unternehmen aber auch eine Chance: Knappheit natürlicher Ressourcen wirke bereits als Katalysator für nachhaltige Transformationsprozesse, geben 72% der Leaders of Tomorrow und 69% der Senior Executives an. Ein weiterer junger Gast des St. Gallen Symposiums, William Bergh (29), Unternehmer, ist überzeugt, «dass das Wertschöpfungspotenzial der Zukunft nachhaltig ist. Die Unternehmen, die am besten positioniert sind, um es zu erschliessen, werden langfristig am profitabelsten sein».

Leaders of Tomorrow wollen Manager-Boni an Nachhaltigkeitsziele knüpfen

Weniger Einigkeit zwischen heutigen und zukünftigen Führungskräften besteht bei der Beurteilung konkreter Massnahmen zum Ressourcenschutz. Der Konsens, Nachhaltigkeit im Unternehmen an erste Stelle zu setzen, endet jäh, wenn es um die Übernahme persönlicher Verantwortung geht: Während 63% der Führungskräfte von morgen fordern, dass Manager-Boni stärker von Nachhaltigkeitszielen als von finanziellen Zielen abhängig sein sollten, stimmen dem nur 32% der heutigen Führungskräfte zu. Einen Grund dafür sieht Leader of Tomorrow Kristina Kirova (26), Promotionsstudentin, in der immensen Komplexität des Problems. «Die Bewältigung von Knappheit und Nachhaltigkeit erfordert systemische Veränderungen, die über die Kontrolle einzelner Personen hinausgehen.»

Gemäss der Studie glaubt die Mehrheit der zukünftigen Führungskräfte (63%), dass strengere Regeln und Marktregulierungen eher zu nachhaltigem Wandel führen als der freie Markt. Das sehen die heutigen Topmanager ähnlich (57%). Bei den konkreten politischen Massnahmen zum Ressourcenschutz herrscht allerdings wieder Uneinigkeit. Während beide Generationen internationale Zusammenarbeit und die Finanzierung von Forschung und Entwicklung für besonders zielführend halten, neigen nur die jungen Führungskräfte dazu, Sanktionsmechanismen und Steuern auf ressourcenintensive Güter zu fordern. Die heutigen Führungskräfte hingegen präferieren Massnahmen, die Unternehmen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung und zu Effizienzstandards ermutigen. Der viel diskutierte Emissionshandel wird von keiner der beiden Generationen als besonders wirkungsvoll angesehen.

Generationenübergreifende Führung als Schlüssel für nachhaltigen Wandel

«Die zunehmende Knappheit natürlicher Ressourcen ist ein globaler Megatrend, der Wirtschaft und Gesellschaft auf absehbare Zeit vor grosse Herausforderungen stellt. Im Generationenvergleich heutiger und zukünftiger Führungskräfte sehen wir eine Chance, gemeinsame Visionen und Lösungswege für eine nachhaltige Zukunft zu identifizieren», erklärt Studienleiter Dr. Fabian Buder vom Nürnberg Institut für Marktentscheidungen. Intergenerationale Zusammenarbeit in der Unternehmensführung ist eine Notwendigkeit für nachhaltigen Wandel. Darin sind sich die Studienteilnehmenden einig (81% der zukünftigen und 77% der heutigen Führungskräfte). «Bei der Suche nach Lösungen für die Herausforderung, mit denen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft durch die zunehmende Knappheit natürlicher Ressourcen konfrontiert sind, wird es entscheidend sein, dass der Generationendialog geling», betont Felix Rüdiger, Leiter Inhalte und Forschung des St. Gallen Symposiums. Die Ergebnisse der Studie «Voices of the Leaders of Tomorrow 2024» zeigen, dass eine gemeinsame Basis dafür vorhanden ist. 

Technologie allein reicht nicht, um Ressourcenknappheit zu begegnen

Befragt zu den Ergebnissen der Studie sagt Prof. Dr. Miriam Meckel im vorliegenden Report: «Die Führungspersönlichkeiten von morgen haben erkannt, dass wir nicht in der Lage sein werden, alle Probleme allein mit Technologie zu lösen.» Als Technik-Optimistin sei sie zwar davon überzeugt, dass KI beispielsweise dabei helfen kann, besser zu verstehen, wie sich das Klima entwickle. Oder wie wir Mobilität sinnvoller gestalten können. «Zugleich verbraucht diese Technologie auch viel Energie», gibt die HSG-Professorin für Kommunikationsmanagement zu bedenken. «Die gesamte KI-Industrie ist für etwa 2% der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Letztlich können wir das Problem rarer Ressourcen nicht nur mit Technologie lösen. Wir müssen es auch für die Technologiebranche lösen und die Chance ergreifen, zu gestalten, um nicht am Ende das Schosshündchen der KI zu werden.»

Der Weg zum «gesunden Hochleistungsunternehmen»

Eine weitere Perspektive zum Thema Unternehmensentwicklung bietet die Forschungsarbeit des Instituts für Führung und Personalmanagement an der HSG. Die dort angesiedelte St.Galler Leadership-Professorin Prof. Dr. Heike Bruch prägt seit mehr als einer Dekade die Entwicklung im Personalmanagement und gehört zu den führenden Gestalter:innen der Arbeitswelt. Auf Basis ihrer Forschungsarbeit betont sie in einem Gespräch, das wir zuvor mit ihr geführt haben: «Gesunde Hochleistungsunternehmen sind nicht nur viel attraktiver für Mitarbeitende aller Generationen, sondern auch wirtschaftlich deutlich erfolgreicher – auf Kurs mit einer gesunden Kultur.» Junge Mitarbeitende reagieren negativ auf erhöhten Druck, auf einseitig leistungsorientierte und Laissez-faire-Führung. Erfahrene Mitarbeitende kämpfen dagegen eher mit zu wenig Spielraum für Entscheidungen. 

Gemäss HSG-Expertin Heike Bruch sei es besonders relevant, dass es gelinge, Organisationen nachhaltig zu entwickeln – gesund, mit Blick auf die nächste Generation und ökologisch nachhaltig. «Dies erfordert eine Kulturtransformation in Richtung gesunder Hochleistung.» Das erklärt sie wie folgt: «Viele Unternehmen stehen enorm unter Druck – mehr Speed, Effizienz, Innovation, Dauertransformation etc. Viele begegnen dem Druck, indem sie in bestehenden Systemen den Druck weitergeben, Intensität und Schlagzahl erhöhen. Insgesamt sind 75% aller Unternehmen in der Beschleunigungsfalle. Wir nennen sie Unternehmen am Limit. Andere ändern das System – wir nennen diese Gesunde Hochleistungsunternehmen. Sie unterscheiden sich fundamental von den anderen, bezogen auf ihren Umgang mit Energie (Stärkung von produktiver und angenehmer Energie versus verbreitete resignative Trägheit und Beschleunigungsfalle), eine moderne Führung (eine inspirierend-multimodale versus autoritäre oder Laissez-faire-Führung) und ein zukunftsorientiertes People Management (entwicklungsförderlich und emotionalisierend versus leistungszentriert).»

Bild: Adobe Stock / alphaspirit

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