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Leute - 19.12.2019 - 00:00 

Pionier der Ökobilanzierung: Nachruf auf Ruedi Müller-Wenk

Ruedi Müller-Wenk war Dozent und Titularprofessor an der HSG. Er gilt als Pionier der Ökobilanzierung und lehrte Umwelttechnik und Ökobilanzierung an der HSG. In seiner wissenschaftlichen Arbeit verband er ökonomisches und ökologisches Denken. Ein Nachruf von Thomas Dyllick, Delegierter für Nachhaltigkeitsmanagement an der HSG und Dr. Arthur Braunschweig, Präsident des Verbandes für nachhaltiges Wirtschaften (öbu).

19. Dezember 2019. Wenn heute die Gesundheit von Lebensmitteln mithilfe eines ampelartigen «Nutri»-Scores ausgezeichnet wird oder die EU vorschlägt, die Nachhaltigkeit von Investitionen anhand eines übergreifenden Bewertungsrasters zu beurteilen, verbergen sich dahinter umfangreiche wissenschaftliche Grundlagenarbeiten, um die dahinter stehenden, anspruchsvollen Bewertungskonzepte zu entwickeln. Diese Arbeiten liefen lange Zeit unter dem Titel der «Ökobilanzierung» oder der «ökologischen Buchhaltung», an deren Entwicklung Ruedi Müller-Wenk einen beträchtlichen Anteil hatte. Ruedi Müller-Wenk war Dozent und Titularprofessor an der HSG. Er war ein Pionier der Ökobilanzierung und lehrte Umwelttechnik und Ökobilanzierung an der HSG.

Umweltgedanke in Wirtschaftsprozesse integrieren

Ruedi Müller-Wenk war ein ruhiger und genauer, interessierter, pragmatischer und sehr eigenständiger Mensch. Er war ein Grenzgänger zwischen «spüren» und «zählen»: Ihm war klar, dass man die wirklich wichtigen Dinge im Leben nicht zählen konnte, dass Zahlen zur Führung von grösseren Organisationen aber unverzichtbar sind. Da ihm schon vor 40 Jahren das gleichberechtigte Nebeneinander von Wirtschaft und Umwelt ein tiefes Anliegen war, und er realisierte, dass Umweltanliegen in unternehmerischen Entscheidungsprozessen mangels Quantifizierbarkeit immer den Kürzeren ziehen, entschloss er sich, eine solche Umweltquantifizierung selbst zu entwickeln.

Ruedi Müller-Wenk war hauptberuflich technischer Direktor im damals bekannten Rorschacher Lebensmittelverarbeiter «Frisco», ehem. «Roco» (Rorschach Conserven). Am Beispiel dieser Unternehmung entwickelte er das Konzept der ökologischen Buchhaltung. Mit dieser Publikation von 1978 ist Ruedi Müller-Wenk einer der Väter der heute verbreiteten Ökobilanzierung. Aussergewöhnlich an seinem Ansatz war, dass er von Anbeginn an eine Beurteilung mittels eines einheitlichen Bewertungssystems als notwendig erachtete, welches die Vielfalt der Umwelteinwirkungen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen vermochte, analog zu Geld im ökonomischen Bereich. Seine Pionierleistung bestand darin, dass er ein erstes solches Bewertungssystem gleich selbst entwickelte.

Ökobilanzierung des Bundesamtes für Umwelt

Dieses Konzept wurde später unter seiner aktiven Mitwirkung zu einem eigenständigen schweizerischen Bewertungskonzept für die Ökobilanzierung weiterentwickelt, mittels Umweltbelastungspunkten, die heute vom Bundesamt für Umwelt publiziert und regelmässig aufdatiert werden. In der Schweiz wurde sein Ansatz rasch von Migros, Coop und anderen Unternehmen für die ökologische Optimierung übernommen. International, z.B. in der Internationalen Organisation für Normierung (ISO), blieb sein Ansatz jedoch für fast 30 Jahre verpönt, bis vor kurzem die EU eine eigene solche Punktebewertung zu entwickeln begann. Nach seiner Pensionierung entwickelte Ruedi Müller-Wenk am HSG-Institut für Wirtschaft und Ökologie (IWÖ-HSG) zusammen mit Doktorierenden der HSG und der ETH Zürich im Rahmen von interdisziplinären Projekten des Schweizerischen Nationalfonds, des deutschen Umweltbundesamts oder der EU, weitere methodische Ansätze, welche weitherum als unmöglich eingeschätzt wurden, wie z.B. zur Berücksichtigung von Verkehrslärm oder Landnutzung in der Ökobilanzierung.

Ruedi Müller-Wenk arbeitete sorgfältig, und er dachte oft entlang untypischer Linien. Ihm war in der industriellen und universitären Arbeit wie auch im Privatleben wichtig, mit der realen Welt in engem Kontakt zu stehen. In Gesprächen konnte er Kleinigkeiten und grosse Themen, Alltägliches und Besonderes auf unerwartete Weise verbinden und daraus interessante Schlüsse ziehen. Er war hartnäckig im Denken und erst zufrieden, wenn er eine schlüssige Lösung gefunden hatte.

Ausbildung von nachhaltig denkenden Managern

Ruedi Müller-Wenk lehrte in der HSG-Vertiefung Wirtschaft und Umwelt und betreute Doktoranden an der HSG und an der ETH Zürich. Ihm war eine funktionierende Interdisziplinarität ein grosses Anliegen, weil die zu lösenden Forschungsfragen dies verlangten. Und es ging ihm von Anfang an um eine effektive Verknüpfung von Wirtschaft und Umwelt wie auch von ökonomischem und ökologischem Denken. Er lebte dies wie nur wenige Andere, indem er eine Führungsfunktion in der Industrie mit seiner wissenschaftlichen Tätigkeit verband. Und wer sich an den spannenden, oftmals auch herausfordernden Gesprächsrunden am Kaffeetisch des IWÖ-HSG auf ihn einliess, wurde nicht nur fachlich belehrt, sondern tiefgründig bereichert. Ruedi Müller-Wenk ist am 13. November 2019 verstorben. Zusammen mit seiner bereits früher verstorbenen Gattin Esther hinterlässt er vier Kinder.

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