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Campus - 02.10.2014 - 00:00 

Politik der Sparsamkeit

Simon Evenett brachte Studierende und Dozierende zu einer Diskussion über Makroökonomik zusammen. Florian Schui und Patrick Emmenegger sprachen über eine mögliche säkulare Stagnation in der heutigen Weltwirtschaft.

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8. Oktober 2014. «Säkulare Stagnation» ist ein wirtschaftswissenschaftlicher Begriff, der erstmals nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 geprägt wurde. Theorien über die Wirtschaftsstagnation wurden mit dem frühen Keynesianismus und dem Harvard-Wirtschaftsprofessor Alvin Hansen in Verbindung gebracht und bezogen sich auf eine längere Zeitspanne geringfügigen oder ausbleibenden Wirtschaftswachstums in einer Markwirtschaft.

Wirtschaftsstagnation

Viele Makroökonomen fragen sich, ob unsere Weltwirtschaft eine Stagnation erlebe. Die Forscher Coen Teulings von der Universität Cambridge und Richard Baldwin vom Graduate Institute in Genf stellen diese Frage in ihrem E-Buch «Secular Stagnation: Facts, Causes and Cures», und Lawrence Summers, ein amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler, der als Chefökonom der Weltbank tätig war, wies letztes Jahr darauf hin, dass die fortgeschrittenen Volkswirtschaften darunter leiden.

Evenett brachte den Wirtschaftshistoriker Florian Schui und den Politikwissenschaftler Patrick Emmenegger wegen ihrer geschichtlichen, gesellschaftlichen und politischen Gedanken zu diesem vorwiegend politischen Konzept zusammen. Schui zeigt in seinem Buch «Austerity, the Great Failure», dass die Argumente zugunsten einer Politik der Sparsamkeit nicht auf einer eingehenden wirtschaftswissenschaftlichen Analyse, sondern grösstenteils auf moralischen und politischen Erwägungen gründen. Schui findet, dass die Austerität bei jedem Anwendungsversuch denkerisch und wirtschaftlich versagt hat. «Dies ist eine Krise der Unterverbrauchs», stellte Schui fest, «die Gesellschaften reagieren langsam, wenn es um einen Verbrauchsanstieg geht, aber dies ist mehr als nur wirtschaftlich und hat auch politische und ethische Aspekte.» Er fügte an, dass die Grosse Depression mit einem drastischen Verbrauchsanstieg zu Ende ging, deren Grund unglücklicherweise der Zweite Weltkrieg war.

Widersprüchliche Ideale

Florian Schui wies darauf hin, dass dieses Verbrauchertum in der jüdisch-christlichen Tradition auf widersprüchliche Konzepte treffe und dass viele Leute der Meinung sind, dass eine absolute Ausrichtung auf individuelles Sachvermögen negative geistliche Folgen hätte. Er ist der Meinung, dass der Konsumerismus auf das Gemeinwohl – die Gemeinschaft – ausgerichtet werden könne, indem man zum Beispiel Schulen und Spitäler baue, was wiederum der Ausebnung gesellschaftlicher Ungleichheiten förderlich wäre. Unglücklicherweise könne eine Ausweitung des kollektiven Verbrauchs in den westlichen Gesellschaften als eine Ausweitung der Macht des Staates und damit als Unterdrückung der persönlichen Freiheit aufgefasst werden.

Emmenegger brachte eine politische Sichtweise in die Diskussion ein und bemerkte, dass der Wirtschaftswissenschaftler Lawrence Summers zwar im politischen Spektrum tätig sei, sich indes nicht über die Auswirkungen der Politik auf die Wirtschaft ausliesse, was für Emmenegger ein Zeichen dafür sei, dass eine Abtrennung bestehe zwischen der praktischen/politischen Welt und der Welt der Wirtschaftswissenschaftler, die nicht immer versuchten, für ihre Theorien auch praktische Anwendungen zu finden.

Zuerst kommt die Problemerkennung

Er wies darauf hin, dass eine politische Lösung erst gefunden werden kann, wenn das Problem auch erkannt worden ist. «Ich glaube nicht, dass hier Einigkeit darüber herrscht, worin das Problem überhaupt besteht. Die Sachverständigen sind sich nicht einig darüber, was da vor sich geht, und ohne robusten Konsens können keine grossen Reformen durchgeführt werden.»

Emmenegger wies darauf hin, dass die politischen Parteien auf der einen Seite des Spektrums Reformen durchzuführen versuchen, die von der Gegenseite als schädlich betrachtet werden. «Wir müssen einen Weg zur Einigkeit finden, Vertrauen aufbauen und redliche Geschäfte tätigen, hinter denen die Mehrheit der Menschen auch stehen kann.»

Foto: simosg / photocase.com

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