close

Meinungen - 27.06.2023 - 15:30 

Machtkampf mit Putin: «Prigoschin hat offensichtlich seine eigene Position überschätzt»

In der Nacht auf den 24. Juni 2023 begann Prigoschin seinen Marsch auf Moskau und eskalierte damit den Machtkampf zwischen der Wagner-Gruppe und der russischen Militärführung. Welche Folgen haben die Ereignisse für den Krieg in der Ukraine und welches Licht werfen sie auf Putins Russland? Einordnungen von Prof. Ulrich Schmid, HSG-Professor für Osteuropastudien.

Rebellion, Putsch, Aufstand – Was ist am Wochenende passiert, Herr Schmid?

Prigoschin greift seit einigen Monaten in harschen Worten die russische Armeeführung an und fordert ein härteres Vorgehen in der Ukraine. Er will eine Kriegserklärung Russlands an die Ukraine, eine russische Generalmobilmachung und den Einsatz aller militärischen Kräfte. Mit seinem Aufstand wollte er Putin nicht stürzen, sondern auf seine eigene aggressive Linie zwingen.

Was ist über die Motive von Prigoschin bekannt? Warum riskiert er sein Leben und seine «Karriere»?

Vor einigen Wochen hat Prigoschin begonnen, Wladimir Putin persönlich anzugreifen. Putin hat nicht auf diese Kritik reagiert, sondern versucht, durch einige personelle Rochaden in der Armeeführung den Falken entgegenzukommen. Das war für Prigoschin offensichtlich nicht genug. Prigoschin hatte sich in der Vergangenheit immer bedeckt gehalten und sogar abgestritten, Chef der Wagner-Gruppe zu sein. Im vergangenen September bestätigte er plötzlich, an der Spitze der Wagner-Gruppe zu stehen. Er leistete einen persönlichen Kampfeinsatz und gewann dadurch eine hohe Glaubwürdigkeit bei seiner eigenen Truppe. Immer öfter trat er mit herausfordernden Kommentaren in den sozialen Medien vor. Im Staatsfernsehen kam er dagegen kaum vor. Prigoschin hat aber ganz offensichtlich seine eigene Position überschätzt. Sein Marsch auf Moskau ist deutlich von Mussolini inspiriert, der 1922 so den Beginn der faschistischen Herrschaft in Italien einleitete. Allerdings solidarisierte sich niemand mit dem aufbegehrenden Prigoschin, der als politische Alternative sogar im System Putin über keinerlei Kredit verfügt: Prigoschin ist ein Kriegsverbrecher und Bandit, der keine Hausmacht im Kreml hat.

Wie gross ist der Schaden für Putin? Sehen Sie die Ereignisse als Chance für die Opposition in Russland?

Putins Position ist entscheidend geschwächt. Er hat an Autorität verloren. Er galt bislang als Garant für Stabilität und Sicherheit in Russland. Das ist nun nicht mehr der Fall. Allerdings kann die Opposition von dieser Situation nicht profitieren. Die Oppositionellen sind entweder tot (Boris Nemzow), im Gefängnis (Alexej Nawalny, Ilja Jaschin, Wladimir Kara-Murza) oder im Ausland (Michail Chodorkowski). Möglicherweise kann die liberale Fraktion im Kreml von Putins Machtverlust profitieren. Dazu gehört v.a. der Ministerpräsident Michail Mischustin, der im Fall eines vorzeitigen Rücktritts Putins verfassungsgemäss zum Interimspräsidenten aufsteigen würde.

Wer profitiert von der Prigoschin-Affäre?

Für die Ukraine sind alle Streitigkeiten in der russischen Führung eine gute Nachricht. Wenn einzelne militärische Kräfte sich gegenseitig binden, lähmen oder sogar bekämpfen, wird der russische Angriff in der Ukraine entscheidend geschwächt. In diesem Sinne fallen auch die offiziellen Reaktionen aus Kyiv aus. Profitiert hat von der Prigoschin-Affäre der belarussische Präsident Lukaschenko, der sehr geschickt seine beschränkten Handlungsoptionen nutzt und ausweitet. Er kann nun wieder selbstbewusster gegenüber dem geschwächten Putin auftreten. Der Westen verfügt bei in diesen internen russischen Konflikten kaum über Handlungsoptionen. Es war seit dem 24. Februar 2022 klar, dass der Westen nicht direkt Kriegspartei werden und sich schon gar nicht in Russland engagieren will.

Ulrich Schmid ist Professor für Osteuropastudien an der Universität St.Gallen.

Bild: Adobe Stock / UliGO

Entdecken Sie unsere Themenschwerpunkte

north