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Forschung - 08.02.2024 - 14:51 

HSG-Studie zeigt: Druck von Fussball-Spitzenvereinen auf Schiedsrichter kann zu Verzerrungen führen

Werden Spitzenvereine im europäischen Fussball von Schiedsrichtern bevorzugt behandelt? Gibt es Verzerrungen bei ihren Entscheidungen auf dem Spielfeld? Zwei aktuelle Studien von HSG-Professor Francesco Audrino befassen sich mit diesen Fragen.

Der Vorwurf der Unfairness im Fussball schleicht sich immer wieder in die Diskussionen über diesen Sport ein. In letzter Zeit gab es regelmässig Vorwürfe, dass europäische Spitzenklubs bei der Finanzberichterstattung (Juventus, Manchester City) gegen Fairnessregeln verstossen haben oder sogar korrupte Praktiken angewandt haben (Barcelona).

Dies sind nur einige wenige aktuelle Fälle aus einer Reihe von Skandalen, in die europäische Spitzenvereine verwickelt sind. Die unter Fans, Journalisten und Fussballexperten viel diskutierte Frage ist, ob diese Art von Verhalten letztlich dazu führt, dass die Vereine von den Spielleitern direkt (Korruption) oder indirekt (Druck aufgrund grosser finanzieller Macht) bevorzugt behandelt werden. Ein Interview mit Francesco Audrino, HSG-Professor für Statistik, der diese Fragen wissenschaftlich untersucht hat.

 

Francesco Audrino, was hat Sie dazu veranlasst, sich mit der Schiedsrichterbeein-flussung zu beschäftigen?

Da ich selbst Fussballfan bin, weiss ich genau, dass es immer wieder Vorwürfe wegen Schiedsrichterbeeinflussung gibt. Ich wollte sehen, ob die Daten diese Vermutungen bestätigen. Konkret habe ich Statistiken gesammelt, um herauszufinden, ob die stärksten und beliebtesten europäischen Fussballvereine von den Schiedsrichtern bevorzugt behandelt werden. 

Für die Studie Do match officials give preferential treatment to the strongest foot-ball teams?  habe ich die Daten von vier Mannschaften analysiert. Diese habe ich ausgewählt, weil sie gute Beispiele für das sind, wonach wir suchen, und weil sie mir eine ausreichende Menge an Daten lieferten. So kann eine zuverlässige statistische Analyse durchführen. Ich habe zwei Vereine der italienischen Serie A, Inter und Juventus, sowie den deutschen Bundesligisten Borussia Dortmund und den englischen Erstligisten Manchester United untersucht. Alle vier Vereine erlebten in den Jahren 2006-2016 eine längere Erfolgsperiode, gefolgt von einer Pechsträhne. So konnte ich die Behandlung des gleichen Vereins durch die Schiedsrichter in zwei verschiedenen Situationen vergleichen.

Was haben Sie herausgefunden?

Überraschenderweise, zumindest für mich, bestätigte die Analyse nicht die allgemeine Meinung unter Sportfans, dass die stärksten Vereine von den Spielleitern bevorzugt behandelt werden. Der einzige Verein, bei dem ich eine signifikante Verzerrung feststellen konnte, ist Juventus. Während seiner Siegesserie wurden den Gegnern von Juventus mehr gelbe Karten und insgesamt mehr Strafpunkte (ein Mass für gelbe und rote Karten) erteilt. 

Wie stark war die Verzerrung?

Die Verzerrung war nicht nur statistisch signifikant, sondern auch beträchtlich: Im Durchschnitt erhielten die Gegner von Juventus eine gelbe Karte mehr und 35 Prozent mehr Strafpunkte pro Spiel.

Ihre zweite Arbeit befasste sich ebenfalls mit Verzerrungen im Fussball?

Ja, das ist richtig. Für diese Arbeit, Strongest Team Favoritism in European National Football: Myth or Reality? habe ich die Analyse auf die stärksten europäischen Klubs der fünf grossen Ligen ausgeweitet und dabei die Spitzenteams mit anderen Mannschaften verglichen. Ziel der Studie ist es, zu untersuchen, ob die Entschei-dungen der Schiedsrichter, z. B. die Verhängung von Strafen gegen Spieler, durch externen Druck beeinflusst werden. Ein Teil meiner Hypothese bestand auch darin, herauszufinden, ob Dinge wie die Popularität, die Medien und die öffentliche Meinung in das Spiel einfliessen. 

Ist eine allfällige Voreingenommenheit bewusst oder unbewusst?

Ich gehe davon aus, dass die überwältigende Mehrheit der Spielleiter versucht, ihre Arbeit ordnungsgemäss und unvoreingenommen zu erledigen... Wenn ich mir also die von mir berücksichtigten externen Faktoren ansehe, würde ich glauben, dass die Voreingenommenheit, wenn sie denn existiert, unbewusst ist.

Und Ihre Ergebnisse?

Ich würde sagen, dass für endgültige Schlussfolgerungen weitere Forschungsarbeiten erforderlich sind, aber diese Studie zeigt, dass Schiedrsrichter voreingenommen sind. Es gibt eindeutige Beweise dafür, dass es in den Top-Ligen in Italien, Deutschland, England und Spanien eine Beeinflussung ausserhalb des Spielfelds gibt.

Schiedsrichter neigen dazu, in Spielen, an denen Mannschaften aus der nationalen Liga beteiligt sind, von denen einer ein Champions-League-Verein ist, den Gegnern dieser Spitzenmannschaften mehr Strafen zu erteilen (bis zu 12 Prozent mehr gelbe Karten). Was ich etwas schockierend fand, ist die Tatsache, dass der Umfang der Verzerrung in der gleichen Grössenordnung liegt und die bereits in vielen Studien diskutierte Heimverzerrung ergänzt. Wenn man diese beiden Quellen der Verzerrung zusammenzählt, wird die Verzerrung der Schiedsrichterentscheidungen zu einem Faktor, der sich auf die Endergebnisse der Spiele auswirkt.

Was kann man dagegen tun?

Ich denke, der erste Schritt besteht darin, dies zu erkennen. Das Erkennen von Vor-eingenommenheit bedeutet nicht, dass die Schiedsrichter korrupt sind. Wenn wir die potenzielle Existenz von Voreingenommenheit anerkennen, können wir sie an-gehen und sicherstellen, dass wir ein faires Wettbewerbsumfeld aufrechterhalten. Andernfalls wäre es für Vereine, die sich nicht ständig für die Champions League qualifizieren, sehr schwer, im Wettbewerb zu bestehen und zu wachsen.

 


Die beiden Beiträge Do match officials give preferential treatment to the strongest football teams? sowie Strongest Team Favoritism in European National Football: Myth or Reality? von Prof. Francisco Audrino sind online verfügbar. 

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