Hintergrund - 29.11.2019 - 00:00
Karl Heinrich Wachter wurde am 28. März 1886 in Stäfa (ZH) als Sohn eines Landwirts geboren. Entgegen einer späteren Übernahme des väterlichen Hofes entschied er sich für eine technische Ausbildung: Er besuchte die Berufsschule für Metallarbeiter am Technikum Winterthur und absolvierte eine zweijährige Lehre in der Maschinenfabrik Zellweger in Uster. Seine Ausbildung schloss er mit dem Fähigkeitsausweis als Elektrotechniker ab. Anschliessend begab er sich nach Frankreich und England, um seine Kenntnisse in grösseren Betrieben der Elektroindustrie zu vertiefen und sich Fremdsprachen anzueignen.
Nach seiner Rückkehr in die Schweiz trat er in die Dienste von Brown, Boveri & Cie. AG. Er arbeitete dort zuerst als Elektrotechniker und wurde später als Reiseingenieur eingesetzt. Als solcher hatte er vom Stammhaus hergestellte elektrische Maschinen im Ausland in Betrieb zu stellen und den ausländischen Abnehmern zu übergeben. In einer Zeit, in der die Elektroindustrie ihre erste grosse Entwicklung in den Industrieländern erfuhr, führten ihn die Reisen auch nach Osteuropa und Russland.
Da die Weltkriegsjahre 1914-1918 den schweizerischen Export weitgehend lahmlegten, übernahm Heinrich Wachter 1918, mit 32 Jahren, die Stellung als Direktor der Elektrizitätswerke des Kantons Schaffhausen. Mehrere Jahre wirkte er auch als Mitglied des Grossen Stadtrats und als Kantonsrat in der Politik des Kantons Schaffhausen.
1925 begann Heinrich Wachters Aufstieg in weltweite Aufgabenbereiche der schweizerischen Wirtschaft: Das Handelshaus Gebrüder Volkart AG in Winterthur berief ihn zum Chef der Abteilung Maschinenexport nach Fernost (Indien, China und Japan). Mit umfassenden technischen Kenntnissen ausgestattet, arbeite er sich in eine Aufgabe ein, die in der Hauptsache kaufmännischer Natur war und für die ihm die fachliche Vorbildung eigentlich fehlte. Mit Engagement gelang ihm aber der Ausbau des Maschinenexports nach Ostasien, vor allem Indien. Er übernahm mit der Zeit ebenfalls die Leitung der gesamten Importabteilung der Firma Gebrüder Volkart, die sich u.a. auch mit den Lieferungen schweizerischer Chemikalien und Medikamente befasste. 1939 wurde er, dank seines Erfolgs in der Öffnung und Gewinnung ostasiatischer Märkte, in die oberste Geschäftsleitung der Firma Gebrüder Volkart aufgenommen.
Die Weltkriegsjahre 1939-1945 brachten den Welthandel erneut zum Erliegen. Heinrich Wachter stellte sich kurz nach Kriegsausbruch in den Dienst der Schweizer Wirtschaft. Er führte das Präsidium des Verbandes Schweizerischer Transport- und Welthandelsfirmen und trat in die führenden Gremien der Zentrale für Handelsförderung sowie des Schweizerischen Handels- und Industrievereins ein. Auch wirkte er als Berater für eidgenössische Amtsstellen, denen die Lösung von schwierigen Import- und Exportproblemen oblag. Nach dem Krieg widmete er sich bei der Firma Gebrüder Volkart sehr engagiert dem Wiederaufbau des schweizerischen Aussenhandels.
Mit der Hochschule St.Gallen trat Heinrich Wachter während des Zweiten Weltkriegs in Kontakt. Dieser Kontakt sollte sich in den folgenden drei Jahrzehnten immer enger knüpfen. Durch eine Reihe von ihm veröffentlichter Vorträge, u.a. «Die Schweiz im Welthandel», Schweizerischer Transport- und Welthandel», «Wandlungen in der Technik des Überseehandels» und «Der Verkaufsleiter als Chef», ist die Handelshochschule auf ihn aufmerksam geworden. 1943 folgte Wachter einer Einladung, an einem von der Hochschule veranstalteten Wirtschaftskurs als Referent mitzuwirken. Im gleichen Jahr gelang es der Hochschule unter dem Rektorat von Prof. Walther Hug, mit der Hilfe einer Förderungs-Gesellschaft das erste Forschungs-Institut, das «Schweizerische Institut für Aussenhandels- und Absatzforschung» (heute «Schweizerisches Institut für Aussenwirtschaft und Angewandte Wirtschaftsforschung) zu eröffnen.
Anfänglich stand das per 5. Juni 1943 eröffnete Institut unter der Leitung von Rektor Prof. Walther Hug und Prof. Emil Gsell. Heinrich Wachter trat in den Vorstand der Förderungs-Gesellschaft ein und gehörte diesem bis zu seinem Tod an. 1952 wurde er in deren Arbeitsausschuss gewählt und wirkte dort ebenfalls während 15 Jahren mit.
Auf dem Hochschultag am 13. Mai 1950 konnte Heinrich Wachter «in Würdigung seiner hervorragenden Leistungen auf dem Gebiete des Welthandels und in Anerkennung seines Beitrags zur wissenschaftlichen Erkenntnis und zur Entwicklung der Handelsformen» den Ehrendoktortitel der Hochschule St.Gallen entgegennehmen. Auf Antrag der Betriebswirtschaftlichen Abteilung hatte der Senat der Hochschule beschlossen, ihm als Nichtakademiker diese Würde zu verleihen.
1950 trat Heinrich Wachter im Alter von 64 Jahren aus der Geschäftsleitung der Firma Gebrüder Volkart zurück. Während 25 Jahren hatte er wesentlichen Anteil an der Erfolgsgeschichte des Unternehmens. Er blieb jedoch in Spitzenstellungen der schweizerischen Wirtschaft aktiv. Schon 1942 war er in den Verwaltungsrat der Schweizerischen Industriegesellschaft Neuhausen (SIG) gewählt worden. Von 1951 bis 1968 führte er dessen Präsidium. Eine Reihe anderer grosser und mittlerer Unternehmen beriefen ihn in ihren Verwaltungsrat, u.a. der Schweizerische Bankverein und die Brown, Boveri & Cie. AG. Erst über 80-jährig zog er sich aus allen Verpflichtungen zurück.
Der Hochschule St.Gallen blieb Dr. h.c. Heinrich Wachter zeitlebens verbunden. Mit Stiftungsurkunde vom 13. November 1968 errichtete er die «Dr. Heinrich Wachter-Stiftung zur wissenschaftlichen Forschung an der Hochschule St.Gallen für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften» und widmete eine Million Franken als Stiftungsvermögen:
«In Erinnerung an meine jahrzehntelange Zugehörigkeit zum Vorstand und zum Arbeitsausschuss der Gesellschaft zur Förderung des Schweizerischen Instituts für Aussenwirtschafts- und Marktforschung an der Hochschule St.Gallen, in Dankbarkeit gegenüber der Hochschule St.Gallen, die meine Tätigkeit in der schweizerischen Wirtschaft und in ihren internationalen Beziehungen im Jahre 1950 mit der Verleihung der Würde eines Ehrendoktors der Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet hat.»
Der Zweck der Stiftung ist in einem der Stiftungsurkunde beigegebenem Statut umschrieben. Danach bezweckt sie «die finanzielle Förderung und Unterstützung der Erforschung der wirtschaftlichen und rechtlichen Probleme des internationalen Wirtschaftsverkehrs, der ausserwirtschaftlichen Beziehungen der Schweiz in wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht und der Stellung der Schweiz in der europäischen wie der Weltwirtschaft durch Forschungsinstitute an der Hochschule St.Gallen oder in solchen Instituten oder an die an der Hochschule tätigen Forscher.» Dr. h.c. Heinrich Wachter blieb auf Wunsch der Hochschule bis zu seinem Tod Mitglied des fünfköpfigen Stiftungsrates.
Er starb am 30. Mai 1975 in Winterthur (ZH).
Portal zur Geschichte der Universität St.Gallen
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