Hintergrund - 13.02.2020 - 00:00
Nelly Diem wurde am 4. Januar 1891 in St.Gallen geboren. Ihr Vater Emil Diem war Vorstand der technischen Betriebe und gehörte zu den Gründern der Verkehrsschule, der Handelshochschule und der Materialprüfungsanstalt. Ihre Mutter war Bankierstochter. Nach der abgeschlossenen Maturität erwog Nelly Diem zunächst ein Medizinstudium, entschied sich letztlich aber für ein Studium der Musikwissenchaften in Zürich.
An der Universität Zürich existierte zu dieser Zeit (1908) noch kein eigentliches musikwissenschaftliches Seminar, doch lehrten dort u. a. Ernst Radecke und Eduard Bernoulli, deren Seminare Nelly Diem besuchte. 1911 zog sie nach Berlin, um ihr Studium dort u. a. bei Hermann Kretzschmar fortzusetzen, und wurde ordentliches Mitglied im musikhistorischen englischen Seminar.
Im Sommer 1912 nahm Nelly Diem an einem Ferienkurs in Edinburgh teil. Ihr Interesse an der Musikgeschichte Schottlands vertiefte sie – kriegsbedingt unter schwierigen Bedingungen – in ihrer Dissertation «Beiträge zur Geschichte der Schottischen Musik im 17. Jahrhundert nach bisher nicht veröffentlichten Manuskripten». Auch in der Praxis übte sie sich weiter: Ab 1915 nahm sie Unterricht bei dem international bekannten Geigenvirtuosen und -pädagogen Henri Marteau, um ihr Violinspiel zu vervollkommnen.
1918 reichte Nelly Diem ihre Dissertation ein und wurde damit zur ersten promovierten Musikwissenschaftlerin der Schweiz. Die Arbeit wurde von Hugo Riemann (Leipzig), dem damals bekanntesten deutschen Musikologen, abgenommen. Sie gilt bis heute als wichtige Quelle zur Erforschung der schottischen Volksmusikkultur. Nach ihrer Rückkehr in ihre Heimatstadt St.Gallen (1920) konnte Nelly Diem sich in einem von Männern dominierten Umfeld in ihrem eigentlichen Beruf schwer durchsetzen. Haupterwerbsquelle wurde der Geigenunterricht.
Mit Pioniergeist gelang es Nelly Diem jedoch, ab 1918 an der Handelshochschule Vorlesungen zur Musikgeschichte einzuführen. Im Rahmen der Öffentlichen Vorlesungen bestritt sie diese – als erste Dozentin der Hochschule! – zwischen 1918 und 1929 mehrheitlich selbst:
Neben dem Geigenunterricht, u. a. bis 1929 am Hindermann Musikinstitut in Zürich, wirkte Nelly Diem als freie Musikpädagogin und gelegentliches Ensemblemitglied in Sinfonie- und Theaterorchestern. Ausserdem arbeitete sie journalistisch für Zeitungen und Fachzeitschriften.
Geprägt durch ein traditionelles Rollenbild, sah sie die Frau in der Musik beschränkt auf die pädagogische Tätigkeit. In ihrem Aufsatz «Frau und Musik», erschienen 1940 in «Meyers schweizerischem Frauen- und Modeblatt», schreibt sie: «Dass die Frau nicht überall gleich stark vertreten ist, liegt in erster Linie in der vom Manne verschiedenartigen Begabung. Ist diesem das Schöpferische eigen, so zeigt die Frau wohl mehr Veranlagung zum Pädagogischen».
In Zürich pflegte Nelly Diem den Kontakt zu einem kulturell interessierten Freundeskreis. Eine besondere Verbindung bestand zum ebenfalls in Zürich ansässigen Schweizer Komponisten Othmar Schoeck (er leitete 1917–1944 die Sinfoniekonzerte des Konzertvereins St.Gallen), dessen Persönlichkeit und Werk sie bewunderte.
In der Limmatstadt stellte sie sich ganz in den Dienst der Musikerziehung. «Musik zu seiner eigenen und anderer Freude und zur Verschönerung und Vertiefung des Lebensinhaltes zu erlernen», wie sie es selbst formulierte, war für sie Leitmotiv ihrer freien pädagogischen Arbeit. Sie sah in der Hausmusik die «vielleicht reinste Pflege der Musik».
Nelly Diem blieb ledig und starb am 31. Januar 1976 in Zürich.
Bild: Archiv für Frauen-, Geschlechter- und Sozialgeschichte Ostschweiz
Portal zur Geschichte der Universität St.Gallen
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