Campus - 08.04.2025 - 08:20
HSG-Studierende 2023 in der libanesischen Stadt Sidon.
Einen Universitätskurs in einer Weltregion durchführen, die immer wieder von bewaffneten Konflikten und politischen Krisen betroffen ist: Das macht der HSG-Dozierende Andreas Böhm seit 2016. Damals lancierte er mit HSG-Professor Christoph Frei und Mahmoud Haidar, Dozent an der American University of Beirut (AUB), den Kurs «The Law, the Economics and the Politics of Migration».
In diesem untersuchen HSG- und AUB-Studierende gemeinsam im Libanon, wie das Land mit der seit 2011 bestehenden Flüchtlingskrise umgeht. Rund 25% der Bevölkerung des Libanons sind syrische Flüchtlinge. «Uns interessiert im Grundsatz, wie ein fragiler Staat wie der Libanon das bewältigen kann und welche weiteren Akteure dabei eine Rolle spielen», sagt Böhm. Angeboten wird der Kurs im Rahmen des HSG-Master in International Law.
Die HSG-Studierenden bearbeiten vor ihrem «Field Trip» in den Libanon Fragestellungen rund um Migrationspolitik. Während eines fünftägigen Aufenthaltes im Libanon, ermöglicht durch eine Unterstützung des HSG-Instituts für Rechtswissenschaft und Rechtspraxis (IRP-HSG), besprechen sie ihre Thesen mit AUB-Studierenden sowie libanesischen Forschenden, Vertreter:innen von NGOs, der UNO, des IKRK sowie anderen internationalen Organisationen. Diese geben ihnen Feedback und berichten von ihren Erfahrungen in der Praxis.
Die heute 35-jährige Milena Müller war eine der ersten HSG-Studentinnen, die 2016 in den Libanon reiste. «Dank der Kontakte, die ich während des Kurses geknüpft hatte, konnte ich das Land mehrmals erneut besuchen und meine Masterarbeit über syrische Flüchtlinge im Libanon schreiben», sagt sie. Heute arbeitet Müller im Bereich Ressourcenmobilisierung beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). «Die Erfahrung des HSG-Kurses, der Masterarbeit und des Austausches mit Menschen vor Ort verstärkte meinen Wunsch, mich für die Minderung der humanitären Folgen von Konflikten einzusetzen», so Müller.
Die HSG-Studierenden würden während der Reise mit völlig anderen politischen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen konfrontiert, sagt Kursleiter Böhm. «Darin liegt sicher der grösste Lerneffekt.» Und Co-Dozent Mahmoud Haidar ergänzt: «Der Kurs zeigt, wie Politik bei einer realen Problemstellung funktioniert.» Er erinnere sich an viele Momente, in denen die Studierenden die von ihnen erforschten, abstrakten Realitäten konkret sahen und so zum Kern ihrer Fallstudien vordrangen.
Auch eine Reise innerhalb des Libanons – beispielsweise zu Einrichtungen für Flüchtlinge – gehört zum Programm. Über 100 HSG-Studierende der Masterprogramme International Affairs und International Law haben seit 2015 den Kurs besucht.
Nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ist die Durchführung des Kurses im Libanon wegen Sicherheitsbedenken nicht mehr möglich: Israel bekämpfte im Laufe des Konflikts die libanesische Hisbollah, auch in der Peripherie von Beirut gab es Angriffe. «Für mich selbst war es schwierig zu wissen, dass enge Freunde von mir in einem Kriegsgebiet sind», sagt Böhm dazu. Er studiert und bereist den Nahen Osten seit über 30 Jahren. Nach seinem HSG-Doktorat in Staatswissenschaften war er politischer Berater für den Nahen Osten und Nordafrika für führende Schweizer Unternehmen.
Der Austausch mit AUB-Studierenden sei auch darum für HSG-Studierende eindrücklich, weil die jungen Libanes:innen stark von dieser Krise betroffen sind: So hatten im Frühling 2024 rund die Hälfte der AUB-Studierenden aufgrund des Krieges ihre Wohnung verloren. «Diese direkte Erfahrung mit Betroffenen schärft den Blick der HSG-Studierenden. Und sie zeigt uns, wie privilegiert wir sind», sagt Böhm.
Im Frühlingssemester 2024 wurde der Kurs wegen der angespannten Sicherheitslage im Libanon an die Libera Università Internazionale degli Studi Sociali (LUISS) in Rom verlegt. Gemeinsam mit italienischen NGOs, die syrische Flüchtlinge unterstützen, wurden die Fallstudien der Studierenden besprochen.
Der 27-jährige Adrian Steiner, HSG-Student in International Law, war im Frühling 2024 in Rom dabei. «Durch den Besuch vor Ort wurde es möglich, mit Menschen in Kontakt zu treten, welche täglich mit Problemen konfrontiert sind, die in einem universitären Rahmen oft theoretisch behandelt werden», sagt er.
Der Austausch mit den libanesischen Studierenden habe ihm zudem gezeigt, wie stark Meinungen und Perspektiven vom Kontext abhängen, in welchem sie gebildet werden. «Ich hatte mich vor dem Kurs eingehend mit den Themen Migration und Fluchtbewegungen, sowie mit der Region um Syrien beschäftigt und kam daher auch mit gefestigten Meinungen in diesen Kurs. Diese wurden dann immer wieder herausgefordert», so Steiner im Rückblick.
Auch wenn der Libanon nach einem zweieinhalbjährigen Interregnum seit Anfang 2025 wieder einen Präsidenten und eine Regierung hat, rät das Eidgenössische Departement für auswärtigen Angelegenheiten (EDA) von «nicht dringenden» Reisen ab. Also geht der diesjährige Field Trip des Kurses vom 7.-10. April 2025 an die Università degli Studi di Palermo. Dort, an einem Brennpinkt an der Aussengrenze der EU, wird über Migration geforscht und in verschiedenen Programmen gelehrt.
So ergeben sich für die HSG-Studierenden Gelegenheiten zum Austausch mit Masterstudierenden und Doktorierenden, die sich mit Fragen zum Thema Migration beschäftigen. Zudem besuchen sie verschiedene Einrichtungen und Organisationen, die für und mit Migranten arbeiten.
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