close

Meinungen - 09.02.2011 - 00:00 

Nordafrikas Jugend kämpft

Nordafrikas Jugend ist gut ausgebildet. Viele junge Demonstranten in Tunesien und Ägypten fordern aktuell selbstbewusst Perspektiven ein. Prof. Franz Schultheis kommentiert die Lage mit Blick auf den Arbeitsmarkt.

$alt

9. Februar 2011. Die nordafrikanischen Gesellschaften sind jung. Beneidenswert jung, wenn man die demographischen Ungleichgewichte und die wachsende Überalterung unserer fortgeschrittenen Industriegesellschaften bedenkt. Je nach Land sind in Nordafrika zwischen 25 und 30 Prozent der Bevölkerung jünger als 15 Jahre.

Diesen Umstand teilt der Norden Afrikas mit den südlicheren Gebieten. Dort geht Kinderreichtum regelmässig mit gesellschaftlicher Armut, Not und Analphabetismus einher. An materieller Armut leiden auch Massen Nordafrikas. Trotz des oft beachtlichen Reichtums an Erdöl und Gas, wie zum Beispiel in Algerien und Libyen; oder Einnahmen aus dem Tourismus, wie in Tunesien. Von den südlicheren Gebieten unterscheidet sich der Norden Afrikas jedoch durch ein deutlich höheres Bildungsniveau. In Ländern wie Algerien oder Tunesien entspricht dies durchaus dem europäischen Standard.

Das «Bildungskapital» ist ein zentraler Faktor des Wohlstandes, der Wohlfahrt und der demokratischen Ordnung westlicher Zivilisationen. Paradoxerweise erweist sich das hohe Bildungsniveau in den nordafrikanischen Gesellschaften nicht als Stabilisator. Im Gegenteil: Das «Bildungskapital» ohne Arbeitsmarkt birgt ein explosives Gemisch an leeren Verheissungen, die zu Frustration und Protest führen. In den westlichen Industrienationen bieten höhere Bildungsabschlüsse in der Regel den besten Schutz vor Arbeitslosigkeit und Prekarität. In den nordafrikanischen Regionen erweisen sich Bildungsdiplome allzu häufig als Checks ohne Deckung. So hat sich etwa die Zahl junger arbeitsloser Akademiker in Tunesien in nur zehn Jahren (1996 bis 2006) von 122`000 auf 336`000 fast verdreifacht. Auch in ländlichen Regionen Algeriens trifft man auf einen erstaunlich viele Akademiker, die im Gespräch auf die Hoffnungslosigkeit ihrer Situation verweisen.

Dem beachtlichen Anteil hoch qualifizierter junger Arbeitssuchender steht eine verschwindend geringe Zahl an adäquaten Stellen gegenüber. Die kostbaren Berufspositionen bleiben in Gesellschaften mit ausgeprägt nepotistischen Strukturen («Vetternwirtschaft») den Abkömmlingen einer privilegierten Minderheit vorbehalten. Gegen diese Art der Machterhaltung und Vetternwirtschaft wehren sich die jungen Arbeitssuchenden, wie die starke Präsenz der Jugend beim massenhaften Aufstand gegen die korrupten Regime zeigt. Zur Frustration der Jugend kommt dank ihrer Bildung politisches Bewusstsein und Kompetenz im Umgang mit neuen Formen von öffentlicher Wirksamkeit. Dies unterscheidet die aktuellen Proteste massgeblich von den traditionsreichen «Hunger Aufständen» in Aegypten. Nordafrikas Jugend pocht jetzt selbstbewusst auf ihr Recht auf Zukunft.

Foto: Keystone, Quelle: dpa, Hannibal Hanschke

Entdecken Sie unsere Themenschwerpunkte

north