Meinungen - 10.05.2013 - 00:00
13. Mai 2013. Italien hat wieder eine Regierung. Anders als Belgien, das über ein Jahr unregiert blieb, und Griechenland, wo zwei Wahlen nötig waren, haben die Italiener das geschafft, womit am wenigsten zu rechnen war: eine grosse Koalition zwischen der Mitte-links-Partei Partito Democratico (PD), Silvio Berlusconis Popolo della Libertà (PDL) und den Technokraten Mario Montis. Was ist das für ein Kabinett? Wie stabil wird es sein, wie effektiv wird es regieren?
Die Entstehungsumstände dieser Regierung waren nicht die besten. Die Wahlen vom 24. Februar brachten keine Klarheit, Koalitionsverhandlungen zwischen der PD und der Protestbewegung M5S blieben erfolglos, ebenso der Versuch einer Minderheitsregierung. Schliesslich scheiterte auch noch die Präsidentenwahl an Streitigkeiten innerhalb der PD, der alte Präsident wurde wiedergewählt und setzte eine grosse Koalition durch, angeführt von Enrico Letta.
Eine willkommene Abwechslung
Letta überraschte mit einem innovativen und kompetenten Kabinett, in dem nicht nur Repräsentanten aller Lager, sondern auch Frauen und sogar ethnische Minderheiten repräsentiert sind. Nach der katholisch geprägten Monti-Regierung ist dies eine willkommene Abwechslung, zumal Italien nicht nur ökonomische Probleme zu lösen hat: auf der Agenda stehen der Arbeitsmarktzugang für Frauen, die Integration von Einwanderern, der Umgang mit Stammzellen, die Gleichstellung von Homosexuellen und der Datenschutz.
Weitere Pluspunkte Lettas sind sein für italienische Verhältnisse geradezu zartes Alter von nur 46 Jahren sowie seine schiere Normalität, die zum exzentrischen Gehabe Berlusconis wie auch zur roboterhaften Expertise eines Mario Monti im erfrischendsten Kontrast steht.
Kein Wachstum auf Kredit
Lettas Regierung wird aber daran gemessen werden, ob sie die Wirtschaft wieder auf Kurs zu bringen vermag, und hier ist der Handlungsspielraum eng. Angesichts des Stabilitäts- und Wachstumspakts der EU (noch am Tag seiner Ernennung floh Letta nach Berlin) und eines neuen Verfassungsartikels, der einen ausgeglichenen Haushalt verlangt, kann die Regierung keine Schulden machen, um das Wachstum anzuschieben. Alle Parteien haben versprochen, auf Steuererhöhungen zu verzichten. An Ausgabenkürzungen scheint kein Weg vorbeizuführen.
In dieser Situation ist jede Hilfe willkommen. So ist nicht zuletzt durch die expansive Geldpolitik der japanischen Zentralbank der Zinssatz auf italienische Staatsanleihen gesunken. Dennoch zeigt die Erfahrung der Monti-Regierung, wie gross die Herausforderungen sind: um Steuererhöhungen zu vermeiden, Arbeitslose zu versorgen, die verhasste Besteuerung des Eigenheims abzuschaffen und Lohnnebenkosten zu senken, wären jährliche Einsparungen von rund 30 Milliarden Euro nötig. Montis Technokraten haben ein Drittel dieser Einsparungen geschafft – und die drei neuen Regierungsparteien haben völlig unterschiedliche Prioritäten, was Ausgabenkürzungen zusätzlich erschwert.
Die Notwendigkeit von Kompromissen
Dabei sind wirtschaftspolitische Massnahmen und Etat-Kürzungen nur ein Teil des politischen Kräftemessens in Italien. Auch im Hinblick auf institutionelle Reformen (Reduzierung der Anzahl Abgeordneter, Umwandlung des Senats zur föderalen Kammer, Reform des Wahlgesetzes, Abschaffung der Verwaltungsebene der Provinzen) verfolgt jede Partei ihre eigenen Interessen. Die Notwendigkeit Kompromisse zu machen wird sich auf die Wirtschaftspolitik auswirken. Zudem hängt das Überleben der Letta-Regierung auch am juristischen Schicksal Silvio Berlusconis, der diese Woche erneut der Steuerhinterziehung schuldig gesprochen wurde. Welch ein Zufall: In derselben Woche konnten sich die Koalitionsparteien auf die Präsidenten aller Parlamentskommissionen einigen – mit Ausnahme der Kommission, die für das Justizwesen zuständig ist. Schliesslich konnte Berlusconi seinen Wunschkandidaten durchsetzen. Ob seine Partei das Kabinett trägt, wird wohl von weiteren, ähnlichen «Kompromissen» abhängig sein; mit einer fortschrittlichen Gesetzgebung im Hinblick auf Interessenkonflikte von Abgeordneten oder die Nichtwählbarkeit von Schuldiggesprochenen ist vorerst nicht zu rechnen.
Letztlich wird die Stabilität der Letta-Regierung und die Effektivität ihrer Wirtschaftspolitik vor allem von zwei Faktoren abhängen: von den juristischen Interessen Silvio Berlusconis und von der Geschlossenheit der Demokratischen Partei, deren linker Flügel sich weiteren Kompromissen und Sparmassnahmen verweigern könnte. Scheitert das Kabinett aus einem dieser beiden Gründe, dann werden womöglich die Koalitionsparteien die nächste Protestwelle nicht überleben.
Bild: Photocase / HerrSpecht
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