Campus - 21.03.2025 - 14:00
Die USA sicherten sich früh einen Vorsprung im Startup-Sektor, indem sie konsequent auf High-Tech setzten, während Europa lange auf seine klassische Industrie baute. Doch die Tech-Lücke schrumpfte – und Europa holte rasant auf. Global betrachtet sank der Anteil der Unicorns mit Sitz im Silicon Valley in den vergangenen fünfzehn Jahren von 80 auf 20 %. Bis die Entwicklung von frei zugänglichen KI-Modellen einen neuen Wendepunkt darstellte: Der «ChatGPT-Moment» zog plötzlich wieder Gründerinnen und Gründer nach Amerika ins Valley, wie Tech-Investor Michiel Kotting beobachtete. «In den vergangenen drei Monaten habe ich gesehen, wie das Pendel wieder in Richtung USA als Gründer-Magnet ausschlägt», sagte er während der Podiumsdiskussion «From Seed to Tree: Europe's Path Through the AI Forest» am Morgen des ersten Konferenztages.
Heiko Bergmann, Experte für Entrepreneurship und das Management von Klein- und Mittelunternehmen an der Universität St.Gallen, sieht für Startups in Europa gute Chancen, wenn sie KI qualifiziert für unternehmerische Prozesse und Produkte anwenden – und so einen Effizienzgewinn oder neue Angebote ermöglichen. Europas Bürokratie werde oft als Nachteil gegenüber den USA genannt – doch das grössere Problem sei die Zersplitterung der Märkte, ergänzt Bergmann und betont: «Startups können in Europa im Vergleich zu den USA langsamer skalieren, da jedes Land eine eigene Sprache und andere Regeln hat. Künstliche Intelligenz könnte diese Hürde in Zukunft jedoch verringern.»
Doch wie kommen Startups in Europa an ausreichend Kapital, um ihre Ideen erfolgreich auf den Markt zu bringen? Diese zentrale Frage beleuchteten gleich mehrere Podien des START Summit. Noch sei Europa nicht der beliebteste Hafen für das grosse Venture Capital, äusserte Peter Specht, General Partner bei Creandum, einer führenden Frühphasen-Investmentfirma, die Unternehmen wie Spotify, Depop, Bolt, Neo4j, Pleo, Factorial und Trade Republic unterstützte. «Für die frühe Phase sind wir in Europa sehr gut aufgestellt. Schwierig wird es, Kapital für Wachstumsfinanzierungen in der Grössenordnung von mehreren hundert Millionen zu beschaffen. Dort kommen Investoren aus den USA und Asien ins Spiel.» Spechts Idee: «Wir sollten Pensionskassen erlauben, in Scale-ups zu investieren. Das würde viele europäische Startups beflügeln.»
Jahrelang war es in den USA leichter, hohe Bewertungen zu erzielen – ein klarer Vorteil für Startups. Zudem zeigten sich amerikanische Venture-Capital-Firmen risikofreudiger und investierten grössere Summen mit mehr Wagnis. «Während die Konjunkturaussichten bis vor kurzem für Europa schlechter als für die USA waren, scheint sich das Blatt mit der erratischen Wirtschafts- und Zollpolitik in den USA jetzt eher zugunsten von Europa zu wenden», sagt HSG-Experte Heiko Bergmann. «Startups müssen bei der Entwicklung eines Produkts vielen Unsicherheiten begegnen. Nicht verwunderlich, achten sie bei der Gründung auf solide Rahmenbedingungen wie politische und wirtschaftliche Stabilität, die bisher in vielen europäischen Ländern und den USA gegeben waren.»
Um im Wettlauf um die besten KI-Technologien zu bestehen, brauchen europäische Startups nicht nur Zugang zu Kapital. Auch High-Tech-Talente und Daten sind matchentscheidend für ihren Erfolg. Diesen Aspekt betonte Luke Pappas, Partner von New Enterprise Associate (NEA) aus Kalifornien auf dem Podium «Clash of the Capital – US versus EU»: «Neben Kapital benötigen Startups smarte Mitarbeitende und einzigartige Daten, um erfolgreich wachsen zu können.» Firmengründer sollten beim Aufbau ihres Unternehmens zunächst auf ihre Kontakte vor Ort setzen – es helfe nichts, nach Amerika zu gehen, wenn ein Startup dort kein Netzwerk und keinen Zugang zu Talenten habe, sagte Pappas am START Summit. «Mir fiel auf, dass europäische Gründer oftmals stark operativ, US-Investoren aber die grosse Vision wünschen – diese unterschiedlichen Denkweisen verhindern bisweilen den Zugang zu Venture Capital.»
Robin Rombach, Co-Founder von Black Forest Labs und Schöpfer des Bild- und Video-KI-Generators Flux, äusserte die Ansicht, dass Europas Ökosystem stark sei in der Talentförderung, dank exzellenter Universitäten. Gerade Standorte wie London, Paris, Berlin, Zürich, Amsterdam, München und Stockholm böten ein gutes Ökosystem mit Nähe zu Hochschulen, Fachkräften und Kapitalgebern. Dies bestätigt auch HSG-Professor Heiko Bergmann: «Das europäische Startup-Ökosystem bietet aus meiner Sicht sehr gute Change für Gründerinnen und Gründer. Im Vergleich zu den USA gibt es in Europa einen stärkeren Fokus auf die Bereiche Kreislaufwirtschaft, erneuerbare Energien und nachhaltige Technologien. Diese Themen sind im Moment politisch etwas in den Hintergrund gerückt, aber mittelfristig werden hier Lösungen erarbeitet, die grosse Effizienzvorteile versprechen und sich auch ökonomisch rechnen werden.» Ein weiterer Vorteil des europäischen Ökosystems sei die hohe Dichte an erfolgreichen KMU und grösseren Unternehmen, die offen für die Zusammenarbeit mit Startups seien. «Dies zeigt sich auch daran, dass Konzepte wie Venture Clienting in Europa entstanden sind. Auch die Personalkosten für High-Tech-Talente sind in Europa heute oft niedriger als in den USA», sagt Bergmann.
Fazit: Europas Startup-Ökosystem steht vor einem Wendepunkt. Trotz struktureller Hürden wie Marktfragmentierung und Kapitalzugang bietet der Kontinent zunehmend attraktive Bedingungen für Gründerinnen und Gründer. Der Fokus auf nachhaltige Technologien, der Zugang zu exzellent ausgebildeten Talenten und die enge Verzahnung mit etablierten Unternehmen schaffen ein stabiles Fundament. Auch wenn das Silicon Valley nach dem «ChatGPT-Moment» aktuell wieder an Sogkraft gewinnt, kann Europa mit seiner Vielfalt, Innovationskraft und zunehmender KI-Kompetenz langfristig punkten – vorausgesetzt, es gelingt, regulatorische Barrieren abzubauen und mutiger in Wachstum zu investieren.
Bild: Panel «From Seed to Tree: Europe's Path Through the AI Forest» mit Peter Specht, Michiel Kotting und Robin Rombach (Copyright: START Global)
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