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Meinungen - 22.12.2022 - 08:30 

Es ist Zeit für einen Wechsel in der deutschen Klimastrategie

Deutschlands Bemühungen, die CO2-Emissionen im eigenen Land zu reduzieren, sind ein Tropfen auf den heissen Stein: Deutschland ist nur für 2 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich und sollte sich darauf konzentrieren, eine globale Koalition für nachhaltigen Wohlstand zu stärken. Ein Beitrag von Jochen Andritzky.

Die öffentliche Debatte über die Klimapolitik in Deutschland wird von der Idee beherrscht, dass Deutschland CO2-neutral werden muss – sogar das höchste deutsche Gericht hat dieses Ziel in einem wegweisenden Urteil im letzten Jahr unterstützt. Da der Anteil Deutschlands an den weltweiten CO2-Emissionen eher gering ist, wird das Erreichen dieses Ziels das Erdklima nicht retten. Dennoch könnte Deutschland als Vorreiter mit gutem Beispiel vorangehen und andere Länder zur Nachahmung motivieren.

Aber möchte jemand dem Schicksal Deutschlands folgen und auf eine teure, subventionsgetriebene Energiepolitik setzen, die sich zu sehr auf erneuerbare Energien und nicht auf Widerstandsfähigkeit konzentriert? Die daraus resultierende Anfälligkeit des deutschen Energiesystems wurde schmerzhaft deutlich, als die Gaslieferungen aus Russland ausblieben und den sozialen Frieden in Deutschland gefährdeten. Zusätzlich schürt die deutsche Industrielobby Ängste vor einer Deindustrialisierung.

Die Spaltung der Gesellschaft

Obwohl der Klimaschutz in der politischen Debatte seit Jahren zum Mainstream gehört, sieht sich Deutschland mit einer Welle des Klimaaktivismus konfrontiert, welche die Gesellschaft zu spalten beginnt. Mit der Blockade von Strassen und eines Flughafens sowie dem Bewerfen eines Gemäldes von Claude Monet mit Kartoffelbrei signalisieren die Aktivisten, dass radikalen Aktionen keine Grenzen gesetzt sein sollten: Aussergewöhnliche Zeiten verlangen aussergewöhnliche Massnahmen. 

Der daraus resultierende Medienrummel verdrängt die wichtigere Debatte: Wie will Deutschland den globalen Klimawandel bewältigen? Der Konsens über die Begrenzung der globalen Erwärmung wird allzu oft mit einem Konsens über den Weg dorthin verwechselt. 

Der Weltklimarat IPCC hat verschiedene Wege aufgezeigt, wie das 1,5-Grad-Ziel erreicht werden kann (IPCC 2018). In Deutschland gibt es weder einen Konsens noch eine explizite Debatte darüber, ob das Ziel durch Verhaltensänderungen und Deindustrialisierung oder durch Innovationen, einschliesslich einer stärkeren Rolle der CO2-Abscheidung, erreicht werden soll.

Mangelnde Voraussicht führt zu höheren Kosten

Der Mangel an Weitblick wird am deutlichsten in der aktuellen Energiekrise. Die Krise hat zu einem Kostenschock geführt, insbesondere bei Erdgas, der plötzlicher und gewaltiger ist als der im Rahmen der CO2-Handelssysteme vorgesehene Anstieg. 

Es gab genügend Hinweise darauf, dass die Deutschen nicht bereit sind, höhere Energiekosten zu verkraften, sei es aufgrund von Klimapolitik oder eines externen Schocks wie eines Krieges. Eine Allensbach-Umfrage aus dem Jahr 2021 ergab, dass 60 Prozent der Deutschen der Meinung sind, dass das Klima geschützt werden muss (BDI 2021). Aber nur 6 Prozent sind bereit, deutlich höhere Energiepreise zu akzeptieren. Die Bundesregierung hat Monate verstreichen lassen, um dann überstürzt mit einem 200 Milliarden Euro oder 6 Prozent des BIP schweren «Abwehrschirm» Energie flächendeckend zu subventionieren.

Dies ist eine verpasste Chance, die aus mangelnder Voraussicht resultiert. Die Krise hätte die Debatte auf die Frage lenken können, wie Haushalte mit niedrigem und mittlerem Einkommen beim Übergang zum Klimaschutz unterstützt werden können, wie Innovationen angestossen werden können und wie der Unternehmenssektor flexibler gestaltet werden kann, um sich an die Klimaneutralität anzupassen. Stattdessen beherrschte ein ideologischer Streit um die Kernenergie die Schlagzeilen. Dies zeichnet ein Bild des Unvermögens, in Deutschland einen Konsens durch eine sachliche Debatte zu erzielen.

Erneuerung des Aufrufs zum Handeln

Um zu einer Vision zu gelangen, muss sich Deutschland daran erinnern, wie es am besten dazu beitragen kann, die globale Herausforderung des Klimawandels zu bewältigen. Weder ist Deutschland gross genug, um das Klima zu beeinflussen, noch wird es als Vorbild für andere Länder dienen, wenn seine teure Klimatransformation mit Wohlstandsverlusten und sozialer Spaltung einhergeht.

Was sollte Deutschland stattdessen tun? Deutschlands Beitrag sollte sich an seinen komparativen Stärken auf globaler Ebene orientieren. Diese sind Innovation, Exportstärke und sein Gewicht in der internationalen Diplomatie.

Wenn Deutschland in der Lage ist, neue Technologien und Geschäftsmodelle für einen Systemwandel in Bereichen wie Energieerzeugung, Mobilität oder industrielle Prozesse zu entwickeln, hilft das dem Klima sehr, da die Welt diese Innovationen übernehmen kann. Darüber hinaus sollte es sich weiterhin für einen grossen «Klima-Club» von Ländern einsetzen, der die Hauptverursacher einschliesst.

Eine Debatte darüber, wie sich Deutschland seine Rolle im globalen Klimaschutz vorstellt, ist dringend notwendig. Bislang ist Deutschland sicherlich kein Vorbild für andere Länder. Die Alles-oder-nichts-Botschaft der Klimaaktivisten macht das nicht besser.

Der Autor Jochen Andritzky ist Dozent an der HSG und Mitbegründer der von HSG-Alumnae und Alumni ins Leben gerufenen Denkfabrik «Zukunft-Fabrik.2050».

Bild: letztegeneration.de / Pressebild Museumsaktion in Potsdam 

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