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Regulierung

Social-Media-Plattformen in die Pflicht nehmen

Social-Media-Plattformen wie Instagram, TikTok oder X tragen stark zur Meinungsbildung in unserer Gesellschaft bei. Um problematischen Inhalten, Desinformation und Cybermobbing Einhalt zu gebieten, sollen die Anbieter in die Pflicht genommen werden. Professorin Miriam Buiten beschäftigt sich in ihrer Forschung intensiv mit der Regulierung dieser Plattformen.

Seit Mitte Februar 2024 ist in allen EU-Staaten ein Gesetz in Kraft, das die Social-Media-Plattformen stärker reguliert. Der sogenannte Digital Service Act (DSA) hat unter anderem zum Ziel, die Entfernung illegaler Inhalte zu erleichtern und die Grundrechte der Nutzerinnen und Nutzer zu schützen. Auch in der Schweiz strebt der Bundesrat die Regulierung grosser Kommunikationsplattformen an. Miriam Buiten, Expertin für Law & Economics an der Law School der Universität St.Gallen, sieht im DSA einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung, doch geht er ihr zu wenig weit. «Ein grosser Nachteil des Gesetzes ist, dass es die Haftung der Plattformen nicht mitberücksichtigt», betont sie.

«Wir müssen uns immer vor Augen halten, dass soziale Plattformen mit Profitziel darauf ausgerichtet sind, dass wir möglichst lange auf ihr verweilen», gibt Miriam Buiten zu bedenken. «Eine Studie nach der anderen zeigt, dass nicht nur harmlose Inhalte wie Katzenvideos die Nutzer fesseln, sondern dass kontroverse und polarisierende Inhalte die meisten Klicks erzeugen.» Auf diese Weise erreichen Verschwörungstheorien und Desinformationen Millionen von Menschen. «Die Plattformen haben keine journalistischen oder ethischen Standards. Was zählt ist nicht Expertise, sondern Popularität. Ihr Ziel ist darauf ausgerichtet, ihre eigenen Werbeeinnahmen und Klicks zu maximieren.»

Relevanter Einfluss auf soziale Entwicklungen 

Die sozialen Plattformen hätten zudem relevanten Einfluss auf andere besorgniserregende soziale Entwicklungen, betont die HSG-Professorin. Cybermobbing habe schon mehrmals dazu geführt, dass sich Jugendliche das Leben genommen hätten. Die Verbreitung von Hass, Gewaltdarstellungen und Falschinformationen nennt sie als weitere Fehlentwicklungen der sozialen Medien. Anders als in den USA gehe die EU nun mit dem Digital Services Act gegen diese Auswüchse vor. «Die Online-Plattformen müssen beispielsweise offenlegen, wie viele illegale Inhalte aber auch wie viele Nutzende sie entfernt haben. Und sie müssen bestimmte Risiken bewerten. Beispiele dafür sind, welche Risiken für Kinder auf den Plattformen bestehen oder inwiefern Desinformation vorhanden ist.» 

Die Haftung nicht modernisiert

«Der DSA erkennt an, dass die Plattformen sehr viel Macht bekommen haben, welche Informationen verbreitet werden und prominent sichtbar sind. Mit den Regulierungsmassnahmen werden sie nun dazu verpflichtet, dass sie ihre Entscheidungen transparent und nachvollziehbar treffen», lobt Miriam Buiten. Als verpasste Chance bezeichnet sie aber den Umstand, dass die Haftung der Plattformen nicht mitberücksichtigt worden ist. «Die Plattformen geniessen eine Haftungsprivilegierung, die in den 90er Jahren verabschiedet wurde. Diese basiert darauf, dass die Plattformen nur neutrale, passive Vermittler waren. Das ist heute nicht mehr der Fall.» Ohne die Modernisierung der Haftungsbestimmungen müssten die Plattformen zwar eine Geldstrafe bezahlen, wenn sie die Verpflichtungen nicht einhalten würden, geschädigte Nutzende aber hätten nichts davon.

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Plattformen auf Basis des DSA nur dann auf illegale Inhalte reagieren müssen, wenn sie von Nutzenden darauf aufmerksam gemacht werden. Für Miriam Buiten aber sollten Plattformen auch dazu verpflichtet werden, proaktiv gegen illegale Inhalte vorzugehen. Als in Neuseeland eine Person über 50 Menschen erschossen und dies live auf Facebook gestreamt habe, hätten sich die Plattformverantwortlichen damit herausgeredet, es sei von keinem Nutzer gemeldet worden. «Das ist meines Erachtens eindeutig zu wenig, um Verantwortung wahrzunehmen und solch schreckliche Inhalte zu vermeiden. Obwohl Plattformen niemals in der Lage sein werden, die Verbreitung aller schädlichen Inhalte vollständig zu verhindern, sollten sie zumindest versuchen, mehr dagegen zu tun.»

Auch für die Schweiz ist der DSA sinnvoll

Auch in der Schweiz wird gerade ein Gesetz zur Regulierung der Plattformen ausgearbeitet. Für Miriam Buiten ist es für die Schweiz sinnvoll, wenn sie sich dabei am DSA orientiert. Gleichzeitig müsse sich die Schweiz überlegen, ob sie auch so ein ausführliches administratives System einführen wolle, welches mit grossem bürokratischem Aufwand verbunden sei. «Die entscheidenden Elemente für Schweizer Nutzerinnen und Nutzer sind mehr Transparenz und Kontrolle. Bestimmte Risikobewertungspflichten gegenüber den Behörden könnten in der Schweiz entfallen oder einfach mit der DSA abgestimmt werden, weil die Plattformen solche Informationen bereits den europäischen Behörden offenlegen.» 

Und was antwortet Miriam Buiten auf kritische Stimmen, welche in Regulierungen wie dem Digital Services Act eine Gefahr für die Meinungsfreiheit sehen? «Es ist absolut bedenklich, wenn staatliche Behörden in die Meinungsfreiheit eingreifen. Beim DSA aber sehe ich keine Gefahr, weil er nicht verlangt, dass legale Inhalte entfernt werden», antwortet sie. «Der DSA gibt den Plattformen nicht vor, welche legalen Inhalte sie zulassen sollen, sondern fordert Transparenz über die Risiken schädlicher legaler Inhalte wie Desinformation.» 

«Die entscheidenden Elemente für Schweizer Nutzerinnen und Nutzer sind mehr Transparenz und Kontrolle.»
Prof. Dr. Miriam Buiten

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Um gegen Fehlentwicklungen wie Desinformation oder Cybermobbing vorzugehen, werden Onlineplattformen wie Instagram oder Tiktok in der EU seit kurzem strenger reguliert. Auch in der Schweiz soll ein entsprechendes Gesetz ausgearbeitet werden. Prof. Dr. Miriam Buiten von der Law School der HSG fasst im Video die Stärken und Schwächen der EU-Regulierung zusammen und schätzt ein, inwiefern sich die Schweiz an dieser orientieren sollte.

Forschung mit «Latsis-Preis» gewürdigt 

Auf die Forschungsarbeit von HSG-Professorin Miriam Buiten zur Regulierung von Online-Plattformen und zu neuen Technologien wurde auch die Fondation Latsis Internationale aufmerksam. Sie ehrt jährlich an ausgewählten Universitäten der Schweiz Nachwuchsforschende. Im Frühling wurde der «Latsis-Preis» im Rahmen des Dies Academicus an Miriam Buiten übergeben. Die Assistenzprofessorin für Law & Economics arbeitet zudem an einem Buch zum Thema, das kurz vor der Veröffentlichung steht.

Miriam Buiten ist Assistenzprofessorin für Rechtswissenschaft in Kombination mit Wirtschaftswissenschaften an der Law School der Universität St.Gallen.

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