Mehr Transparenz und Objektivität in der Klimafinanzierung war das Ziel des Forschungsprojekts der Ökonomin Dr. Anna Stünzi und ihrer Teamkollegen. Sie entwickelten ein NLP-Modell, das Klimaschutzprojekte innert kurzer Zeit identifizieren und klassifizieren kann.
Die Universität St.Gallen zeichnet mit dem Impact Award Projekte aus, die eine besonders deutlich erkennbare Wirkung für die Gesellschaft erbringen – und somit «from insight to impact», den Leitspruch der Universität, verkörpern. Akteure wie Beitragszahler, Empfänger oder NGOs können dank des neu entwickelten Modells ClimateFinanceBERT die Klimafinanzierung anhand einheitlicher Kriterien überprüfen und so mehr Transparenz schaffen.
Im Zentrum des Forschungsprojekts «Konsistente und replizierbare Schätzung der bilateralen Klimafinanzierung» von Dr. Anna Stünzi und ihren beiden Forschungspartnern der ETH Zürich, Malte Toetze und Florian Egli, steht das NLP-Modell ClimateFinanceBERT. Das Modell wurde vom Forschungsteam trainiert, die Bewertung von Klimafinanzierungsprojekten zu replizieren und weitere Projekte zu erkennen. KI klassifiziert Projekte in klimarelevant – das kann ein Projekt zur Montierung von Solaranlagen auf Gemeindehäusern sein – und nicht klimarelevant – beispielsweise Ausbildungsprojekte, von denen lediglich ein kurzes Modul den Klimawandel betrifft, deren Hauptfokus aber nicht auf dem Klimawandel liegt. Falls ein Projekt klimarelevant ist, bestimmt das Modell, in welchem Bereich der Klimaschutz vorliegt: eine Schutzmassnahme gegen Hochwasser oder die Investition in Solarenergie. Maschinelles Lernen und menschliche Urteilskraft ergänzen sich im Forschungsprojekt: «Daten allein bringen nichts, wenn wir Forschenden daraus keine Schlüsse ziehen können. Erst in Kombination mit wissenschaftlichem Kontextwissen kann das Modell mehr Transparenz, Vertrauen und eine nachhaltigere Entwicklung bei Klimaschutzanstrengungen erzielen», so die Ökonomin Dr. Anna Stünzi.
Anna Stünzi ist seit 2021 Postdoktorandin an der SEPS-HSG (School of Economics and Political Science) der Universität St.Gallen. Nach ihrem Psychologie- und VWL-Studium an der Universität Zürich verfasste Stünzi an der ETH Zürich ihre Dissertation, die Fairness-Prinzipien von Beiträgen an den Klimawandel und die Verantwortlichkeiten bei der Klimafinanzierung verhandelte. Ihre Forschungen brachten zutage, dass bei der Finanzierung von Klimaschutzprojekten in der internationalen Zusammenarbeit objektive Grundlagen fehlen. Diese Erkenntnis bildete den Auslöser für ihr Forschungsprojekt «Konsistente und replizierbare Schätzung der bilateralen Klimafinanzierung». Sowohl Geber- und Empfängerländer, zivilgesellschaftliche Organisationen als auch Forschungsinstitutionen oder Weltbanken könnten die Klassifizierung von Daten nutzen, die das NLP-Modell ermöglicht, so Stünzi. «Klimafinanzierung ist immer auch politisch, weil sie Teil der globalen Verhandlungen ist, die von unterschiedlichen Interessen der Geber- und Empfängerländer geprägt sind. Unsere Forschung soll in diese Verhandlungen einfliessen und das neue Klimafinanzierungsziel zu definieren helfen», beschreibt die Forscherin ihre Ambitionen.
Nach der Forschung ist vor der Forschung: Aktuell untersuchen Anna Stünzi und ihre Kollegen, wie das Modell angepasst werden kann, damit es noch differenziertere Aussagen über die Klimarelevanz eines Projekts machen kann. Zusätzlich zur Klassifizierung klimarelevant oder nicht klimarelevant könnte das Modell eine prozentuale Abstufung ermöglichen. Eine aktuelle Masterarbeit an der HSG erörtert zudem die Frage, inwiefern das entwickelte Sprachmodell konkret für ein Geberland wie die Schweiz anwendbar ist.
Das Paper «Konsistente und replizierbare Schätzung der bilateralen Klimafinanzierung» erschien im Herbst 2022 in der Fachzeitschrift Nature Climate Change und fand weltweit ein breites Echo. Das Interesse von Akteuren, die etwas verändern und transparent sein wollen, sei enorm, so Stünzi. Von der Financial Times wurde das Paper 2024 mit dem «Responsible Business Education Award» ausgezeichnet. Dieser akademische Forschungspreis verleiht die britische Zeitung an Preisträger, die gesellschaftliche und ökologische Probleme auf praktische Weise angehen. IRCAI, ein von der Unesco unterstütztes internationales Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, wählte die Publikation 2023 unter die zehn herausragenden KI-Lösungen, die sich dafür einsetzen, dass die globalen Nachhaltigkeitsziele Sustainable Development Goals (SDGs) erreicht werden. Globale Auszeichnungen erzeugen Aufmerksamkeit und funktionieren als Türöffner: So wurde das Forschungsteam eingeladen, an einer Veranstaltung während der UN Climate Meetings in Bonn über die Rolle von AI für Climate Action zu sprechen.
Aktuell visualisieren Anna Stünzi und ihre Teamkollegen die Forschungsergebnisse auf einer Website und stellen so die Resultate der Öffentlichkeit und interessierten Organisationen zur Verfügung. «Meine Motivation für die Forschung ist stets ihr gesellschaftlicher Beitrag. Es geht mir nicht darum, Papers nur in Fachartikel zu publizieren – mich interessieren konkrete und nachhaltige Lösungen», betont Anna Stünzi. Als Dozentin führt sie Bachelor-Studierende in das Thema Klimawandel ein und referiert über die politische Steuerung der Klimafinanzierung und ihren Verhandlungskontext. Um den theoretischen Stoff praktisch anzuwenden, verlässt die Ökonomin in ihren Lehrveranstaltungen immer wieder die «Forschungs-Bubble»: Mit Studierenden hat sie beispielsweise Wikipedia-Beiträge zu Aspekten rund um Klimafinanzierung ergänzt, um das im Kurs Gelernte der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Hin zu praktischen Lösungen führt auch Anna Stünzis berufliche Laufbahn: Ihr Wissen wendet sie seit diesem Sommer als Umweltspezialistin bei den Schweizer Bundesbahnen an. Als Dozentin bleibt die Expertin für Klimafinanzierung weiterhin an der Universität St.Gallen tätig.
Anna Stünzi ist seit 2021 Postdoktorandin an der SEPS-HSG (School of Economics and Political Science) der Universität St.Gallen.