close

Digitalisierung

Das Internet der Dinge und die reale Welt

Wie kann das Internet der Dinge die Lücke zwischen Prozessen in der physischen Welt und ihrer digitalen Darstellung schliessen? Dieser Frage geht ein Forschungsteam rund um HSG-Professorin Barbara Weber am Institut für Informatik (ICS-HSG) nach.

«Bei unserem Projekt geht es um ein aktuelles Forschungsthema, das komplexe Herausforderungen beinhaltet und an dem Forschende weltweit arbeiten», erklärt HSG-Professorin Barbara Weber. «ProAmbitIon: Online-Prüfung der Prozesskonformität bei Mehrdeutigkeiten durch das Internet der Dinge» ist eine internationale Forschungsarbeit, an der Barbara Weber, Ronny Seiger und Marco Franceschetti von der Universität St.Gallen sowie ein Team vom Departement für Informatik am Tecnológico de Monterrey in Puebla, Mexiko, beteiligt sind. Der Schweizerische Nationalfonds gewährte den Forschenden der HSG ab November 2022 eine dreijährige finanzielle Unterstützung.

Die Digitalisierung von Prozessen ist in vielen Bereichen unseres täglichen Lebens weit fortgeschritten. Einfache Beispiele dafür, wie manuelle Abläufe durch automatisierte ersetzt werden, sind die Steuerung der automatischen Verschattung in modernen Gebäuden oder die automatische Benachrichtigung bei Flugverspätungen auf dem Smartphone. Ziel ist es, den Arbeitsaufwand zu reduzieren, die Effizienz zu steigern, Fehler zu minimieren und die Qualität zu überprüfen. «Die von IT-Systemen angetriebene Digitalisierung bietet ein grosses Potenzial für die Automatisierung, Analyse und Optimierung von Prozessen», betont Barbara Weber, Direktorin am Institut für Informatik und Mitglied des Rektorats der HSG. In einer rein digitalen Welt können Prozesse durch IT-Systeme leicht nachvollzogen werden. «Hier wissen wir, wie wir Prozesse analysieren und optimieren können.»

Prozesse beobachtbar und überprüfbar machen 

In der physischen Welt aber gibt es meist kein zentrales IT-System, das die Rückverfolgung von Prozessen übernehme. Die digitalen Spuren eines Real-Welt-Prozesses seien oft unvollständig. «Das ist vor allem bei menschlichen Interaktionen der Fall und schränkt die Möglichkeiten für eine automatisierte Prozessüberwachung ein.» Eine weitere Schwierigkeit sei, dass in der physischen Welt Prozessbeschreibungen oft in Form von Leitlinien oder Checklisten erstellt würden, die auf verschiedene Weise interpretiert werden könnten. Dies führe zu Mehrdeutigkeiten in den entsprechenden Prozessmodellen, welche bei der Konformitätsprüfung mitberücksichtigt werden müssten. 

«Unsere Arbeit zielt darauf ab, den Stand der Forschung und Technik in der Informatik voranzutreiben.»
Barbara Weber

Babara Weber und ihr Team schlagen mit dem Projekt «ProAmbitIon» vor, das Internet der Dinge (IoT) zu nutzen, um die Lücke zwischen den Prozessabläufen in der realen physischen Welt und ihren digitalen Repräsentationen zu schliessen. Das IoT biete eine Fülle von intelligenten Objekten, die Daten über Aktivitäten und Umgebung sammelten. Diese Daten seien aber oft weder direkt mit Prozessen verknüpft, noch könnten sie diese in ihrer ganzen Komplexität nachvollziehen. «Die Herausforderung besteht darin, die relevanten Daten auszuwählen und sie mit den Aktivitäten in den Prozessen zu korrelieren. Durch die Bereitstellung neuartiger Werkzeuge und Methoden, um diese Zusammenhänge zu finden, können wir helfen, Prozesse in der physischen Welt zu analysieren und zu überprüfen, ob sie korrekt ausgeführt werden», so Marco Franceschetti, der im Projekt als Post-Doktorand beteiligt ist.

Direkte Rückmeldung in Echtzeit möglich 

Ausgehend von hochautomatisierten Prozessen in Smart Factories, in denen Produktionsmaschinen, Roboter und Menschen miteinander kollaborieren, entwickeln die Forschenden Methoden und Techniken, um die fehlerfreie Abfolge der Ausführung von Prozessschritten zu beobachten. Dazu werden Datenströme aus unterschiedlichen Sensoren und Aktuatoren kombiniert, um eine möglichst genaue Beobachtung der Prozesse zu ermöglichen. 

Die entwickelten Techniken werden dann in Prozessen erprobt, die hauptsächlich manuelle Aktivitäten umfassen, welche durch Menschen ausgeführt werden. Dazu wurde in Zusammenarbeit mit dem Kantonsspital St.Gallen eine Laborumgebung konzipiert, in der nicht-invasive Sensoren zur Beobachtung eines Blutspende-Prozesses eingesetzt werden. In Trainingsumgebungen kann so überprüft werden, ob Medizin- und Pflegestudierende die notwendige Schrittfolge in den Behandlungsprozessen korrekt ausführen und beispielsweise die Vorgaben hinsichtlich der Einhaltung der Hand-Hygiene befolgen. «Durch das Beobachten der Prozesse mittels des IoT kann so eine direkte Rückmeldung in Echtzeit an das medizinische Personal erfolgen und zum Beispiel das Infektionsrisiko reduziert oder Prozesse optimiert werden», betont Ronny Seiger, Assistenzprofessor an der HSG, der ebenfalls im Projekt forscht.

Allgemeingültige Konformitätsprüfung

Babara Weber und ihr Team wollen das Internet der Dinge (IoT) nutzen, um die Lücke zwischen den Prozessabläufen in der realen physischen Welt und ihren digitalen Repräsentationen zu schliessen.

Rückmeldung in Echtzeit

In der Trainingsumgebung am Kantonsspital St.Gallen lässt sich zum Beispiel die Einhaltung der Handhygiene in Echtzeit verfolgen.

Sensoren und Aktuatoren

Ronny Seiger (li.), Barbara Weber und Marco Franceschetti (re.) kombinieren Datenströme aus unterschiedlichen Sensoren und Aktuatoren, um eine möglichst genaue Beobachtung der Prozesse, etwa beim Blutspenden, zu ermöglichen.

Anwendung in unterschiedlichen Bereichen

Das Forschungsprojekt «ProAmbitIon» zielt über das Beispiel des konkreten Blutspende-Prozesses hinaus: Es geht vielmehr um die Entwicklung von allgemeingültigen Lösungen, die in unterschiedlichen Bereichen Anwendung finden können.

Design Science Research

Barbara Weber, Direktorin am Institut für Informatik und Mitglied des Rektorats der HSG, will mit mehreren Beiträgen den Stand der Forschung und Technik in der Informatik vorantreiben.

Benutzerfreundlicher Ansatz

Zu den neuen Ansätzen für die IoT-basierte Prozesskonformitätsprüfung gehört ein benutzerfreundlicher Ansatz zur Anreicherung von Prozessbeschreibungen.

Das Team der Forschenden betont dabei, dass weder der konkrete Anwendungsbereich des Blutspende-Prozesses noch das Anwendungsbeispiel der Smart Factories das übergeordnete Ziel im Forschungsprojekt «ProAmbitIon» sind. Es geht vielmehr um die Entwicklung von allgemeingültigen Lösungen, die in unterschiedlichen Bereichen Anwendung finden können. Auch sei es keineswegs ein Ziel, Menschen bei ihrer Arbeit zu überwachen, zu bevormunden oder blosszustellen. «Wir wollen neuartige Ansätze zur IoT-basierten Konformitätsprüfung von Prozessen erforschen, die in den verschiedensten Bereichen von Nutzen sein können. Dies reicht von der Produktion über das Gesundheitswesen bis zur Mobilität und sogar zum Kochen.»

«Durch das Beobachten der Prozesse mittels des IoT kann zum Beispiel das Infektionsrisiko verringert werden.»
Ronny Seiger

Zu den neuen Ansätzen für die IoT-basierte Prozesskonformitätsprüfung gehöre ein benutzerfreundlicher Ansatz zur Anreicherung von Prozessbeschreibungen mit IoT-bezogenen, musterbasierten Monitoring-Punkten, die durch Domänenexperten bereitgestellt würden. Um die Ergebnisse der Konformitätsprüfung für den Endbenutzer verständlich zu machen und Mehrdeutigkeiten interaktiv aufzulösen, würden neue Konzepte für die Bereitstellung von Feedback über die Prozesskonformität entwickelt. «Unsere Arbeit zielt darauf ab, mit mehreren Beiträgen den Stand der Forschung und Technik in der Informatik voranzutreiben», erklärt Barbara Weber abschliessend. Das Projekt werde nach den Grundsätzen des Design Science Research durchgeführt und entwickle neue Software-Artefakte, einschliesslich Rahmenwerke, Modelle, Methoden und Architekturen.

Prof. Dr. Barbara Weber ist Lehrstuhlinhaberin am Institute of Computer Science (ICS-HSG) und Prorektorin Studium & Lehre. Im Projekt «ProAmbitIon: Online-Prüfung der Prozesskonformität bei Mehrdeutigkeiten durch das Internet der Dinge» arbeitet sie mit Prof. Dr. Ronny Seiger, Assistenzprofessor für Informatik mit Fokus auf Software Engineering Methoden und Techniken, sowie dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Marco Franceschetti, PhD.

Entdecken Sie weitere Forschungsprojekte

Social-Media-Plattformen in die Pflicht nehmen

Um Desinformation und Cybermobbing Einhalt zu gebieten, beschäftigt sich Prof. Dr. Miriam Buiten in ihrer Forschung mit der Regulierung dieser Plattformen.

Mehr lesen

KI für mehr Transparenz bei der Klimafinanzierung

Mehr Transparenz und Objektivität in der Klimafinanzierung war das Ziel eines Forschungsprojekts der Ökonomin Dr. Anna Stünzi und ihrer Teamkollegen.

Mehr lesen

Der rasante Aufstieg und Fall von NFTs

Non-Fungible Tokens (NFTs) erlebten kurz nach ihrem Boom als neuer Vermögenswert einen Zusammenbruch. HSG-Professor Andrea Barbon hat daraus akademische Erkenntnisse gewonnen.

Mehr lesen

Ukraine-Krieg: Das Verhältnis zwischen Staat und Bürgern

Ein Forschungsprojekt von Dr. Oleksandra Tarkhanova untersucht, wie die russische Invasion seit Februar 2022 die Verbindung zwischen dem ukrainischen Staat und seinen Bürgern beeinflusst.

Mehr lesen

In die Welt von Metverse eintauchen

Professor Thomas Rudolph und das Forschungszentrum für Handelsmanagement (IRM-HSG) hat untersucht, wie beliebt das Metaverse bei Nutzerinnen und Nutzern ist.

Mehr lesen
north