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Forschung - 03.11.2015 - 00:00 

Wer dient der Allgemeinheit?

Unternehmen leisten nach Meinung der Deutschen keinen sonderlich grossen Beitrag zum Gemeinwohl. Der VW-Skandal macht das nicht besser, der Konzern verlor an Ansehen. Dies zeigt der GemeinwohlAtlas Deutschland. Das Center for Leadership and Values in Society an der Universität St.Gallen (CLVS-HSG) hat für die Studie mehr als 7000 Personen in Deutschland befragt.

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30. Oktober 2015. Der «GemeinwohlAtlas Deutschland» zeigt folgendes Bild für die öffentliche Wahrnehmung des Public Value in der Bundesrepublik: Feuerwehr, das Technische Hilfswerk und die Opfer-Schutzorganisation «Weisser Ring» nehmen in der Gunst der deutschen Bevölkerung die ersten drei Plätze ein. Erst auf Rang 22 folgt das erste Unternehmen – der Fahrzeughersteller Volkswagen, gefolgt von Audi und dem Automobilzulieferer Bosch.

Unternehmen in der Kritik

Anders sieht es am unteren Ende des Rankings aus. Dort finden sich auf den letzten drei Plätzen ausschliesslich Unternehmen wie Facebook, die Deutsche Bank und die «Bild-Zeitung» aus dem Springer-Verlag. Insgesamt besonders umstritten sind die Organisationen ver.di, die EZB, die Bundesagentur für Arbeit, die Bundesregierung, der FC Bayern München und der DFB. Sie erfahren sowohl hohe als auch geringe Wertschätzung in der Bevölkerung.

Ebenfalls hohe Wertschätzung geniessen gemäss der Umfrage staatliche Institutionen, darunter die Bundespolizei (Platz 5), das Bundesverfassungsgericht (7) und die Bundeswehr (32). Die Bundesregierung muss sich mit Rang 42 zufriedengeben. Die Untersuchung trägt den Titel «GemeinwohlAtlas Deutschland» und fusst auf einer repräsentativen Umfrage von 7800 Erwachsenen durch das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag der Universität St.Gallen. Gefragt wurde, wie gross der Beitrag der bekanntesten 127 Unternehmen und Institutionen in Deutschland zum Gemeinwohl auf den Feldern Lebensqualität, Zusammenhalt, Moral und Aufgabenerfüllung ist.

VW verliert an Ansehen in der Bevölkerung

Die Abgasaffäre kostet den Volkswagenkonzern viel Ansehen, zeigt eine weitere Erhebung der Universität St.Gallen in Zusammenarbeit mit der «WirtschaftsWoche», bei der fast 800 Personen befragt wurden. Demnach fiel der Gemeinwohlbeitrag von VW seit dem Bekanntwerden der Dieselmanipulationen stark ab und würde mit dem neuen Gemeinwohlwert von Platz 22 auf Platz 101 abrutschen. An Ansehen verlor auch die Konzerntochter Audi, die sich mit dem aktuellen Gemeinwohl-Score von Platz 25 auf Platz 46 verschlechtern würde.

Noch ein Wort zum Stellenwert von VW im Oktober 2015. Die Deutschen strafen VW ab, lassen das Unternehmen jedoch nicht fallen: 90 von 100 Befragten geben an, dass ohne VW Deutschland etwas fehlen würde. Und: 67 von 100 Befragten finden, «VW ist und bleibt ein deutsches Vorzeigeunternehmen».

Entwarnung gibt es dagegen für die anderen Autohersteller sowie für die deutsche Wirtschaft insgesamt. Ihr Gemeinwohlbeitrag hat der Untersuchung zufolge durch die Abgasaffäre bei VW nicht gelitten. Daimler, BMW und Ford erreichten in der Nacherhebung einen ähnlichen Gemeinwohl-Score wie in der Hauptbefragung. Auch weitere Unternehmen, die in die zweite Erhebung aufgenommen wurden, schneiden bei den Deutschen nicht schlechter ab als vor der Abgasaffäre.

Differenzierte Wahrnehmung des Gemeinwohls

Insgesamt zeichnen die Befragten ein sehr differenziertes Bild, wenn es um den Gemeinwohlbeitrag einzelner Organisationen geht: Auf einer 6er Skala rangieren die 127 Organisationen zwischen 2,4 und 5,7 (1 = niedrigster Wert; 6 = höchster Wert). Es wird also klar unterschieden zwischen jenen, die besonders positiv auf die Gesellschaft wirken und jenen, denen dies (bisher) nicht gelingt. Unter den Top Ten aller einbezogenen Organisationen befinden sich zunächst keine Wirtschaftsunternehmen:

1 Feuerwehr

2 Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW)

3 Weisser Ring

4 DRK-Deutsches Rotes Kreuz

5 Bundespolizei

6 Malteser Hilfsdienst

7 Bundesverfassungsgericht

8 Deutsches Jugendherbergswerk

9 Johanniter-Unfall-Hilfe

10 Arbeiterwohlfahrt (AWO) Bundesverband

Digitale Unternehmen und Banken verlieren an Ansehen

Mit Blick auf die zunehmende Bedeutung des Internets ist auffällig, dass digitale Vorreiter, wie etwa Apple, Google, Amazon und vor allem Facebook eine geringe Wertschätzung geniessen. Facebook ist in der Gesamtliste sogar auf dem drittletzten Platz und unter den internationalen Unternehmen auf dem letzten Rang. Ganz ähnlich wie in der Schweiz wird in Deutschland der Bankensektor schlecht bewertet. Vergleicht man die Resultate mit denen aus der Schweiz, kommt dort die UBS als letztplatzierte Bank immer noch besser weg als die drei am schlechtesten platzierten Banken in Deutschland (Targobank, Commerzbank, Deutsche Bank).

«Neben einer Reihe von Unterschieden zwischen dem GemeinwohlAtlas Deutschland und dem GemeinwohlAtlas Schweiz gibt es ebenfalls erstaunliche Parallelitäten: So liegen das Schweizerische Rote Kreuz und das Deutsche Rote Kreuz nicht nur beide in der Spitzengruppe. Sie erreichen in diesem Jahr genau denselben Wert von 5.2», sagt Timo Meynhardt, Leiter des Forschungsprojektes am Center for Leadership and Values in Society. Der Professor an der Universität St.Gallen und der HHL Leipzig Graduate School of Management stellt auch eine «ähnlich starke Übereinstimmung für Microsoft» fest.

Fussballclubs und der ADAC unter der Gemeinwohl-Lupe

Ein Indikator für die Differenziertheit der Ergebnisse ist auch die Binnendifferenzierung bei den einzelnen Gemeinwohldimensionen für die jeweilige Organisation: «Ein gutes Beispiel sind der ADAC und der FC Bayern München», sagt Timo Meynhardt. «Die Befragten unterscheiden hier jeweils klar zwischen der Wertschätzung für die jeweilige Aufgabenerfüllung und den moralischen Bedenken im Auftreten der Organisationen».

So liegt in Summe beispielsweise Borussia Dortmund im gesamten Gemeinwohlbeitrag vor dem FC Bayern München, wird von diesem aber in der Dimension Aufgabenerfüllung «geschlagen». «Die Frage nach dem Gemeinwohlbeitrag stellt sich Organisationen über verschiedene Sektoren hinweg. Denn: 85% der Befragten machen sich Sorgen, das dem Gemeinwohl in Deutschland insgesamt zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die Antworten aus der Bevölkerung ermöglichen eine wertschätzende Diskussion und eröffnen eine neue Sicht auf das, was wir ‚Wertschöpfung‘ nennen», sagt Studienleiter Timo Meynhardt.

Bild: Photocase / Meitantei

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