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Meinungen - 15.11.2022 - 14:15 

WM-Boykott – Was denn für ein Boykott bitte?

Eine FIFA-Weltmeisterschaft, die keiner will. Boykott-Aufrufe in den Medien. Die wahren Probleme des nun stattfindenden Gross-Events in Katar liegen tiefer. Ein Meinungsstück von Thomas Beschorner.

Ich wurden in den vergangenen Wochen oft gefragt, ob ich als eingefleischter Fussball-Fan die anstehende WM schauen werden oder ob ich beim WM-Boykott mitmache. Geschenkt, je weniger Menschen die Spiele vor den Fernsehgeräten verfolgen, je weniger Fans in den Katar reisen und je weniger Trikots gekauft werden desto besser. Denn das sendet ein wichtiges Signal an TV-Anstalten wie an Sponsoren der WM, nämlich: „mit uns nicht“.

Aber: Boykott der Weltmeisterschaft? Was für ein Boykott soll das denn bitte sein? Die Spiele werden ja stattfinden! Ein wirklicher Boykott wurde verschlafen, denn weder nationale Sportverbände noch die Politik hat auch nur halbwegs ernsthaft erwogen zu sagen: Wir machen da nicht mit, unsere Mannschaften spielen nicht bei einem menschenverachtenden Turnier. Es wurde rote Linien überschritten, die wir aus moralischen Gründen nicht akzeptieren.

Man hätte durchaus auch frühzeitig über ein alternatives Welt-Fussball-Turnier nachdenken können. „Dortmund statt Doha“, ggf. sogar als DACH-Veranstaltung wurde nie diskutiert.

Es wäre schlicht das Richtige gewesen als Schweizer oder Deutscher Fussballbund auf dieses Turnier zu verzichten, denn die Liste der Probleme bei dem nun stattfinden sportlichen Gross-Event ist lang, sehr lang. Sie ist viel zu lang. Es fängt bei korrupten Vergabepraxen durch die FIFA an und reicht über Menschenrechtsverletzungen (u.a. beim Bau von Stadion), Diskriminierungen von Minderheiten und ökologischen Problemen bis hin zur Stärkung eines undemokratischen, autoritären Regimes. Um sehr klar zu sein, das sind keine neuen Einsichten. Die Probleme liegen seit vielen Jahren auf dem Tisch.

Jetzt haben wir ab dem kommenden Tagen eine FIFA-Weltmeisterschaft, die keiner will. Warum? Weil die eigentlichen Träger von Verantwortung, natürlich die FIFA selbst, aber auch die verschiedenen Verbände und nationale Politiken nicht den Hintern in der Sporthose hatten, um den Mund aufzumachen und sehr deutlich «nein» zu sagen. Stattdessen haben sie sich hinter einer Mischung aus opportunistischen Interessen und einem Mantra, die Spiele würde zu Demokratisierungen in Katar führen (werden sie nicht!), versteckt.

Jetzt, nur wenige Tage vor Beginn der WM ist die Empörung gross. Wir diskutieren diese Themen jetzt mit Freunden, in der Familie, an Stammtischen und in den Medien – gut, aber genau das ist zu spät. Über diese Empörung sollten wir uns empören, denn sie hält uns einen Spiegel vor das eigene Gesicht in unserer Empörungsgesellschaft. Und wenn der Katar (oder andere autoritäre Regime) den Zuschlag zur Ausrichtung Olympischer Spiele bekommen. Na dann? Dann empören wir uns eben wieder.

Werde ich also als privater Thomas oder in meiner professionellen Funktion als «Prof. Dr. irgendwas» die Spiele der Fussball-Weltmeisterschaft gucken? Diese Frage ist nicht wichtig, denn die Probleme im Sport wie in der Gesellschaft liegen weitaus tiefer.

Bild: efks - stock.adobe.com

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