Veranstaltungen - 12.07.2024 - 10:30
Gemäss der HSG-Studie «Swiss Trade Monitor» scheint der Welthandel nicht so stark gefährdet, wie es die Handelskonflikte und Zollbarrieren vor allem zwischen China und den USA vermuten lassen. Allerdings rückt die Produktion wegen geopolitischer Zerwürfnisse näher zusammen. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation des Welthandels ein?
Andreas Klasen: Trotz Handelskonflikten und neuen Zöllen zeigt der Welthandel eine bemerkenswerte Resilienz, da Unternehmen offensichtlich Wege finden, Hürden erfolgreich zu umgehen und mit neuen Handelspartnern zu kooperieren. Die Exportwirtschaft in der Schweiz und in Europa steht allerdings vor multiplen Herausforderungen, die von verschiedenen «Megatrends» getrieben werden und sich gegenseitig verstärken. Dazu zählen insbesondere die zunehmenden geopolitischen Spannungen und regionalen Konflikte, die Transformation der Weltwirtschaft durch die rasante Digitalisierung und der Klimawandel. Das internationale Umfeld für Exporteure ist zunehmend fragmentiert. Dies führt zu einer Neubewertung von Lieferketten und Handelspartnern.
Kuno Schedler, viele Leute stehen staatlichen Eingriffen und Lenkungsinstrumenten in der Wirtschaft ablehnend gegenüber. Wie können staatliche Institutionen und die Wirtschaft optimal zusammenarbeiten, um den Welthandel zu fördern?
Kuno Schedler: Dazu gibt es wohl verschiedene Sichtweisen. Eine wirtschaftsliberale Sicht sieht die Aufgabe der staatlichen Institutionen allein darin, Risiken des Exports abzusichern, ohne den internationalen Wettbewerb dadurch zu verzerren. Eine pragmatischere Sicht nimmt allerdings zur Kenntnis, dass der internationale Wettbewerb wieder vermehrt durch Staaten gesteuert und beeinflusst wird – und zwar durchaus auch durch westliche. Ein Optimum, dem alle zustimmen, gibt es daher nicht.
Mit Blick auf die geopolitische Lage und unsere zunehmend multipolare Welt: Wer muss bei Welthandelsfragen gemeinsam am Tisch sitzen, um innovative Lösungen für die aktuellen Herausforderungen zu finden?
Kuno Schedler: Zunächst muss geklärt werden, welche Rolle der Welthandel für die aktuellen Herausforderungen spielt. Andreas Klasen hat hierzu einige sehr spannende Studien verfasst, die zeigen, wie der Handel auf regionale wirtschaftliche Entwicklungen und Themen wie Nachhaltigkeit Einfluss nimmt. Unsere eigenen Informationen machen deutlich, dass die ganze «Industrie» der Export- und Handelsförderung immer politischer wird. Und auch mit immer neuen Zielen befrachtet. Das heisst: Es müssen immer mehr Akteure an den ominösen «gemeinsamen Tisch» sitzen.
Welche Perspektiven sind an der Konferenz «IfTI Global Symposium» Anfang September vertreten? Wen holen Sie nach St.Gallen? Und auf wessen Perspektive sind Sie besonders gespannt?
Andreas Klasen: Es ist sicher einzigartig, so viele hochrangige Regierungsvertreter, CEOs von staatlichen Förderbanken, Vertreter von Privatwirtschaft, Verbänden wie der Berner Union und Nichtregierungsorganisationen sowie Wissenschaftler aus mehr als 30 Ländern zu diesem Thema in St.Gallen zu versammeln. Denn die Mitglieder der Berner Union finanzieren oder versichern jährlich rund 2.6 Billionen US-Dollar – das sind etwa 12 Prozent des globalen Aussenhandels. Interessant wird, zahlreiche unterschiedliche regionale und sektorale Perspektiven zu hören – angefangen von Staatssekretärin und SECO-Direktorin Helene Budliger Artieda über OECD-Direktorin Marion Jansen, UNEP FI-Chef Eric Usher und Afreximbank-Präsident Benedict Oramah bis hin zu unserem Kollegen Thomas Hale von der University of Oxford. Besonders gespannt bin ich auf die Beiträge von US EXIM-Präsidentin Reta Jo Lewis so kurz vor den US-Wahlen im November.
Andreas Klasen, Sie beschäftigen sich intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit im Welthandel. Wie lassen sich die Ziele der Exportförderung und die Bekämpfung des Klimawandels vereinen?
Andreas Klasen: Staatliche Exportförderung und Klimaschutz lassen sich durch eine gezielte Förderung nachhaltiger Technologien verbinden. Durch Investitionen in Forschung und Entwicklung grüner Technologien und eine gezielte Ausrichtung von Exportförderprogrammen auf Nachhaltigkeit können Regierungen sowohl die internationale Wettbewerbsfähigkeit stärken als auch einen Beitrag zur grünen Transformation leisten. Auch die Schaffung grüner Finanzierungsinstrumente für nachhaltige Exporteure trägt dazu bei, dass ökologische und ökonomische Ziele Hand in Hand gehen.
Stichwort «Grüne Transformation» und Export grüner Energie: Wie muss der Exporthandel ausgestaltet werden, um dem Klimawandel zu begegnen und zugleich den steigenden Energiebedarf zu decken?
Andreas Klasen: Um dem Klimawandel zu begegnen und gleichzeitig den steigenden Energiebedarf vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern zu decken, spielt die Exportförderung energieeffizienter Technologien eine wichtige Rolle. Dazu gehören Finanzierungs- und Risikoabsicherungsinstrumente für den Export von Solar-, Wind- und Wasserkraftanlagen sowie von innovativen Speichertechnologien und intelligenten Energienetzen. Durch die Einhaltung und Förderung strenger internationaler Umweltstandards können Regierungen ebenfalls sicherstellen, dass die Ausweitung von Energieexporten nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch ökologischen Zielen dient. Spannend ist in diesem Zusammenhang, dass wir beim «IfTI Global Symposium» in St.Gallen dazu sicher viel von führenden Vertretern der beim Weltklimagipfel COP28 in Dubai ins Leben gerufenen «UN-convened Net Zero Export Credit Agencies Alliance» hören.
Nach der Pandemie haben viele Länder begonnen, nach alternativen Lieferanten und Produktionsstandorten zu suchen, um ihre Lieferketten zu stabilisieren. So wird beispielweise vom Mexiko-Effekt gesprochen: Multinationale Unternehmen verlagern aufgrund des US-Handelsstreits mit China ihre Produktionsprozesse ins nahe Mexiko, um den US-Markt zu bedienen. Dadurch hat Mexiko China als wichtigsten US-Handelspartner abgelöst und selbst Kanada überholt. Wie dauerhaft schätzen Sie diesen Trend zum «Near- und Friendshoring» ein?
Kuno Schedler: Aus Sicht des Public Management kann ich sagen: Komplizierte Schranken im Güter- und Dienstleistungsverkehr sind ein zunehmendes Ärgernis – auch und gerade in Europa. Hier stehen wir in der Schweiz noch recht gut da, aber auch hierzulande grassiert die grenzüberschreitende Bürokratie, wie wir gerade im Bildungs- und Dienstleistungssektor schmerzhaft feststellen.
Ein Blick voraus: Auch unter Beachtung der zunehmenden Relevanz von Süd-Süd-Kooperationen, wie wird sich der Welthandel in zehn Jahren entwickeln?
Andreas Klasen: Eine Glaskugel hat selbstverständlich niemand, aber Süd-Süd-Kooperationen werden aus meiner Sicht weiter stark an Bedeutung gewinnen. Viele Länder des globalen Südens werden zunehmend miteinander kooperieren und Handelsabkommen schliessen, die auf gemeinsamen Interessen in Bereichen wie Technologie, Landwirtschaft und erneuerbare Energien basieren. Die African Continental Free Trade Area (AfCFTA), die Freihandelszone zwischen Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union, ist sicher ein Beispiel hierfür. Kooperationen werden unter anderem durch Investitionen in Infrastruktur und Digitalisierung gestärkt werden, auch um Lieferketten effizienter zu gestalten.
Prof. Dr. Andreas Klasen ist Gastprofessor an der HSG, lehrt und forscht in Offenburg und Oxford. Er ist Professor für Internationale Betriebswirtschaft und leitet das Institute for Trade and Innovation an der Hochschule Offenburg.
Prof. Dr. Kuno Schedler leitet das Institut für Systemisches Management und Public Governance (IMP-HSG) an der Universität St.Gallen. Der Professor für Betriebswirtschaftslehre forscht und lehrt zu Fragen des Public Management an der Universität St.Gallen.
Weitere informationen zur Konferenz unter: hs-offenburg.de und unisg.ch
Bild: Adobe Stock / markobe
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