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Forschung - 22.09.2020 - 00:00 

Warum sind die Zinssätze so niedrig?

Die Zinssätze verharren seit einiger Zeit auf historischen Tiefstständen, wobei ein beträchtlicher Teil des weltweiten Anleihemarktes unter dem nominalen Nullzins gehandelt werden. Neue Untersuchungen des Schweizerischen Instituts für Banken und Finanzen an der Universität St.Gallen (s/bf-HSG) zeigen, dass dies nebst der Geldpolitik auch auf die Politik der Finanzstabilität zurückzuführen ist.

22. September 2020. Die Arbeit, die demnächst im Journal of Financial Economics erscheinen wird, zeigt, dass die aufsichtsrechtliche Regulierung einen Rückgang der Zinssätze bewirkt, indem sie das Kreditangebot erhöht und die Kreditnachfrage in Refinanzierungsmärkten senkt. Diese Regulierungen schaffen unbeabsichtigte Konsequenzen innerhalb des neuen Regulierungsrahmens, der auch Clearingstellen und Banken betrifft. Diese Politik bringt auch wichtige Konsequenzen für unsere Gesellschaft insgesamt mit sich - für die politischen Entscheidungsträger, die Finanzbehörden und sogar für die Zentralbanken.

Aller Wahrscheinlichkeit nach wird die gegenwärtige Pandemiekrise mit den daraus resultierenden wirtschaftlichen Problemen und Spannungen auf den Finanzmärkten den in dieser Studie aufgedeckten Mechanismus noch verschärfen und eine zusätzliche Streuung und einen zusätzlichen Abwärtsdruck auf die Zinssätze erzeugen. Angelo Ranaldo hat zum Thema sechs Fragen beantwortet.

Warum sind die Zinssätze so niedrig?

Die offensichtliche Antwort auf diese Frage liegt in der Geldpolitik begründet, und zwar unabhängig davon, ob es sich um konventionelle oder unkonventionelle Geldpolitik handelt, wie z.B. Programme zur quantitativen Lockerung. Die Studie zeigt, dass die Zinssätze darüber hinaus von der Politik zur Finanzmarktstabilität gesenkt werden. Diese Politik wurde eingeführt, um sicherzustellen, dass die Turbulenzen, die Ende 2008 die Weltwirtschaft und das globale Finanzsystem erfasst haben, in Zukunft vermieden werden. Es liegt auf der Hand, dass die Auswirkungen dieser Politik auf die Zinssätze nicht in der Absicht der Zentralbanken und Gesetzgeber lagen, die politische Massnahem wie EMIR und Basel III entwarfen.

Wie übt der neue Regulierungsrahmen einen Abwärtsdruck auf die Zinssätze aus?

Um eine Metapher zu verwenden: Diese neuen Vorschriften brachten Elefanten in den Porzellanladen, indem sie riesige neue Akteure auf dem Geldmarkt schufen. Dies hatte einen erheblichen Einfluss auf die Zinssätze, was den Druck aufrechterhalten hat, sie auf historischen Tiefstständen zu halten. Hier wird’s kompliziert, aber es geht folgendermassen... Die neue Verordnung schreibt vor, dass die Clearinghäuser (CCPs) nicht mehr als 5% aller durch (Anfangs-)Margen angesammelten Barmittel auf unbesicherte Weise aufbewahren dürfen.

Die einzige effiziente, praktische und wirtschaftliche Möglichkeit, die gesetzlichen Anforderungen an CCPs zu erfüllen, ist die Kreditvergabe durch Rückkaufsvereinbarungen (Repo). Der Repo-Vertrag ermöglicht es der CCP, Bargeld mit kurzen Laufzeiten («über Nacht», in der Regel bis zu einer Woche) zu verleihen und gleichzeitig die (besicherten) Vermögenswerte zu kaufen. Es ist zu beachten, dass CCPs zur Erfüllung der gesetzlichen Bestimmungen in der Regel sehr sichere Vermögenswerte wie deutsche Staatsanleihen kaufen. Auf diese Weise senken die CCPs die Zinssätze der am besten gesicherten Repos und schaffen eine grössere Streuung zwischen Repos, die mit Wertpapieren aus Kern- und Peripherieländern besichert sind.

Geht es um viel Geld?

Ja! Betrachtet man die Top 10 der initialen Margenanforderungen der Europäischen Marktinfrastrukturverordnung (EMIR), so müssen jeden Tag etwa 100 Milliarden Euro in «Reverse Repos» gesichert werden.

Warum machen sich die Banken das nicht zunutze?

Tatsächlich könnten die Banken bei CCPs zu vorteilhaften Zinssätzen Kredite aufnehmen. Die Leverage Ratio von Basel III hält die Banken jedoch davon ab, Kredite auf dem Repo-Markt aufzunehmen, weil dadurch ihre Bilanz «ausgeweitet» wird.  So erhöht sich nicht nur das Geldangebot der CCPs, sondern die Nachfrage nach Geld sinkt ebenfalls. Sowohl das Überangebot als auch der Mangel an Nachfrage wirkt sich auf sinkende Zinssätze aus.

Warum sollten wir uns über diese Auswirkungen Sorgen machen?

Wir sollten über die  Auswirkungen der Politik zur Finanzmarktstabilität auf die Zinssätze besorgt sein, und zwar aus vier Hauptgründen:

  • Die politischen Entscheidungsträger sind sich dieses Phänomens nicht bewusst.
  • Während neue aufsichtsrechtliche Massnahmen die Finanzmarktstabilität stärken, haben Regulierungen wie die Basel-III-Leverage-Ratio unbeabsichtigte Effekte wie die Abschreckung der Repo-Intermediation, die Verknappung von Sicherheiten und das «Window-Dressing» am Ende der Berichtszeiträume hervorgerufen.
  • Der neue Regulierungsrahmen hat das zentrale Clearing für eine grosse Zahl von Zinsswaps und Credit Default Swaps (CDS) verbindlich vorgeschrieben und damit die CCPs zu grossen Akteuren auf den Finanzmärkten gemacht. Wie bereits gesagt, sind die CCPs zu grossen Elefanten geworden, die in «schlechten» Zeiten wie der Pandemiekrise noch grösser werden. Warum? Weil CCPs genau in diesen Zeiten grössere Margen benötigen (Prozyklizität) und den Geldmarkt mit einer grösseren Menge an Liquidität überschwemmen.  Das Verständnis dieser Fragen ist von entscheidender Bedeutung für die schrittweise Einführung und Neugestaltung des Regulierungsrahmens mit dem Ziel, das gewünschte Mass an Markteffizienz und finanzieller Stabilität zu erreichen.
  • Die neue Regelung schafft eine grössere Streuung der kurzfristigen Zinssätze, was die Transmission der Geldpolitik erschwert.

Was ist die Schlussfolgerung aus der Studie?

Manchmal kollidiert eine politische Massnahme mit einer anderen, was unbeabsichtigte Folgen hat. Diese Studie beleuchtet dieses Phänomen, das sich auf die Zinssätze auswirkt, die für die Geldpolitik entscheidend sind, die Referenzzinssätzen zugrunde liegen , und die die vielen Vermögenspreise bestimmen. Das Papier mit dem Titel Regulatory Effects on Short-Term Interest Rates wird demnächst im Journal of Financial Economics erscheinen.

Bild: Adobe Stock / jo.pix

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