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Meinungen - 20.11.2018 - 00:00 

Schweizer Bundesratswahlen: Bitte ja keine Inhalte!

Politische Grundsatzfragen scheinen in der öffentlichen Debatte um die Schweizer Bundesratswahlen am 5. Dezember 2018 kaum eine Rolle zu spielen. Handelt es sich um eine reine Personaldiskussion? Ein Stimmungsbild von Patrick Emmenegger, Professor für Politikwissenschaft an der Universität St.Gallen (HSG).

20. November 2018. Bei den Bundesratswahlen am 5. Dezember 2018 dürfte die parteipolitische Zusammensetzung des Gremiums nicht in Frage gestellt werden. Stattdessen konzentriert sich die Diskussion – bis anhin – auf eine ausgewogene Vertretung der Geschlechter und der Regionen. Entsprechend stehen insbesondere Kandidatinnen und Kandidaturen der Ost- und Zentralschweiz im Zentrum der Aufmerksamkeit.

Eine ausgewogene Vertretung der Geschlechter und der Regionen soll auch an dieser Stelle nicht in Frage gestellt werden. Aber was ist mit den politischen Inhalten? Vakant sind im Moment das Wirtschafts- und das Infrastrukturdepartement. In Anbetracht vermuteter Abwanderungsgelüste könnten auch das Justiz- und das Verteidigungsdepartement die neuen Arbeitsstätten der erfolgreichen Bewerberinnen und Bewerber werden.

Für welche Politik stehen die Kandidatinnen und Kandidaten? Soll die Walliserin Viola Amherd (Geschäftsleiterin des Lötschberg-Komitees) über den Ausbau des Lötschberg-Basistunnels mitentscheiden? Soll die St.Gallerin Karin Keller-Sutter, Vorstandsmitglied beim Schweizerischen Arbeitgeberverband, bald die Geschicke der Schweizer Wirtschaftspolitik führen? Oder soll stattdessen der Zuger Meisterbauer Peter Hegglin die schweizerische Landwirtschaftspolitik gestalten?

Zugegeben, in Anbetracht der noch unklaren Departementsverteilung ist es schwierig, eine Diskussion über konkrete Inhalte zu führen. Auf alle Fälle werden die beiden neuen Bundesratsmitglieder aber die nationale Politik entscheidend prägen. Aufgrund der Entscheidungsprozesse im Bundesrat werden sie auch alle wichtigen Geschäfte der anderen Departemente mitgestalten. Ihr Einfluss darf also nicht unterschätzt werden.

Zentrale Herausforderungen in der Schweizer Politik

Departementsübergreifend steht die Schweiz vor einer Reihe von zentralen Herausforderungen. Wie stehen die Bundesratskandidatinnen und -kandidaten zu diesen Fragen? Die Beziehung der Schweiz zur Europäischen Union (EU) ist seit den späten 1980er Jahren eine konstante Baustelle. Aktuell steht ein Rahmenabkommen mit der EU zur Debatte. Die Forderungen der EU betreffen unter anderem die Aufweichung der flankierenden Massnahmen und die Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie. Gemäss der Baselbieterin Elisabeth Schneider-Schneiter gibt es aber zum Rahmenabkommen keine Alternative. Gegen das AHV-Steuerpaket werden aktuell von mehreren Referendumskomitees Unterschriften gesammelt. Der Nidwaldner Hans Wicki bezeichnet die Vorlage jedoch als einen gut schweizerischen Kompromiss. Vom Schaffhauser Christian Amsler und der Urnerin Heidi Z’graggen ist über die kantonale Politik hinausgehend wenig bekannt. Das wären dann die sprichwörtlich im Sack gekauften Katzen.

Man sollte meinen, dass solche Fragen im Zentrum der Debatten über die Regierungszusammenset-zung stehen würden. In Deutschland, wo aktuell der CDU-Vorsitz und damit die Nachfolge von Angela Merkel neu zu besetzen ist, fokussiert die Debatte auf den Bruch mit der Politik von Merkel (z.B. Friedrich Merz) oder deren Fortsetzung in leicht abgeänderter Form (z.B. Annegret Kramp-Karrenbauer). In der Schweiz ist eine solche Debatte nicht auszumachen.

Debatte über Grundsatzfragen

Die schweizerische Debattenkultur ist anders. In wohl keinem anderen Land sind spezifische Fragen wie beispielsweise das Verhältnis zur EU häufiger Gegenstand öffentlicher Debatten. Mit jeder Abstimmungsvorlage zum Thema – im Fall der EU also etwa einmal pro Jahr – wird eine neuerliche Debatte angestossen. Gleichzeitig findet aber kaum eine öffentliche Debatte zu den Grundsatzfragen in der Beziehung der Schweiz mit der EU ausserhalb dieser Abstimmungsvorlagen statt. Ist der bilaterale Weg weiterhin zielführend? Brauchen wir einen Neustart? Oder sollten wir vielleicht sogar einen Beitritt zur EU in Erwägung ziehen? Wenn solche Fragen auftauchen, kommt meist reflexartig die Antwort, dass es hierfür keine Mehrheiten gibt. Interessanterweise stehen diese Mehrheiten offenbar in der Regel bereits vor der Debatte fest. Das nennt man eigentlich Diskussionsverweigerung.

Ich bin gespannt auf die Bundesratswahlen am 5. Dezember 2018. Als gebürtiger Luzerner wohnhaft in St.Gallen befürworte ich eine regional ausgewogene Vertretung (sprich: je einen Sitz für die Ost- und die Zentralschweiz). Und da wir Männer ja vier Sitze im Bundesrat auf sicher haben, dürfen es dieses Mal auch zwei Frauen sein. Aber bitte bis dahin ja keine inhaltlichen Fragen!

Bild: Fotolia.com / Schlierner

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