Forschung - 04.06.2024 - 10:32
Medellín war einst ein Brennpunkt von organisiertem Verbrechen und sozialen Problemen. Doch mittlerweile wurde die kolumbianische Grossstadt mehrfach mit Innovationspreisen ausgezeichnet – «und die Digitalisierung ist hier auf einem höheren Level als bei uns», sagt die HSG-Marketingprofessorin Johanna Gollnhofer.
Im Frühling 2024 verbrachte sie ein Forschungssemester an der Universidad EAFIT in Medellín. Diese ist einerseits eine von rund 215 Partneruniversitäten der HSG weltweit, andererseits bietet die kolumbianische Gesellschaft ein inspirierendes Arbeitsumfeld für Gollnhofer. Sie forscht an der Schnittstelle von Kundenverhalten, Konsumtrends und Nachhaltigkeit. «Es gibt in diesen Bereichen in Lateinamerika deutliche Unterschiede zu Europa. So läuft etwa die Kommunikation zwischen Kunden und Firmen hier weitgehend über WhatsApp und Chatbots. Das beschleunigt den Austausch im Vergleich zu E-Mails enorm.»
So erforschte Gollnhofer während ihres Aufenthaltes digitales Konsumentenverhalten in Lateinamerika für eine Studie. Daneben arbeitete sie an ihrem neuen Buch «Das 60%-Potenzial: Mit Marketing die breite Masse für grünen Konsum begeistern», das diesen September erscheinen wird. «Damit die Menschen keine Angst, sondern Bock auf Morgen haben!», heisst es im Online-Klappentext des Buches.
Bock auf Morgen und damit auf Themen, die eine breite Palette von gesellschaftlichen Fragen betreffen, hat auch Gollnhofer. So forschte und publizierte sie bisher beispielsweise schon zu Food Waste, Minimalismus und Decluttering sowie Influencerkommunikation auf Social Media. «Wir alle leben in einer Konsumgesellschaft und damit auch in einer Marketinggesellschaft. Darum hat Marketing zu fast allen Fragen einen Ansatzpunkt», so Gollnhofer.
Sie arbeite als Marketingexpertin mit Fokus auf Nachhaltigkeit. Zwischen beiden, Marketing und Nachhaltigkeit, bestehe ein Spannungsfeld, sagt die 37-Jährige: «Auf der einen Seite steht Marketing: Hier ist grundsätzlich das Ziel, mehr zu verkaufen und damit auch mehr Ressourcen zu verbrauchen. Auf der anderen Seite steht Nachhaltigkeit: Hier geht es darum, weniger Ressourcen zu verbrauchen.» In der Forschung aber auch bei Unternehmen seien derzeit viele Fragen dazu offen, wie die nachhaltige Transformation unseres Wirtschaftens gelingen könne. «Das reizt mich als Forscherin daran.»
Gollnhofer engagiert sich neben der Lehre an der Universität auch in der Weiterbildung: Sie unterrichtet in diversen berufsbegleitenden Kursen, die das Institut für Marketing und Customer Insight (IMC-HSG), anbietet. Gollnhofer ist Co-Institutsdirektorin und sagt: «In den Weiterbildungen bin ich im Kontakt mit Berufsleuten, die mich mit brennenden Fragen ihrer Praxis konfrontieren.» So gewinne sie Inputs für ihre Forschung.
Auch Journalist:innen konfrontieren Gollnhofer immer wieder mit aktuellen Fragen. Sie wird regelmässig in deutschsprachigen Medien zitiert, sprach beispielsweise über den Börsengang von Birkenstock, über den Hype rund um den Barbie-Film oder über den Decluttering-Trend. «Ich sehe es als einen zentralen Auftrag der Wissenschaft, das von ihr produzierte Wissen und ihre Expertise nach aussen zu kommunizieren», sagt sie dazu. «Wir dürfen uns nicht damit zufriedengeben, in wissenschaftlichen Zeitschriften zu publizieren, denn diese sind einem breiten Publikum nur schwer zugänglich.»
Manchmal greift Gollnhofer, um zu Forschungsobjekten zu kommen, selbst zu journalistischen Methoden. Für ihre Studie über «Dumpster Diving» - also das Retten von Esswaren aus Containern von Supermärkten – spürte sie die Aktivisten an einem Parteitag der Grünen auf. Oder für eine Studie über Influencer schrieb sie 90 Personen an, die auf Social Media mindestens 1 Million Follower haben, bis sie die Zusagen für fünf Tiefeninterviews erhielt. Und für eine weitere Studie über Decluttering begleitete sie mehrere Personen als Beobachterin dabei, als diese ihre Wohnungen entrümpelten. «Das brauchte im Vorfeld viele Gespräche, um das Vertrauen zu gewinnen», sagt sie.
Die Nähe zu Menschen, ihrem Verhalten und ihren Motivationen ist kennzeichnend für Gollnhofers Forschungszugang. Sie setzt oft auf Ethnografie, also die Beobachtung und Beschreibung einzelner Gruppen oder (Sub-)Kulturen. Dabei schaut sie zu, stellt Nachfragen – Marketingforschung ist für Johanna Gollnhofer immer auch ein Erforschen des Menschen.
Das IMC-HSG, dessen Direktorin Gollnhofer ist, ist eines von 36 Instituten der HSG und hat rund 25 Mitarbeitende. «Die Institute machen uns als Forschende agil. Wir können beispielsweise einfacher Forschungsschwerpunkte zu Spezialthemen aufbauen. Und wenn wir mit Praxispartnern wie Unternehmen oder Institutionen Projekte realisieren möchten, gibt es einen Prozess, der die Möglichkeiten der Zusammenarbeit rasch und genau regelt.» An anderen Universitäten, an denen sie gearbeitet habe, hätte sie nicht auf Anhieb gewusst, wie sie mit einer Anfrage aus der Berufspraxis umgehen müsste. «Diese Beweglichkeit und das Unternehmertum, das die Institute uns ermöglichen, heben uns als HSG von anderen Universitäten ab.»
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