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Forschung - 26.10.2023 - 09:10 

HSG-Strafrechtlerin leuchtet die Dunkelziffer der häuslichen Gewalt aus

Häusliche Gewalt nimmt seit Jahren zu. Um das Phänomen besser zu verstehen, haben Forschende der HSG und der ZHAW nun auch die Dunkelziffer dieser und weiterer Gewaltform erhoben. Die Studie zeigt unter anderem: Rund ein Fünftel der Schweizer Bevölkerung ist einmal im Leben von Gewalt in Partnerschaften betroffen.
Man beating up his wife illustrating domestic violence

Häusliche Gewalt nimmt in der Schweiz laut der Polizeilichen Kriminalstatistik seit 2009 jährlich im Durchschnitt um 0,8 Prozent zu. «Diese Statistik bildet die Fälle ab, die von den Behörden erfasst wurden. Gerade bei häuslicher Gewalt kann man aber von einer grossen Zahl nicht erfasster Fälle ausgehen», sagt Nora Markwalder, HSG-Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie. Sie hat 2022 gemeinsam mit Dirk Baier und Lorenz Biberstein vom ZHAW-Institut für Delinquenz und Kriminalprävention den «Crime Survey 2022» durchgeführt. Diese repräsentative Studie erhebt, von welchen Straftaten die Befragten Opfer geworden sind. Zu den Themen häusliche Gewalt, Gewalt in Partnerschaften sowie Cybercrime und Hate Crime haben die Autor:innen nun vertiefte Auswer-tungen vorgelegt.

Der Crime Survey, für den 15'519 Personen in der Schweiz befragt wurden, leuchtet als Opferbefragung das sogenannte «Dunkelfeld» aus - also Straftaten, die nicht polizeilich verfolgt und erfasst werden. «Er macht damit Aussagen zur tatsächlichen Häufigkeit und zeitlichen Entwicklung einzelner Delikte. Das liefert der Schweizer Politik und den Behörden Informationen, die die Polizeiliche Kriminalstatistik ergänzen», sagt Markwalder. Der vorliegende Survey ist der bisher ausführlichste für die Schweiz. Er wurde im Auftrag der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz (KKPKS) erarbeitet und misst auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit von Polizei und Opferhilfestellen. 

Breite Kreise der Bevölkerung von häuslicher Gewalt betroffen

Die Zusatzstudien zur häuslichen Gewalt sowie zur Gewalt in Partnerschaften wurden vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann in Auftrag gegeben. «Der Problembereich der häuslichen Gewalt sowie der Gewalt gegen Frauen allgemein hat in letzter Zeit vermehrt Aufmerksamkeit in Politik und Gesellschaft erhalten», heisst es in der Einleitung. Ein Grund dafür ist, dass die Schweiz 2018 der Istanbul-Konvention beigetreten ist. Mit dieser verpflichtet sie sich, häusliche Gewalt sowie Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen.

Zu den zentralen Resultaten sagt Markwalder: «Bei der Partnergewalt ist ein Rückgang der Gewaltdelikte zu beobachten. Dies steht im Kontrast zur offiziellen Kriminalstatistik.» Markwalder vermutet, dass sich aufgrund der gestiegenen Aufmerksamkeit einerseits die Polizei stärker mit der Verfolgung häuslicher Gewalt befasst. Andererseits gebe es in der Bevölkerung eine wachsende Sensibilisierung für das Thema.

«Überrascht hat mich bei unseren Auswertungen, dass 22 Prozent aller Personen mindestens einmal im Leben von einer Form von Gewalt in der Partnerschaft betroffen sind. Das sind breite Kreise der Bevölkerung», sagt Markwalder. Die Forscher haben nicht nur physische Gewalt, sondern auch psychische, soziale und wirtschaftliche Gewaltformen erhoben. So oder so sind die Auswirkungen davon enorm: Gewalt in Partnerschaften verursacht heute durch diverse gesundheitliche und soziale Folgen für die Schweiz jährlich schätzungsweise zwischen 164 bis 287 Millionen an Kosten.

Stalking ist verbreitet, Frauen sind häufiger Opfer

Markwalder streicht zudem die relativ starke Häufigkeit von Stalking in der häuslichen Gewalt hervor: Rund zwei Prozent der Schweizer Bevölkerung waren davon in den letzten fünf Jahren betroffen – deutlich mehr als z.B die Opferzahlen betreffend Sexualdelikte, Körperverletzung oder Drohungen. «Die ständige Erreichbarkeit über digitale Kommunikations-mittel macht diese Art der Gewalt relativ einfach möglich für die Tatperson.»

Insgesamt bestätigen die Zahlen des Crime Survey 2022 zudem die Feststellung von offiziellen Statistiken, dass Frauen deutlich häufiger von häuslicher Gewalt betroffen sind als Männer. Häusliche Gewalt spielt sich zudem in erster Linie zwischen ehemaligen oder aktuellen Partner:innen ab. Mit Ausnahme von Stalking, wo Frauen häufiger von Männern und Männer häufiger von Frauen gestalkt werden, berichten zudem beide Geschlechter häufiger über Männer als Täter. Zentrale Risikofaktoren für häusliche Gewalt sind Alkohol und Drogen: Bei Tätlichkeiten und Körperverletzungen wurde in über 40 Prozent der Fälle von einem Zusammenhang mit diesen Substanzen berichtet. 

Welche Prävention wäre bei häuslicher Gewalt nun gefragt? «Dazu geben wir im Rahmen dieser Studie keine Empfehlungen ab. Uns geht es darum den aktuellen Stand mit Daten abzubilden. Massnahmen sind Sache von Gesellschaft und Politik, die sich unter anderem an diesen Zahlen orientieren können», sagt Markwalder. Prävention sei aber schwierig, da die Behörden bei einer Situation mit häuslicher Gewalt an den Grundvoraussetzungen wenig verändern können: Opfer und Tatperson seien sich sozial und oft auch räumlich ständig nahe. «Viele Opfer schweigen zudem oder ziehen Anzeigen später zurück, weil sie in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Tat-person stehen.»

Der Crime Survey zeigt, dass die Anzeigerate bei häuslicher Gewalt eher tief ist: Bei Tätlichkeiten und Körperverletzungen werden beispielsweise 28,9 Prozent, bei sexueller Gewalt 10,5 Prozent der Fälle angezeigt.  Der nächste Crime Survey soll laut Markwalder in drei bis fünf Jahren durchgeführt werden. Sie nimmt an, dass Cybercrime dann weiterhin im Fokus stehen wird. «Es kann zudem gut sein, dass uns dann auch neue Themen beschäftigen. Kriminalität als soziales Phänomen ist sehr dynamisch.»
 

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