Hintergrund - 22.08.2019 - 00:00
Ludwig Erhard wurde 1897 in Fürth als Sohn eines Textilwarenhändlers geboren. Nach dem Besuch der Realschule machte er bis 1916 eine kaufmännische Lehre in Nürnberg. Im Ersten Weltkrieg diente er als Artillerist und wurde 1918 an der Westfront schwer verwundet. Von 1919 bis 1922 studierte er an der Handelshochschule Nürnberg mit dem Abschluss Diplom-Kaufmann. Dem schloss er ein Studium der Betriebswirtschaft, Nationalökonomie und Soziologie an der Universität Frankfurt am Main an, wo er 1925 über ein währungspolitisches Thema promovierte. Nach wenigen Jahren als Geschäftsführer im elterlichen Betrieb wurde er 1928 wissenschaftlicher Assistent und später stellvertretender Leiter des «Instituts für Wirtschaftsbeobachtung der deutschen Fertigware» in Nürnberg. 1942 gründete er das «Institut für Industrieforschung» - finanziert durch die Reichsgruppe Industrie -, welches er bis 1945 leitete.
Ab 1945 erfolgte ein rascher politischer Aufstieg: zunächst als Staatssekretär für Handel und Gewerbe in der Bayerischen Staatsregierung (bis 1946). 1949 wurde er Bundesminister für Wirtschaft unter Konrad Adenauer. Als Verfechter der Sozialen Marktwirtschaft war er in den Augen vieler Zeitgenossen die stets Zigarre rauchende, korpulente Symbolfigur des «deutschen Wirtschaftswunders». 1957 wurde er Vizekanzler und nach dem Rücktritt Adenauers 1963 Bundeskanzler, welches Amt er bis 1966 bekleidete.
Erhard war auch mit der Handelshochschule St.Gallen verbunden: So hielt er an der HSG bereits in den Jahren 1950 und 1953 Referate. Am Hochschultag 1961 wurde ihm das Ehrendoktorat in Wirtschaftswissenschaften verliehen. Leider konnte Erhard aus terminlichen Gründen nicht dabei sein, als Rektor Prof. Walter Adolf Jöhr die Laudatio verlas:
«Diese Ehrung erfolgt in Würdigung seines unerschütterlichen Glaubens an die Richtigkeit der Lehre von der Selbstregulierungsfähigkeit der Konkurrenzwirtschaft, seiner nie erlahmenden Bestrebungen um die freiheitliche Gestaltung des europäischen Wirtschaftsverkehrs und der historisch einmaligen Verdienste um die Verwirklichung seiner Konzeption der sozialen Marktwirtschaft. Diese Konzeption bildet nicht nur die Voraussetzung des raschen wirtschaftlichen Aufstiegs der westdeutschen Wirtschaft, sondern erbringt auch den für alle Länder gültigen Beweis, dass das als Garant der Freiheit notwendige Konkurrenzsystem eine hervorragende Leistungsfähigkeit besitzt.»
Die feierliche Überreichung der Urkunde wurde Anfang 1962 in St.Gallen nachgeholt: Unmittelbar nach einem Besuch bei Präsident John F. Kennedy in Washington und noch vor Unterrichtung seiner Regierungskollegen über die Gespräche, reiste Erhard nach St.Gallen, wo er am 14. Januar an einem Nachtessen bei Rektor Jöhr teilnahm. Bei diesem Essen waren auch Regierungsrat Guido Eigenmann, Stadtammann Emil Anderegg mit Gattin und Professor Hans Bachmann mit Gattin zugegen. Am nächsten Tag speiste Erhard mittags im Haus von Prof. Hans Bachmann, bevor nachmittags der Besuch des neuen Institutsgebäudes und der im Rohbau fertiggestellten neuen Hochschulanlagen auf dem Rosenberg auf dem Programm standen. Am späten Nachmittag wurde ein kleiner Empfang durch Mitglieder des Hochschulrats und der Professorenschaft in den Bibliotheksräumen der Hochschule an der Notkerstrasse veranstaltet. Um 17.30 Uhr folgte ein Aufzug der farbentragenden Verbindungen vor der Hochschule, und um 18.30 Uhr fand das von Regierung, Stadtrat und Hochschule veranstaltete feierliche Nachtessen im Hotel Hecht statt.
Der eigentliche Festakt am Abend wurde in der komplett besetzten grossen Halle der Tonhalle gefeiert. Da dieser Saal nicht ausreichte, wurde die Feier auch in den Parterresaal übertragen. Am Festakt nahmen unter anderem die Bundesräte Dr. Wahlen und Dr. Schaffner, der Botschafter der BRD in Bern, Dr. Mohr, der Botschafter der Schweiz in Bonn, Dr. Escher, der Regierungschef des Fürstentums Liechtenstein, Dr. Frick, Vertreter der Bundesverwaltung, Mitglieder der Regierungen verschiedener Kantone und viele weitere prominente Gäste teil. Nach der ausführlichen Laudatio und Überreichung der Urkunde durch Rektor Prof. Walter Adolf Jöhr referierte Erhard in freier Rede zum Thema «Probleme der europäischen und der atlantischen Integration». Das Publikum bedankte sich mit einem begeisterten Applaus.
Unmittelbar anschliessend an den Festakt fand ein Empfang zu Ehren von Ludwig Erhard im Kongresshaus des Schützengartens statt, veranstaltet von Regierung, Stadtrat und Hochschule. Hier gratulierten Landammann Dr. Simon Frick und Bundesrat Dr. Wahlen in Ansprachen den Geehrten und würdigten seine Verdienste. Damit endeten die Feierlichkeiten.
Auch in späteren Jahren bestand der Kontakt zur HSG fort. So bedankte sich Ludwig Erhard in einem Schreiben vom 8. November 1963 bei Rektor Otto K. Kaufmann und den Senatsmitgliedern herzlich für die übersandten Glückwünsche zur Wahl zum Bundeskanzler und das mitgesandte Faksimile des St.Galler Klosterplans: «In dem Plan ist die grosse geistige Kraft spürbar, die St.Gallen zu einer bedeutenden Stätte der Christenheit machte, und der wir alle verpflichtet sind.»
Ludwig Erhard starb 1977 in Bonn.
Portal zur Geschichte der Universität St.Gallen
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